Die Schatzkiste der Lebensweisheiten ist nicht nur tief, sondern auch voller Widersprüche. Nehmen wir nur mal die beliebten Floskeln, die sich um den ersten Eindruck drehen. Für den soll es einerseits keine zweite Chance geben. Andererseits aber soll jener erste Eindruck, der sich innerhalb von Millisekunden bildet, selten richtig sein. Tja, und nun? Steht da der Hyundai Staria. Er verkörpert genau diese Widersprüchlichkeit – und macht sie auf nicht weniger als 5,25 Metern Länge im Wortsinn erfahrbar.
Denn wem der Van erstmals vor die Augen kommt, der sieht sich mit der Zukunft konfrontiert. Das Design hat nichts mit dem zu tun, was die Konkurrenz im Segment der Kleinbusse auf die Straße bringt; der Staria ist außergewöhnlich, er steht für sich. Von vorne bis hinten, von der flächigen Haube mit ihrem durchgängigen LED-Band bis zu den Säulen der Heckleuchten, in denen nach dem Vorbild des vollelektrischen Ioniq5 eine Vielzahl quadratischer LED in die Welt hinaus leuchtet, bremsleuchtet und blinkt. So ungefähr dürfte er aussehen, der Dienstwagen von Captain Future. Und natürlich muss im Jahr 2023 in so einer Karosserie ein Elektroantrieb stecken. Das sagt der erste Eindruck. Womit wir bei dessen hoher Fehlerquote angelangt wären.
Der muss doch wohl einen E-Motor haben? Von wegen, hier dieselt es
Denn im Kern ist der Staria traditionell, überaus sogar. Hinter dem breiten – Hyundai selbst nennt ihn gar kühn – Kühlergrill steckt ein 2,2 Liter großer Diesel. Und zwar immer. Das war schon im August 2021 so, als die Koreaner begannen, den Kleinbus in Deutschland als zunächst siebensitzige Luxusvariante namens Signature zu verkaufen. Und es änderte sich auch nicht im Dezember 2022, als mit dem günstigeren Neunsitzer die familientauglicheren Versionen nachgelegt wurden. Zwar kann zwischen Front- und dem im Alltag verzichtbaren Allradantrieb gewählt werden, doch stets gibt im Staria der kultiviert laufende Vierzylinder-Selbstzünder den Verbrennertakt vor – mit 130 kW (177 PS).
Die lassen den gut 2,3 Tonnen schweren Kleinbus genauso vorankommen, wie es von einem Kleinbus erwartet werden darf. Nämlich vor allem entspannt. Die sanft agierende Achtgangautomatik verwaltet 430 Nm Drehmoment, was ihr zumeist treffsicher gelingt. Bei eiligen Anfahrmanövern aber legt die Motor-Getriebekombination einen Gedenkmoment ein, bevor der Gasbefehl in Vortrieb umgesetzt wird. Das ist Gewöhnungssache, doch würde der Hyundai auf diese lästige Eigenart verzichten, es wäre kein Nachteil. So oder so: In knapp über zwölf Sekunden geht es aus dem Stand bis auf Tempo 100 und im Bedarfsfall weiter bis auf 185 km/h. Wer ernsthaft mehr von so einem Fahrzeug erwartet, der ist bei seiner persönlichen Bedarfsanalyse irgendwo ziemlich falsch abgebogen.
Da können sich V-Klasse oder Multivan lang machen – der Staria ist länger
Was der Staria statt Dynamik, mit der schon die leichtgängige Lenkung nichts anzufangen wüsste, richtig gut drauf hat: Komfort. 3,27 Meter Radstand und ein sauber abgestimmtes Fahrwerk lächeln den größten Teil der Fahrbahnunebenheiten gekonnt weg. Und trotz des hohen Aufbaus ist die Wankneigung weniger ausgeprägt als erwartet. Dabei bringt der Staria jede Menge mit, das wanken könnte. Zur schieren Länge – die V-Klasse von Mercedes-Benz wie auch die Langversion des VW Multivan überragt der Hyundai – kommen in der Breite glatte, in der Höhe nahezu zwei Meter.
Das alles macht die Fuhre nicht eben übersichtlicher, weshalb der kamerabasierte Totwinkelassistent hier noch ein wenig lobenswerter ist als in allen anderen Konzernmodellen (Hyundai, Kia, Genesis), in denen er verbaut wird. Ebenso unerlässlich: das Parkpaket inklusive 360-Grad-Kamera für bessere Rundumsicht (750 Euro). Einmal in Schwung beim Häkchensetzen im Konfigurator, sei gleich auch der für das Panorama-Glasdach empfohlen. Das verringert den Kontostand zwar um weitere 1200 Euro, bringt aber viel Licht und ein luftiges Gefühl in den Innenraum.
Davon profitieren vor allem die Passagiere in Sitzreihe drei. Für den Zugang dorthin ist ein gewisses Maß an geschmeidiger Körperbeherrschung nicht von Nachteil, aber keine Voraussetzung. Die eigentliche Trumpfkarte des Neunsitzers aber ist eine andere: Denn trotz kompletter Bestuhlung für ein Handballteam plus einen Ersatzspieler und Trainer bleibt ganz hinten immer noch mehr als genug Stauraum. Auch ohne ausgefuchste Tetris-Kenntnisse lassen sich dann – um beim Beispiel zu bleiben – 831 Liter Gepäck in Form von neun Sporttaschen, Physio-Box, Getränkekiste und Ballnetz unterbringen.
Die Technik hilft, wo sie nur kann: Beim Schutz und Beobachten der Hinterbänkler
Diese Eigenschaften bietet bereits die Basisausstattung namens Trend, die Hyundai mit 48.100 Euro einpreist; der Aufschlag von 5500 Euro für die nobler ausstaffierte Version Prime sollte aber zumindest eine ernsthafte Diskussionsgrundlage sein. Weil der Staria sich dann nicht damit aufhält, Wünsche zu wecken, sondern die meisten erfüllt. Etwa die nach dem elektrischen Betrieb der riesigen, hoch öffnenden Heckklappe oder der beiden Schiebetüren. Die bekommen dann gleich auch noch einen Ausstiegsassistenten verpasst. Der aktiviert sich unterhalb von drei km/h, beobachtet das Umfeld und blockiert die Türöffnung, sofern sich Fahrzeuge von hinten nähern. Zur Kategorie „hübsche Spielerei“ zählt das Passenger View genannte System. Dessen Innenraumkamera liefert dem Fahrer auf dem Zentralmonitor ein Bild davon, ob sich die Kinder – oder Mitspieler der Handballmannschaft – auf den hinteren Plätzen auch zu benehmen wissen. Und müssen sie zur Ordnung gerufen werden: Dafür gibt es den „Talk Modus“, eine Art Gegensprechanlage nach hinten.
Einziger Haken bei der Sache: Der mittige Infotainmentschirm, über den sich all das und noch viel mehr bedienen lässt, ist nach Eigenart eines Großraumvans auch ganz schön weit weg vom Steuer. So braucht die Bedienung vom Fahrersitz aus einen langen Arm, die Verinnerlichung der Systemfunktionen aber keinen langen Atem. Die erklären sich weitgehend selbst und sind dank etlicher Direktwahltasten auch ohne Irrwege durch die Tiefen des Menüs zu erreichen.
Bei einem Testverbrauch von durchschnittlich neun Litern Diesel pro 100 Kilometer macht er all das ziemlich gut, dieser ungewöhnliche Staria. Im Zusammenspiel mit dem 75-Liter-Tank kommt er damit zwar nicht bis in die elektrische Zukunft, aber verdammt weit in der Gegenwart. Da kramen wir also ein weiteres Mal im Schatzkistchen der Weisheiten und finden diese, die ebenfalls zum Staria passt: Der erste Eindruck zählt zwar, der letzte aber bleibt.