Wird Leistung in Deutschland angemessen vergolten? Die Einkommensunterschiede nehmen zu, die Mittelschicht schrumpft, selbst Arbeit schützt oft nicht vor Armut. Was wollen die Parteien dagegen tun?
Themencheck: Ungleichheit Arm trotz Arbeit: Was wollen die Parteien dagegen tun?
Wird Leistung in Deutschland angemessen vergolten? Die Einkommensunterschiede nehmen zu, die Mittelschicht schrumpft, selbst Arbeit schützt oft nicht vor Armut. Was wollen die Parteien dagegen tun?
Die Union verweist vor allem auf Erreichtes: Es gebe in Deutschland mehr Beschäftigung denn je, die Zahl der Arbeitslosen sei auf dem tiefsten Stand seit 1991, die Jugendarbeitslosigkeit die niedrigste in Europa. Löhne und Renten seien deutlich gestiegen, die sozialen Sicherungssysteme solide finanziert. „Diese Erfolge der unionsgeführten Bundesregierung kommen allen zugute, gerade auch den unteren und mittleren Einkommen.“ Konkreten Reformbedarf sieht die Union angesichts dessen kaum. Zu befristeten Arbeitsverhältnissen heißt es lediglich, man werde „offenkundige Missbräuche abstellen“. Um Arbeitnehmer am Erfolg ihres Unternehmens besser teilhaben zu lassen, sollen „Rahmenbedingungen zur Mitarbeiterbeteiligung attraktiver“ werden. Außerdem will die Union die Minijobgrenze von derzeit 450 Euro schrittweise auf bis zu 550 Euro erhöhen.

Die SPD hält sich zugute, in der Großen Koalition wichtige Reformen für die Arbeitnehmer durchgesetzt zu haben, etwa den gesetzlichen Mindestlohn und das Entgelttransparenzgesetz. Gleichwohl sehen die Sozialdemokraten weiteren Handlungsbedarf. So sollen in Leiharbeit Beschäftigte vom ersten Arbeitstag an genauso vergütet werden wie in der Stammbelegschaft. Außerdem will die SPD Leiharbeitsverhältnisse verbieten, die an einen speziellen Arbeitseinsatz gekoppelt sind. Ausnahmen beim Mindestlohn für Langzeitarbeitslose sollen fallen. Andere Vorhaben bleiben unpräzise: Man werde den Missbrauch von Werkverträgen bekämpfen, das „Arbeiten auf Abruf“ eindämmen und Minijobs zugunsten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung abbauen. Zur besseren Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten sollen Gewerkschaften ein Verbandsklagerecht erhalten.

Auch für die Grünen ist die wachsende Ungleichheit der Einkommen ein wichtiges Thema. „Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zu weit geöffnet“, heißt es im Wahlprogramm. Daher müsse der Mindestlohn ausnahmslos für alle Beschäftigten gelten. Geringverdienende sollen durch niedrigere Sozialabgaben entlastet, sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse abgeschafft werden. Ähnlich wie die Linke fordern auch die Grünen nicht nur gleichen Lohn für Leiharbeit, sondern darüber hinaus eine Flexibilitätsprämie. Mit einem Entgeltgleichheitsgesetz und verbindlichen Frauenquoten für Leitungspositionen will die Partei Karrierechancen von Frauen verbessern und gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit durchsetzen. Minijobs wollen sollen schrittweise in reguläre Beschäftigung umgewandelt werden.

Das mit Abstand umfangreichste Forderungspaket legt die Linke vor. Als Sofortmaßnahme will die Partei den gesetzlichen Mindestlohn von derzeit 8,84 auf zwölf Euro anheben. Er soll künftig jährlich steigen und so bemessen sein, dass Altersarmut vermieden wird. Zudem will die Linkesämtliche Ausnahmen streichen, wie sie bisher etwa für Minderjährige und Langzeitarbeitslose gelten. Sachgrundlose Befristungen sollen ersatzsplos wegfallen, Kettenbefristungen verboten werden. Für Beschäftigte in Leiharbeit fordert die Linke gleichen Lohn für gleiche Arbeit sowie eine Flexibilitätszulage von zehn Prozent. Die Einsatzdauer von Leiharbeitsbeschäftigten soll auf drei Monate beschränkt werden. Mini- und Midi-Jobs möchte die Linke abschaffen und durch sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse ersetzen.

Für die Freidemokraten ist Ungleichheit kein Thema. Es geht im Wahlprogramm daher nicht um Umverteilung und Regulierung, sondern um mehr Freiheit. Leitsatz: „Selbstbestimmt zu leben, bedeutet auch, selbstbestimmt zu arbeiten.“ Flexible Arbeitszeitmodelle, etwa Langzeitkonten, sowie digitale Arbeitsplätze sollen „mehr Souveränität in der beruflichen Lebensgestaltung ermöglichen“. Durch zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten würden Familie und Job leichter vereinbar. Davon könnten insbesondere Frauen profitieren, sodass die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern verkleinert werde. Viele geltende Regelungen bremsten Menschen und Unternehmen in ihrem Wunsch aus, selbstbestimmter zu arbeiten. So genüge das Arbeitszeitgesetz nicht mehr heutigen Anforderungen. Die Verdienstgrenze für Minijobs möchte die FDP auf 530 Euro heraufsetzen.

Die AfD stellt fest, dass der zunehmende Anteil prekärer Beschäftigungsverhältnisse sich negativ auf den Wohlstand insgesamt auswirkt. Daher müsse es eine gesetzliche Obergrenze von 15 Prozent Beschäftigten mit Leih- oder Werkverträgen in Unternehmen geben. Leiharbeitsbeschäftigte sollen nach längstens sechs Monaten eine feste Anstellung erhalten, Zeitarbeitsverträge nur einmal verlängert werden dürfen. Für Langzeitarbeitslose, die geringe Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, fordert die AfD eine öffentlich geförderte, sozialversicherungspflichtige Bürgerarbeit von rund 30 Stunden wöchentlich. Der gesetzliche Mindestlohn erlaubt nach Ansicht der Partei eine Existenz jenseits der Armutsgrenze und sei geeignet, die vergleichsweise schwache Position von Niedriglohnempfängern gegenüber den Interessen der Arbeitgeber zu stärken.