Kluger Hans: Unter dieser Bezeichnung hat es vor dem Ersten Weltkrieg ein Pferd zu großer Berühmtheit gebracht. Wurden dem Hengst Rechenaufgaben gestellt, beantwortete er sie, indem er mit einem Huf entsprechend oft auf den Boden klopfte. Wie Wissenschaftler herausfanden, steckte dahinter jedoch kein Rechentalent, sondern lediglich die Tatsache, dass das Pferd auf Körpersignale des Fragestellers wie leichte Kopfbewegungen reagierte; diese waren dem Fragesteller selbst nicht bewusst.
Heute gehen Wissenschaftler davon aus, dass das Rechenvermögen eng mit der Fähigkeit zusammenhängt, unterschiedlich große Mengen wahrzunehmen. Diese spielt aber nicht nur für Menschen, sondern auch für viele Tiere eine wichtige Rolle. So hat es beispielsweise für Schwarmfische wie Guppys im Interesse der eigenen Sicherheit Vorteile, sich einem größeren statt einem kleineren Schwarm anzuschließen. Von Hühnerküken wiederum ist bekannt, dass sie eher einer größeren als einer kleineren Anzahl von Artgenossen aus ihrem Nest folgen. Neben dem familiären Zusammenhalt ist auch hierbei vermutlich die Frage nach der Sicherheit von Bedeutung.
Um zu ermessen, ob eine Menge größer ist als eine andere, bedarf es bei ausreichend großen Unterschieden keiner Kenntnisse über die genaue Anzahl der Bestandteile beziehungsweise einzelnen Elemente. Mit anderen Worten: Wer Informationen über die Größe einer Menge benötigt, muss nicht unbedingt zählen; unter Umständen genügt zur richtigen Einschätzung bereits ein kurzer Blick auf die jeweilige Menge.
Unterschiedlich viele Äpfel in Eimern
Das Wort rechnen geht auf den althochdeutschen Ausdruck "rehhanon" zurück und bedeutet ursprünglich so viel wie ordnen. Dass Tiere ähnlich wie Menschen nicht nur zwischen mehr und weniger unterscheiden, also die relative Größe von Mengen einschätzen, sondern tatsächlich auch zählen und rechnen können, haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Forschungsarbeiten gezeigt. So berichtete die japanische Biologin Naoko Irie schon vor mehr als einem Jahrzehnt von entsprechenden Versuchen mit Asiatischen Elefanten. Dabei ließ ein Trainer drei Äpfel in einen Eimer und dann einen Apfel in einen anderen fallen. Anschließend legte er noch vier weitere Äpfel in den ersten und fünf weitere in den zweiten Eimer. Der Elefant, so heißt es, habe erkannt, dass drei plus vier mehr sei als eins plus fünf und sich der größeren Menge zugewandt. Insgesamt testete die Biologin vier Elefanten. Diese, so sagte sie, hätten ebenso gut zwischen fünf und sechs Äpfeln wie zwischen fünf und einem unterscheiden können.
Ein anderes Beispiel für Säugetiere, die über die Fähigkeit zum Rechnen verfügen, liefern Rhesusaffen. Bei Versuchen an der Duke-Universität in Durham (US-Bundesstaat North Carolina) zeigten die Neurowissenschaftlerinnen Elizabeth Brannon und Jessica Cantlon den Tieren auf einem Bildschirm kurz hintereinander unterschiedliche Mengen von Punkten. Direkt im Anschluss mussten die Affen aus zwei Lösungsvorschlägen den mit der richtigen Gesamtmenge auswählen. In den meisten Fällen wählten sie das Bild mit Punkten, das dem richtigen Ergebnis entsprach.
Dass selbst Fische rechnen können, legt eine Studie nahe, die eine Forschergruppe um die Biologie-Professorin Vera Schlüssel von der Universität Bonn kürzlich im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlicht hat. Danach sind Buntbarsche und Stachelrochen in der Lage, einfache Aufgaben nach dem Muster zwei plus eins oder fünf minus eins zu lösen. Um herauszufinden, ob die Tiere über diese Fähigkeit verfügen, zeigten die Forscher ihnen zunächst eine Ansammlung geometrischer Formen – zum Beispiel vier Quadrate. Waren die Formen blau gefärbt, bedeutete das, dass ein weiteres Element hinzugezählt werden sollte. Waren sie hingegen gelb, galt es, ein Element abzuziehen. Sprich: Den Tieren wurde mithilfe von Farben eine Rechenvorschrift vermittelt.
In einem weiteren Schritt bekamen sie zwei andere Abbildungen zu sehen, eine mit fünf und eine mit drei Quadraten. Wenn die Fische zum richtigen Bild schwammen, das heißt bei blau gefärbten Quadraten zur Abbildung mit fünf solcher Formen, erhielten sie zur Belohnung Futter. War ihre Antwort falsch, gingen sie leer aus. Auf diese Weise lernten sie im Laufe der Zeit, mit der Farbe Blau die Erhöhung und mit der Farbe Gelb die Verringerung der Anzahl der Elemente in der Menge zu verbinden.
Ein Beleg für Denkfähigkeiten
Nach dieser Lernphase wurden die Fische mit den Aufgaben drei plus eins und drei minus eins konfrontiert. Auch diesmal wählten sie zumeist das richtige Ergebnis. Dies war selbst dann der Fall, wenn nicht ausschließlich Quadrate, sondern Kombinationen unterschiedlicher Formen gezeigt wurden, also beispielsweise neben einem Quadrat ein Dreieck und zwei unterschiedlich große Kreise. "Die Tiere mussten die Menge der abgebildeten Objekte erkennen und zugleich aus ihrer Farbe auf die Rechenvorschrift schließen", erklärt Vera Schlüssel. Und nicht nur das: Ihr Arbeitsgedächtnis sei gefordert gewesen, und sie hätten sich am Ende für die richtige Verhaltensweise entscheiden müssen. "Insgesamt ist das eine Leistung, die komplexe Denkfähigkeiten erfordert."
Für das menschliche Denkvermögen spielt die Großhirnrinde eine zentrale Rolle. Fische besitzen jedoch keine solche Struktur. Ihr Beispiel lässt ebenso wie das der Vögel oder auch das der Insekten vermuten, dass es zum Zählen nicht unbedingt einer Gehirnorganisation bedarf, wie sie bei Menschen anzutreffen ist. Auch bei Bienen sind Wissenschaftler auf Hinweise gestoßen, dass sie Mengen unterscheiden und möglicherweise sogar rechnen können.