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Selbsthilfegruppe in Achim "Wir alle sind am Limit" – das Schicksal von Post-Covid-Erkrankten

Seit ihrer Corona-Erkrankung ist ihr Leben im negativen Sinne auf den Kopf gestellt. Betroffene von Post-Covid kämpfen mit großen Alltagsproblemen, in Achim gibt es seit 2022 einen Ort zum Austausch.
04.08.2024, 16:27 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Von Anne Leipold

„Du siehst aber gut aus.“ Es ist ein Kompliment, das Betroffenen immer wieder zeigt, dass ihre Krankheit nicht sichtbar ist. Dabei hat die Erkrankung an Post-Covid ihr ganzes Leben verändert. „Es kann ganz schnell gehen, von einem Moment auf den anderen kann die Energiereserve verbraucht sein“, sagt Tanja Trivukas. Sie leitet seit 2022 in Achim die Selbsthilfegruppe „Wie ein Fisch im Wasser“, in der sich an Post-Covid-Erkrankte regelmäßig treffen.

Laut aktuellen Studien wird davon ausgegangen, dass etwa zehn Prozent der Corona-Patienten vom Post-Covid-Syndrom betroffen sind. Per Definition des Robert-Koch-Instituts dauern die Beschwerden länger als drei Monate an und sind sehr vielfältig. Um die 200 Symptome sind erfasst. „Es gehen viele Sachen nicht mehr, selbst wenn man sich lange darauf vorbereitet. Ein Gespräch im Supermarkt mit einem ehemaligen Kollegen zum Beispiel kann die ganze Kraft rauben“, erzählt Cornelia Wenzel. Sie hatte sich Ende 2020 mit dem Coronavirus infiziert. „Ich habe sehr schnell festgestellt, dass etwas nicht in Ordnung ist.“ Sie begann, Dinge schnell zu vergessen, obwohl ihr Gehirn vorher wie ein Schwamm gewesen sei. „Das Schlimmste war, ich konnte nicht schlafen.“ Sie erlitt einen Zusammenbruch. Ihre Hoffnung, wieder zu arbeiten, hat sich nicht erfüllt. Sie ist inzwischen frühverrentet. Ihr ganzes Wesen habe sich verändert, womit sie sichtlich noch immer zu kämpfen hat.

Aufstehen fällt schwer

„Ich habe nur geschlafen, zwölf Stunden lang“, erzählt hingegen Martina Jansen. Das Aufstehen fällt ihr noch heute schwer. Sie hat einen Tinnitus und starke Kopfschmerzen, die von Medikamenten unterdrückt werden. „Die Luft am Kopf tut schon weh“, erzählt sie. „Ich finde es schwer, das alles begreiflich zu machen, da man die Symptome nicht sieht.“

Worte finden, sich konzentrieren, die Aufmerksamkeit aufrechterhalten, all das fällt ihnen schwer. Hinzu kommt eine Geräusch-, Geruchs- und Lichtempfindlichkeit, „als hätten die Sinne keinen Filter mehr“, beschreibt Trivukas. Das hat Auswirkungen auf die sozialen Fähigkeiten: zuhören, empathisch sein, in einer großen Gruppe zu agieren. „Wir kommen schnell in die Überforderung. Ich gehe deshalb gar nicht mehr in solche Situationen.“ Hinzu kommt eine große Erschöpfung. „Ich gehe unten an der Treppe als 55-Jährige los, oben komme ich als 85-Jährig an“, beschreibt Trivukas. Die Konsequenz ist der Rückzug aus dem sozialen Umfeld. Auch die Treffen der Gruppe sind für sie herausfordernd.

Krankheit verläuft in Wellen

„Wir alle sind am Limit, da wir versuchen, für die anderen da zu sein“, sagt Trivukas. Hier tauschen sie sich aus, geben Erfahrungen mit Ärzten und Behandlungen weiter, geben sich Ratschläge für die Bewältigung des kräfteraubenden Alltags, der sie jeden Tag aufs Neue herausfordert. „Die Krankheit verläuft in Wellen. Ich weiß nie, wie ist es morgen, ich muss flexibel auf mich reagieren, das ist sehr anstrengend.“ „Ich habe überall Zettel, die mich an die Aufgaben erinnern sollen“, sagt Wenzel. „Ich mache mir sehr viele Notizen, für meine Alltagsaufgaben“, sagt auch Jansen. Das Schlimme für sie alle ist: „Wir können der eigenen Erinnerung nicht mehr trauen“, sagt Trivukas. „Das verunsichert im Alltag stark, wir haben Selbstzweifel, da die Verlässlichkeit auf einen selbst verloren geht“, erklärt Jansen.

Sie machen einander Mut, wenn sie mit der Bürokratie kämpfen, denn für sie alle geht es um die Existenz. „Einige haben einen Pflegegrad oder einen Grad der Behinderung“, erzählt Wenzel. Arbeiten können sie alle nicht mehr. „Ich habe Angst vor der Altersarmut“, sagt Jansen. Trivukas hat ihr Auto aufgegeben, weil sie fahruntauglich ist, zugleich entlastet sie das finanziell. Das verändert die Lebenssituation und schafft Abhängigkeiten, weiß auch Wenzel. Die Gruppe ließ sie erkennen, dass sie nicht alleine ist. „Hier können wir sein, wie wir sind. Der Rückhalt in der Gruppe ist sehr viel wert und befreiend.“ Bettina Kock hat in der Gruppe das Verständnis gefunden, dass ihre Ärzte vermissen ließen. „Ich habe hier Menschen gefunden, die nachvollziehen können, wie es mir geht.“

Aufklärung ist wichtig

Immer wieder müssen sie sich mit Ärzten aufgrund verschiedener Symptome auseinandersetzen, die auch Einfluss auf die Erwerbsunfähigkeit haben. „Es gibt genug Ärzte, die sich nicht damit beschäftigen wollen oder es zeitlich aufgrund von Personalmangel nicht können, und es gibt Ärzte, die Post-Covid infrage stellen“, sagt Trivukas. Aufklärung über die Krankheit mit ihren vielfältigen Auswirkungen finden daher alle wichtig. „Die Krankheit ist noch nicht in der Gesellschaft angekommen“, merkt Wenzel immer wieder. „Die Pandemie ist nicht mehr da, für die Gesellschaft sind wir eine Randfolge.“ Dabei könne die Krankheit jeden treffen, ergänzt Trivukas. Sie hofft, dass die Forschung weiter vorangetrieben wird, auch wenn neue Therapieansätze für ihre chronischen Erkrankungen vermutlich zu spät kommen werden.


Wer weitere Informationen über die Selbsthilfegruppe für Post-Covid-Betroffene „Wie ein Fisch im Wasser“ haben möchte und sich anmelden möchte, kann dies über die Kontaktstelle Selbsthilfe, entweder telefonisch unter 04231/937974 oder per E-Mail an selbsthilfe.verden@evlka.de.

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