Vor vier Jahren flog die FDP als Regierungspartei aus dem Bundestag. Nun haben die Liberalen wieder Fuß gefasst - und nehmen sich in ihrem Wahlprogramm viel vor, vor allem in der Bildungspolitik. WESER-KURIER-Politikredakteur Norbert Holst gibt einen Überblick über das 148-seitige Programm.
Serie zur Bundestagswahl 2017 Das Wahlprogramm im Check: die FDP
Vor vier Jahren flog die FDP aus dem Bundestag. Nun haben die Liberalen wieder Fuß gefasst - und nehmen sich in ihrem Wahlprogramm viel vor, vor allem in der Bildungspolitik. Ein Überblick.
Die FDP will das festgelegte Renteneinstiegsalter abschaffen. „Ob 63, 67 oder sogar 70 – starre Altersgrenzen für den Renteneintritt werden den verschiedenen Lebensentwürfen längst nicht mehr gerecht“, schreibt die Partei in ihrem Wahlprogramm. Daher soll künftig die einfache Regel gelten: „Ab 60 entscheidet jeder selbst, wann er in Rente geht.“ Die Liberalen fügen allerdings hinzu: „Wer früher in Rente geht, bekommt eine geringere, wer später geht, eine höhere Rente.“ Damit die Beitragssätze in Zukunft aufgrund des demografischen Wandels nicht explodieren, will die FDP die betriebliche und private Altersvorsorge attraktiver machen. Jeder Arbeitnehmer soll sich seine individuelle Altersvorsorge nach dem "Baukastenprinzip" zusammenstellen können.

Die FDP spricht sich für die Leiharbeit aus, sie möchte weder Zeitarbeitsverträge noch Befristungen weiter einschränken. Für einen flexiblen Arbeitsmarkt und als berufliche Einstiegschance sei Leiharbeit wichtig, so steht es im Wahlprogramm. Die Freidemokraten fordern einen Neuanfang in der Förderung von Langzeitarbeitslosen: "Konkret sollen die finanziellen Leistungen von Bund und Kommunen (Arbeitslosengeld II, Kosten der Unterkunft und Heizung, Krankenversicherungsbeitrag) mit einem produktivitätsgerechten Lohn des Arbeitgebers kombiniert werden. Für den bisher Arbeitslosen bedeutet das einen Job und mehr Einkommen als zuvor." Die Minijob-Grenze soll von gegenwärtig 450 Euro auf 530 Euro angehoben werden.

Die FDP will den Bürgern das Recht geben, sich unabhängig vom Einkommen in einer privaten oder einer gesetzlichen Krankenkasse zu versichern. Dazu sollen auch die Wechselmöglichkeiten zwischen den beiden Modellen vereinfacht werden. Der Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Kassen soll wieder verstärkt werden, sie sollen mehr Freiheiten bei der Festsetzung von Tarifen bekommen, etwa durch die Einführung von Selbstbehalten des Verbrauchers. Ein Verbot des Versandhandels für verschreibungspflichtige Medikamente, wie ihn die Union fordert, lehnen die Liberalen ab.

Bei der Bekämpfung der Wohnraum-Misere setzt die FDP vor allem auf die Kräfte des Marktes. Die Mietpreisbremse soll abgeschafft werden. Zur Begründung heißt es: "Denn sie ist tatsächlich eine Wohnraumbremse, weil sie Investitionen in mehr Wohnraum verhindert." Die Partei will den Neubau von Wohnungen attraktiver machen und zum Beispiel die jährliche Abschreibungsrate für Gebäude von zwei auf drei Prozent erhöhen. Die FDP sieht den sozialen Wohnungsbau kritisch. Statt "Objektförderung" solle die „Subjektförderung“ gefördert werden – also das Wohngeld für Bedürftige.

Die FDP hebt sich in der Asylpolitik deutlich von Union, SPD, Grüne, Linke und AfD ab. Sie will künftig eine klare Unterscheidung zwischen Kriegsflüchtlingen, politisch Verfolgten und dauerhaften Einwanderern. Kriegsflüchtlinge sollen einen "vorübergehenden humanitären Schutz" in Deutschland bekommen. Die Einwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland soll durch ein Punktesystem, das Qualifikationen auflistet, geregelt werden – SPD und Grüne verfolgen ganz ähnliche Pläne. Die Liberalen stellen in ihrem Wahlprogramm klar: "Das Grundrecht auf Asyl für individuell politisch Verfolgte ist für uns unantastbar." Die Partei plädiert andererseits für die konsequente Abschiebung all jener, die kein Bleiberecht haben.

Die Lage aus FDP-Sicht: „Die der fehlenden Einwanderungssystematik und viel zu langen Asylverfahren geschuldete Tendenz, dass bereits integrierte Flüchtlingsfamilien abgeschoben werden, aber umgekehrt Findige unser System ausnutzen, ist humanitär nicht verantwortbar, gesellschaftspolitisch gefährlich und auch volkswirtschaftlich ein großer Fehler.“ Das bisherige System der Integrationskurse soll durch ein „modulares Integrationsprogramm“ abgelöst werden, das die individuelle Förderung von Migranten ermöglichen soll. Die FDP spricht sich dafür aus, dass die doppelte Staatsbürgerschaft grundsätzlich möglich sein soll.

Im Kampf gegen den Terror sieht die FDP vor allem die internationale Staatengemeinschaft gefordert. "Der für die Terrorabwehr notwendige Datenaustausch und die konsequente Zusammenarbeit der Geheimdienste muss deshalb organisiert werden", heißt es im Wahlprogramm. Auf europäischer Ebene soll Europol aufgewertet werden: "Europol soll (...) zu einer EU-Bundespolizei ausgebaut und ein EU-Nachrichtendienst gegründet werden." In Deutschland will die FDP vor allem den radikalen Salafismus bekämpfen. Geeignete Maßnahmen aus Sicht der Liberalen: konsequente Strafverfolgung, Vereinsverbote, Aus- und Wiedereinreisebeschränkungen für Gefährder sowie deren gezielte Überwachung, beispielsweise mittels elektronischer Fußfessel. Um der Radikalisierung junger Menschen entgegenzuwirken, wollen die Liberalen auch die Propaganda von Salafisten eindämmen.

Die FDP ist gegen eine flächendeckende Videoüberwachung und gegen die Vorratsdatenspeicherung, da mit solchen Überwachungsmethoden "alle Bürger unter Generalverdacht" gestellt würden. Die Liberalen bringen ihre Haltung mit einem Satz aus dem Wahlprogramm auf den Punkt: "Mehr gespeicherte Daten schaffen nicht mehr Sicherheit." Das eigentliche Problem der Sicherheitsbehörden sei fehlendes Personal. Polizei und Justiz sollten daher mehr Geld bekommen. Wörtlich heißt es: „Eine vernünftige Personal- und Sachausstattung von Polizei und Justiz ist die effektivste Waffe im Kampf gegen Verbrecher." Die Digitalisierung in den Sicherheitsbehörden brauche "mehr Tempo". Die FDP fordert eine "Reform der Sicherheitsarchitektur in Deutschland", um die Strukturen zu straffen und effektiver zu machen.

"Wenn Nationalisten Europa mit Propaganda sturmreif schießen wollen, dann muss man für Europas Stärken werben", mit diesen Worten bekennt sich die FDP zur Staaten-Union. Die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei will sie beenden. "Denn eine von Präsident Erdogan zunehmend autoritär regierte Türkei kann (...) kein Kandidat für eine Vollmitgliedschaft in der EU sein", lautet die Begründung. Auch zum Brexit bezieht die FDP Stellung: Es sei wichtig, Großbritannien als einen starken EU-Partner zu erhalten. Aber nicht um jeden Preis: Ein „Rosinenpicken“ oder die Aufgabe grundlegender Prinzipien des Binnenmarktes komme nicht infrage. Generell solle Deutschland international mehr Verantwortung übernehmen.

Die Passagen zum Thema fallen im Programm eher knapp aus. Die FDP ist für eine Anhebung des Verteidigungsetats bis 2024, nennt aber nicht explizit das Zwei-Prozent-Ziel für die Nato-Staaten. Die Ausstattung der Bundeswehr muss aus Sicht der Liberalen verbessert werden. Dazu heißt es: "Die Prozesse zur Beschaffung neuer Ausrüstungsgegenstände gehören grundsätzlich auf den Prüfstand." Für die angestrebte Verstärkung gemeinsamer EU- und Nato-Einsatzkräfte will die FDP den Parlamentsvorbehalt überarbeiten, damit solche Einsätze "verfassungsfest erleichtert werden". Die Richtlinien für Rüstungsexporte sollen "deutlich präzisiert" werden. Waffenexporte in Krisengebiete lehnt die Partei ab.

Die Liberalen bleiben auch im Bundestagswahlkampf 2017 ihrem Ruf als Steuersenkungspartei treu. Das Wahlprogramm nennt die Zielvorgabe: "Dabei halten wir ein Entlastungsvolumen von mindestens 30 Milliarden Euro für eine angemessene Zielgröße." In dieser Größenordnung sollen die Steuerzahler von den prognostizierten Mehreinnahmen des Staates profitieren. Den Tarif der Einkommensteuer möchte die Partei "nach rechts verschieben", sodass es weniger Steuern bei gleichem Einkommen gibt. Schluss sein soll auch mit heimlichen Steuererhöhungen durch die sogenannte kalte Progression. Den Solidaritätszuschlag wollen die Liberalen bereits Ende 2019 abschaffen. Steuererhöhungen für Top-Verdiener lehnt die FDP ab. Auch eine Wiedereinführung der Vermögensteuer soll es nach ihrem Willen nicht geben.

Im Wahlprogramm heißt es dazu: "Wir Freie Demokraten wollen die Investitionen des Bundes in die Verkehrsinfrastruktur erhöhen und damit die jahrelange Unterfinanzierung dort beenden. Denn heute verlieren wir viel zu viel Lebens- und Arbeitszeit, weil Straßen, Brücken oder Schienen nicht saniert oder ausgebaut werden." Zur Finanzierung schreibt die FDP: "Der Staat nimmt jedes Jahr über 50 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben aus dem Straßenverkehr ein. Aber nur etwa ein Fünftel davon fließt in Verkehrsinvestitionen. Angesichts bröckelnder Straßen und Brücken ist das zu wenig. Der Bund muss deutlich mehr Mittel für Verkehrswege bereitstellen." Nach den Vorstellungen der Liberalen soll der Bund in den kommenden 20 Jahren jeweils zwei Milliarden Euro in einen Fonds zur Sanierung der Verkehrsinfrastruktur einzahlen.

Die FDP will die verschiedenen finanziellen Leistungen für Kinder zu einem "Leistungspaket" bündeln. Dieses „Kindergeld 2.0“ soll aus folgenden Komponenten bestehen: dem einkommensunabhängigen Grundbetrag, dem einkommensabhängigen Kinder-Bürgergeld sowie Gutscheinen für Bildung und Teilhabe. Diese Neuregelung des Kindergeldes soll sicherstellen, dass die Leistungen auch tatsächlich bei den Kindern ankommen. Die FDP will auch familienfreundliche Arbeitszeitmodelle fördern. Zudem wollen die Liberalen ein "Bildungssparen für ein lebenslanges Lernen" einführen. Das heißt: Für jeden Euro, der für Bildung zur Seite gelegt wird, gibt es einen staatlichen Zuschuss. So sollen Eltern den Bildungsweg ihrer Kinder von klein auf absichern können.

Die FDP versteht sich als "Anwalt der neuen Möglichkeiten der Digitalisierung". Die Partei will diese nicht nur im Bildungssektor vorantreiben, sondern auch im Verkehr, der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung. Die FDP strebt die "Gigabit-Gesellschaft" an. Die Anteile des Bundes an der Telekom und der Deutschen Post sollen verkauft werden – der Erlös aus dem Verkauf der Beteiligungen soll vollständig in ein flächendeckendes Glasfasernetz investiert werden. Zudem wollen sich die Liberalen für den Aufbau eines Digitalministeriums auf Bundesebene starkmachen. Länderspezifische Zugangssperren zu Webseiten sollen EU-weit aufgehoben werden: "Wir Freie Demokraten wollen den europäischen digitalen Binnenmarkt."

Die FDP fordert einen "Neustart in der Energiewende". Für die Liberalen sind die Erneuerbaren ein „wichtiges Element“ im Energiemix der Zukunft – aber konkrete Ausbauziele mit der Nennung von Jahreszahlen lehnen sie ab. Ebenso wie die staatlich garantierten Vergütungen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Die FDP will das "Dauersubventionssystem des EEG" beenden. Sie fordert: "Auch für die erneuerbaren Energieträger müssen in Zukunft die Regeln des Marktes mit allen Chancen und Risiken gelten." Bei der Errichtung von Windkraftanlagen soll es nach dem Willen der Liberalen künftig strengere Anforderungen geben. So soll der Mindestabstand zur nächsten Wohnbebauung per Gesetz erhöht werden.