Mit 247 Seiten haben die Grünen das umfangreichste Wahlprogramm aller Parteien. Im Fokus: Die Vereinbarkeit von Wirtschaft und Umweltfreundlichkeit. WESER-KURIER-Redakteur Milan Jaeger stellt die zentralen Positionen vor.
Serie zur Bundestagswahl 2017 Das Wahlprogramm im Check: die Grünen
Mit 247 Seiten haben die Grünen das umfangreichste Wahlprogramm aller Parteien. Im Fokus: Die Vereinbarkeit von Wirtschaft und Umweltfreundlichkeit. Milan Jaeger stellt die zentralen Positionen vor.
Die Grünen wollen das Rentenniveau stabilisieren und eine "Garantierente" einführen, sodass eine „auskömmliche Rente“ für jeden dabei herausspringt. Diese soll Menschen, die lange gearbeitet haben, eine echte Lebensgrundlage bieten und höher als die heutige Grundsicherung liegen. Zur konkreten Höhe der Garantierente schweigt das Wahlprogramm allerdings. Nicht abgesicherte Selbstständige, Minijobber und Abgeordnete sollen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden, und auch Langzeitarbeitslose sollen wieder versichert werden. Mittelfristig wollen die Grünen eine Rentenversicherung für alle entwickeln. Zum Renteneintrittsalter heißt es schwammig: "Grundsätzlich halten wir an der Rente mit 67 fest.“ Langfristig soll es aber flexibler werden.

"Die ökologische Modernisierung ist ein gigantisches Innovations- und Investitionsprogramm. [...] Jede in die Gebäudesanierung investierte Milliarde schafft 10.000 zusätzliche Arbeitsplätze im Baugewerbe, im Handwerk und in der Industrie. [...] Unser Ziel ist es auch, dass so viel Kapital wie möglich aus fossilen Energieträgern abgezogen wird und stattdessen dorthin fließt, wo es nachhaltigen Wohlstand und neue Jobs schafft. Ganz nach dem Motto: Die Steinzeit endete, obwohl es noch unzählige Steine gab – und das fossile Zeitalter muss enden, obwohl es noch jede Menge Kohle, Gas und Öl im Boden gibt."

„Wir Grüne wollen die gesetzliche und private Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung weiterentwickeln.“ Die Bürgerversicherung soll die "Zwei-Klassen-Medizin" abschaffen und "eine gute Gesundheitsversorgung für alle" ermöglichen. Hauptkritikpunkt am Status quo: Weil Alte und Kranke in der privaten Krankenversicherung (PKV) mehr zahlen als Junge sowie Gesunde und viele Gutverdiener in der PKV nicht an der Solidarität mit den sozial Benachteiligten beteiligt werden, sei das bestehende System ungerecht. Zuzahlungen für Medikamente und andere Selbstbeteiligungen wollen die Grünen abschaffen. Außerdem sollen lokale Gesundheitszentren die Versorgung in dünner besiedelten Regionen verbessern.

"Wohnen ist für uns Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge." Die Grünen wollen den sozialen Wohnungsbau "viel stärker fördern". Allerdings nicht nur durch Neubau, sondern auch im Bestand. Der Verkauf sowie die Spekulation mit Sozialwohnungen soll beendet werden. Außerdem fordern die Grünen eine "richtige Mietpreisbremse ohne Hintertür". So sollen Mietsteigerungen dort, wo es zu wenige Wohnungen gibt, begrenzt werden. Darüber hinaus wollen die Grünen Genossenschaften "wiederbeleben" und über eine Wohnungsgemeinnützigkeit faires, gutes und günstiges Wohnen schaffen. Außerdem wollen die Grünen das Wohngeld anheben.

Die Grünen sind gegen eine weitere Verschärfung des Asylrechts. Sie fordern, dass Eingewanderte und Flüchtlinge schneller Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit haben sollen. Für Asylbewerber wollen die Grünen die Residenzpflicht abschaffen. Außerdem wollen sie Fluchtursachen bekämpfen und legale Fluchtrouten einrichten. Ein Einwanderungsgesetz, ein europäisches Seenotrettungsprogramm und Aufnahmeprogramme für Schutzbedürftige sollen die Bausteine hierfür sein. Weitere Forderungen: bundesweiter Abschiebestopp für Menschen aus Afghanistan und die Auflösung des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei.

„Für uns Grüne gehört auch der Islam zu Deutschland, wie alle anderen Religionen und Weltanschauungen.“ Damit islamische Glaubensgemeinschaften mit den Kirchen gleichgestellt werden können, fordern die Grünen von den Muslimen aber eine Neuorganisation. Es sei inakzeptabel, wenn Verbände „aus dem Ausland gesteuert und zu politischen Zwecken [...] genutzt werden“. Die vier großen muslimischen Verbände erfüllten derzeit nicht die vom Grundgesetz geforderten Voraussetzungen, um mit den Kirchen gleichberechtigt zu werden. Die islamischen Verbände müssten unabhängige Strukturen in Deutschland entwickeln.

Einsätze der Bundeswehr im Inneren lehnen die Grünen ab. Die Partei will in Personal und Ausstattung investieren, statt Gesetze zu verschärfen. Um zu vermeiden, dass junge Menschen in "menschenverachtende, gewaltpropagierende Ideologien" abgleiten, wollen die Grünen ein bundesweites Präventionszentrum einrichten, das eine übergreifende Präventionsstrategie koordinieren soll. Außerdem wollen die Grünen den Verfassungsschutz grundlegend reformieren: "Ein neues Bundesamt zur Gefahrenerkennung und Spionageabwehr soll mit nachrichtendienstlichen Mitteln, klar abgegrenzt von der Polizei, Terror und Spionage aufdecken. Es soll dabei helfen, dass sich alle in diesem Land, von Punkerin bis Bankerin, von Sachse bis Syrer, sicher fühlen." Der Vorratsdatenspeicherung erteilen die Grünen eine Absage, Videoüberwachung wollen sie nur an bestimmten Orten ermöglichen.

"Wir statten Gerichte, Polizei und Sicherheitsbehörden besser aus – mit mehr Personal, einer guten Aus- und Weiterbildung und zeitgemäßer Technik." Während die Kriminalität insgesamt sinke, verunsicherten Phänomene wie die hohen Einbruchszahlen viele Menschen. "Daher wollen wir Schutzmaßnahmen fördern und im Mietrecht Sicherheitseinbauten erleichtern – denn wir setzen auf wirksame Maßnahmen zur Einbruchsprävention statt auf symbolische Strafverschärfungen." Damit sich Justiz und Polizei auf ihre Aufgabenfelder konzentrieren können, sollen sie von sachfremden Verwaltungsaufgaben und der Verfolgung von Bagatelldelikten entlastet werden. „So ist es beispielsweise unsinnig, dass Menschen im Gefängnis sitzen, nur weil sie ihre Strafe fürs Schwarzfahren nicht bezahlen können.“

Mehr Geschlossenheit innerhalb Europas: "Wir wollen das vereinte Europa stärken. Denn ohne ein vereintes Europa wird es für uns alle weder Frieden noch Wohlstand noch Sicherheit [...] geben. Mit uns wird es eine klare Kurskorrektur in der deutschen Europapolitik geben. Denn es braucht Partnerschaft mit Respekt auf Augenhöhe und mehr Solidarität und Nachhaltigkeit statt einseitiger Sparpolitik. Wir werden massiv in die ökologische Modernisierung und die digitale Zukunft unseres Kontinents investieren und so auch zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in vielen Ländern beitragen. Wir wollen mehr Transparenz für Bürgerinnen und Bürger und mehr Entscheidungsrechte für die Parlamente in der Europapolitik."

Die Grünen wollen Auslandseinsätzen der Bundeswehr nur zustimmen, wenn sie „im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit wie den Vereinten Nationen, der Europäischen Union oder der Nato stattfinden. Es bedarf eines präzisen und umfassenden Mandates durch den Bundestag und einer sorgfältigen Abwägung der Gefahren, Chancen und Risiken. Ein militärischer Einsatz der Bundeswehr muss in eine umfassende zivile Gesamtstrategie und in klare Konzepte [...] eingebettet sein. [...] Eine Erhöhung der Militärausgaben ist nicht sinnvoll, und wir lehnen auch entsprechende Forderungen aus der Nato, die Militärausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, ab.“

Die Grünen wollen das Steuersystem "gerechter" machen: "Arbeit wird [...] häufig höher besteuert als Zinsen und Renditen. Das wollen wir ändern. Die ungleiche Besteuerung von Kapitalerträgen zu allen übrigen Einkünften wollen wir beseitigen, indem diese Erträge wieder dem normalen, persönlichen Einkommenssteuersatz unterliegen." Die Grünen wollen eine Vermögenssteuer für "Superreiche" einführen. "Wir wollen kleine und mittlere Einkommen durch eine Erhöhung des Grundfreibetrags entlasten und zur Gegenfinanzierung den Spitzensteuersatz oberhalb von 100.000 Euro an zu versteuerndem Single-Einkommen erhöhen." Für den Mittelstand, Selbstständige und Arbeitnehmer wollen die Grünen das Steuersystem vereinfachen. Das Ehegattensplitting wollen die Grünen abschaffen.

"Mit einem Bundesnetzplan anstelle des straßenlastigen Bundesverkehrswegeplans beenden wir Grüne das derzeitige Chaos in der Verkehrsplanung. Wir setzen auf: Erhalt vor Neubau, Schiene vor Straße, mehr Geld für Radwege. An den Bundesverkehrswegen wollen wir eine Million neue Bäume pflanzen. Verkehrsinfrastruktur als Daseinsfürsorge darf nicht privatisiert werden, auch nicht indirekt durch ÖPP oder wie bei der jetzt geplanten Bundesfernstraßengesellschaft. Wir lehnen die europafeindliche und bürokratische Ausländermaut ab und wollen sie schnellstmöglich wieder abschaffen. [...] Wir wollen alle Lkw ab 3,5 Tonnen und schrittweise das gesamte Straßennetz der Bundes- und Landesstraßen in die Lkw-Maut einbeziehen."

Im Wahlprogramm heißt es: „Mit der Kinder-Zeit Plus lösen wir das Elterngeld ab. [...] Die Kinder-Zeit Plus kann genommen werden, bis die Kinder 14 Jahre alt sind. [...] In der Kinder-Zeit Plus erhält jeder Elternteil acht Monate finanzielle Unterstützung – weitere acht Monate können frei zwischen den Eltern aufgeteilt werden. Wir unterstützen Eltern insgesamt also zwei Jahre lang.“ Außerdem wollen die Grünen mit dem „Familien-Budget“ ein Zwölf-Milliarden-Euro-Entlastungspaket schnüren, das „zahlreiche Schwachstellen bei der Familienförderung angeht“. So wollen die Grünen „alle Kinder gleich gut unterstützen und Familien in erheblichem Maße entlasten“. Bereits Verheiratete sollen aber auch bei Ehegattensplitting, Kinderfreibeträgen und Kindergeld bleiben können.

„Wir wollen einen digitalen Aufbruch, bei dem Unternehmen, Zivilgesellschaft und Politik gemeinsam dafür sorgen, dass wir [...] unserem Ziel, einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft, näherkommen.“ Mittels der Digitalisierung wollen die Grünen eine ökologische Mobilitäts- und Energiewende herbeiführen. „Den Ausbau von schnellem Internet wollen wir beschleunigen, indem wir zehn Milliarden Euro in den Breitbandausbau investieren. Dafür veräußern wir die Telekom-Anteile des Bundes. […] Wir wollen neue Ideen einfach und unbürokratisch fördern – mit unserem steuerlichen Forschungsbonus von 15 Prozent auf alle Forschungs- und Entwicklungsausgaben für kleine und mittlere Unternehmen. Firmen, die noch keine Gewinne erzielen, bekommen diesen Bonus ausgezahlt. Das hilft besonders den Gründern und innovativen Start-ups.“

"Wir wollen die menschengemachte Klimakrise noch aufhalten. Das geht nur mit 100 Prozent Erneuerbaren. Bis 2030 wollen wir unseren Strombedarf vollständig aus erneuerbaren Energien decken. Dazu werden wir die Obergrenzen für den Ausbau erneuerbarer Energien abschaffen und das Strommarktdesign sowie das komplizierte Abgabensystem auf Energie zugunsten der erneuerbaren Energien und der Speichernutzung novellieren. Bis zum Jahr 2050 soll die Energieversorgung auch für Gebäude, Mobilität und Prozesswärme in der Industrie ausschließlich aus erneuerbaren Energien erfolgen. Darum steigen wir zügig in die Verbindung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität ein und nutzen sinnvolle Möglichkeiten der Elektrifizierung."