Landkreis Diepholz. Erst vor einigen Monaten durfte Elena Pitigoi ihr Tattoo-Studio, Tattoo Art 2, in Weyhe nach der coronabedingten Schließung wieder öffnen (wir berichteten), nun steht für sie und ihre gesamte Branche der nächste große Rückschlag bevor: Mit der neuen EU-Zulassungsverordnung für chemische Stoffe (Reach) dürfen Tätowierer vom Jahr 2022 an zahlreiche Farben nicht mehr verwenden. Pitigoi hat erst kürzlich auf einer Messe den Preis für das beste Farbtattoo gewonnen. „Ich bin auch selber mit bunter Farbe tätowiert“, sagt sie. Sie habe selbst zuerst nicht glauben können, dass sie diese Farben bald nicht mehr verwenden darf. „Das ist ein schwerer Schlag für die Branche“, beklagt sie.
Hintergrund ist, dass die EU die Grenzwerte für bestimmte Chemikalien verschärft, die auch in Tattoo-Farben enthalten sind. Für die beiden Pigmente Blau 15 und Grün 7, die Grundlage für zahlreiche Farben sind, gilt noch eine Übergangsfrist bis 2023. „Durch Corona ist die Situation schon schwer genug, jetzt droht der nächste Einschnitt“, befürchtet die Tätowiererin. Wie drastisch sich die neuen Regeln auswirken werden, sei nur schwer abzuschätzen. „Das sieht man, wenn man die Farben nicht mehr bestellen kann“, sagt Pitigoi. Für einige Produkte gebe es noch keine Alternative, entsprechend liege die Hoffnung auf den Herstellern und der Erneuerungskraft des Marktes. „Viele denken, es gibt einen Plan B. Die Hoffnung ist, dass es nicht so schlimm wird und die Kunden weiterhin kommen“, merkt sie an.
Hersteller passen Produkte an
Heiko Ritscher, Inhaber des Tattoo-Studios Blutgruppe Bunt in Bassum, hat sich bereits während der coronabedingten Betriebsschließung einen neuen Hauptberuf gesucht. Seiner Leidenschaft geht er jedoch auch weiterhin nach. „Ich sehe das mittlerweile ziemlich entspannt“, sagt er über die neue Reach-Verordnung, auch wenn die Situation für die Branche derzeit nicht einfach sei. Die meisten Hersteller hätten bereits versprochen, ihre Produkte anzupassen. Er selbst habe erst kürzlich ein entsprechendes Testset erhalten, das er nun ausprobieren könne. Im Oktober hat Ritscher noch drei Messen besucht und sich ebenfalls über Auszeichnungen gefreut. Dort beobachtete er auch: „Der Andrang ist wahnsinnig hoch.“ Viele wollten nun noch ihre Tattoo-Projekte vollenden, bevor die Verbote in Kraft treten. Seine Stammkunden könne er dagegen weitgehend beruhigen. „Meine Zeit ist durch den Zweitjob auch begrenzt“, sagt er.
Für das grüne Farbpigment wisse er um halbwegs gleichwertigen Ersatz. Bei dem Blauen gebe es jedoch noch keine annehmbare Alternative. „Vielleicht regelt sich da was, sonst haben wir ein Problem. Dann gibt es kein Lila und Pink mehr und auch die ganzen Abstufungen, für die Blau ein Grundstoff ist, nicht“, sagt er. Durch die Verordnung werde vieles kompliziert, unvorhersehbar – und am Ende teurer für die Verbraucher. „Ich bin der Meinung, wir haben eine bestehende Verordnung, die wird kontrolliert und eingehalten“, führt er weiter aus. Mit der Entscheidung müsse sich die Branche jedoch erst einmal abfinden.
Tätowierer kritisieren vor allem eine willkürliche Festlegung der Richtwerte. In einer Stellungnahme aus dem Vorjahr kam unter anderem das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zu der Einschätzung, dass bisherige Daten nur auf eine geringe Toxizität der Blau- und Grün-Pigmente aufzeigten. Allerdings sei die Datenlage unvollständig und solle daher verbessert werden. Ferner sah das BfR „aktuell keinen weiteren akuten Handlungsbedarf“ und gab zu bedenken, dass künftig weniger gut untersuchte Stoffe verwendet werden könnten.
Die Europäische Chemikalienagentur (Echa) entschied sich dennoch für ein Verbot. „Die verbieten einer kompletten Branche die Arbeit“, kritisiert auch Christian Behrens von Ad Mortem Tattoo Parlour in Brinkum. Hersteller arbeiteten nun zwar mit Hochdruck an neuen Tattoo-Farben, doch benötigten die noch eine zeitaufwendige Zulassung. Behrens gibt auch zu bedenken, dass es noch keinen Bußgeldkatalog für Verstöße gegen das Verbot gebe und damit in Deutschland eine weitere Karenzzeit gelten könnte. Er selbst arbeite zwar kaum mit Farben, dennoch zeigt Behrens kein Verständnis für das Verbot. Auf der anderen Seite wundere er sich, dass eine Petition an das EU-Parlament bisher lediglich auf rund 126.000 Unterschriften kommt; die Szene sei europaweit deutlich größer.
Elena Pitigoi versucht deshalb, ihre Kunden auf das drohende Verbot hinzuweisen und bietet neben Sonderangeboten auch spontane Termine an. Ihr Geschäft hat sie zwar bereits vor vier Jahren eröffnet, doch nach fast zwei Jahren der Corona-Strapazen stehe sie nun wieder am Anfang. Sie selbst hat die Zeit der Geschäftsschließung genutzt, um sich auch im Kosmetikbereich fortzubilden. „Das mache ich nur, wenn ich muss“, sagt sie. Denn eigentlich würde sie gerne auch weiterhin tätowieren – mit der gesamten Farbpalette.