Worpswede. Ende November passierte eine kleine Sensation: Als weltweit erste Frauen und Wissenschaftler sind die Pilotin Yuqing Deng und die Meeresbiologin Kareen Schnabel mit einem U-Boot bis auf 10.010 Meter Tiefe getaucht. Die ehemalige Worpswederin Schnabel ist am Neuseeländischen Institut für Meeres- und Atmosphärische Studien (Niwa) in Wellington beschäftigt und war insgesamt einen Monat mit dem chinesischen Forschungsschiff Tansuoyihao unterwegs. Ihr Einsatzgebiet war der nordöstlich von Neuseeland gelegene Kermadecgraben - und dabei kam es zu dieser ganz besonderen Jungfernfahrt, die von weiteren chinesischen und neuseeländischen Wissenschaftlern begleitet wurde. Der Graben an sich ist eine bis 10.010 Meter tiefe und 1350 Kilometer lange Tiefseerinne im südwestlichen Teil des Pazifischen Ozeans. Als „Scholl Deep“ bezeichnet man den tiefsten dort bekannten Punkt - genau dorthin zog es die Forscher, um dort Proben zu entnehmen und Untersuchungen durchzuführen.
Die 47-jährige Wissenschaftlerin Schnabel hat einen durchaus ungewöhnlichen Werdegang. Sie wurde 1975 in Stade geboren, lebte aber mit ihren Eltern zunächst in Ghana, bis sie sechs Jahre alt wurde. Damals brach dort ein Bürgerkrieg aus, die Familie zog 1981 nach Worpswede - hier lebt ihre Mutter Els Schnabel, gebürtig aus den Niederlanden, bis heute. „Mein Vater arbeitete in Bremen und ich besuchte in Worpswede die Grundschule und Orientierungsstufe“, berichtet sie von ihrer Kindheit in Deutschlands Norden. Kareen Schnabel absolvierte in Lilienthal ihr Abitur, „und ja, einige Freunde in der Region habe ich noch“, gibt sie hörbar gut gelaunt an - durch die vielen Jahre im Ausland sind die Bindungen im Laufe der Zeit weniger geworden, dennoch bestehen Freundschaften in Bremen, Borgfeld, auch in Worpswede. Ihre Mutter hält sie auf dem Laufenden, „und dann gibt es ja noch Facebook“, so die Forscherin.
Sehnsucht nach dem Weyerberg
Wenn sie an ihr ehemaliges Zuhause Heimat denkt, fällt ihr vor allem der Weyerberg ein und auch der Blick aufs flache Land - den würde sie nach wie vor vermissen. Denn schon 1997 zog es sie, damals mit einem noch nicht ganz abgeschlossenem Biologie-Studium, nach Neuseeland. Eigentlich sollte es nur ein Jahr im Ausland werden. Doch Schnabel änderte ihre Pläne. Im Jahr 2000 absolvierte sie ihren Master of Science in Neuseeland. 2009 folgte die Promotion. „Ich habe in der Tiefsee über Krebstiere geforscht, es ging um Genetik und klassische Taxonomie“, blickt sie zurück. Sie beteiligt sich an Forschungsreisen und arbeitet zum Thema Tiefseebiodiversität und den Einfluss der Tiefseefischerei. Sie hat sich spezialisiert und fand so auch eine Festanstellung beim Niwa. Das neuseeländische Institut sei vergleichbar mit dem deutschen Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (Awi). Es folgten viele internationale Reisen, „auch die Anbindung an Deutschland konnte ich so aufrechterhalten“.

Meeresbiologin Kareen Schnabel
2015 bekam sie ihre Tochter, zugleich habe sie sich noch stärker auf die Forschung konzentriert. „Ich kenne mich mit der Tiefseefauna aus und so kam es auch zu dieser ganz speziellen Fahrt mit dem chinesischen U-Boot“, führt sie aus. Das Projek geleitet haben das „Institute of Deep Sea Science and Engineering“ (IDSSE) und die „Chinese Academy of Sciences“ (CAS). Rund 10.010 Meter weit ging es unter die Meeresoberfläche, eine ganz genaue Messung der Tiefe sei gar nicht einfach, berichtet die Wissenschaftlerin weiter. Für sie persönlich war die ungewöhnliche Fahrt ihre erste mit einem U-Boot, insofern sei die Expedition wahrlich aufregend gewesen. „Allerdings stand eine solche Fahrt durchaus auf meiner Wunschliste, ich wollte das unbedingt machen, ich bin nun mal Tiefsee-Meeresbiologin“, erklärt sie.
Feuerwerk in der Tiefe
Das U-Boot ist gut zehn Meter lang und 36 Tonnen schwer, mit einer abgeschlossenen Kapsel für die Besatzung. Diese Kapsel hat einen Durchmesser von 1,80 Meter und in ihr eingeschlossen ging es drei Stunden lang nach unten. „Nach 400 Metern ist das Sonnenlicht weg, es wird dunkel. Die graduierte Veränderung vom hellen Blau ins tiefere Blau, das war wirklich toll“, schildert Schnabel das Erlebnis. Mit einer Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde sank das U-Boot in die Tiefe. Unten sei es zwar stockdunkel, aber es gebe dort viele Tiere, die für Licht sorgen. Durch die Biolumineszenz entstehe eine Art Feuerwerk.

Nordöstlich von Neuseeland ist das U-Boot bis auf 10.010 Meter in die Tiefe getaucht.
Am Ziel angekommen, konnten die Wissenschaftler dort sechs Stunden arbeiten. Sie nahmen Sedimentproben und beobachteten ihre Umgebung mit Kameras. Geologen und Biologen beteiligten sich an der Fahrt, von Interesse für die Wissenschaftler war und ist auch die Frage, wie sich die tektonischen Platten in der Tiefe bewegen. Denn diese Platten formen den Graben, zudem gibt es zahlreiche vulkanische Geschehnisse in der ganzen Region - demnach haben die Forscher noch viele Fragen, auf die sie Antworten suchen. „Auf dieser einen, jetzigen Fahrt konnten mehr Proben gesammelt werden als bei allen bisherigen Fahrten zusammengenommen“, beschreibt Schnabel einen weiteren Erfolg der „Reise“. Sie hofft, dass das Forschungsprojekt weiter betrieben werden kann, geplant ist unter anderem ein Workshop in China.
Familie stets im Blick
Aktuell ist das Schiff auf dem Weg in den Indischen Ozean. Auch Schnabel wird im März auf eine weitere Forschungsreise gehen. Mit Blick auf Deutschland und auch auf ihre Heimat weiß sie, dass Neuseeland für eine Meeresbiologin durchaus ein sehr ideales Umfeld darstellt. „Wir waren als Familie immer international aufgestellt. Mein Vater ist früh verstorben, mein Bruder lebt in Holland, meine Mutter in Deutschland und ich in Neuseeland“, ergänzt sie. Alle paar Jahren besuchen sich die Familienmitglieder gegenseitig. „Nur wenn ich an Weihnachten nach Deutschland fahre, herrscht dort nordisches Schmuddelwetter, während hier in Neuseeland das schönste Sommerwetter ansteht“, sagt sie - vielleicht ist auch deshalb diesmal ihre Mutter nach Wellington gereist, um dort das Weihnachtsfest zu feiern.