Hier befinden wir uns in unserer Schatzkiste“, sagt Volker Lohrmann. Damit meint der 41 Jahre alte Biologe nicht etwa einen Raum voller Gold und Geschmeide. Vielmehr spricht er von jenem Ort im Bremer Übersee-Museum, der sich den neugierigen Augen der Besucher entzieht. Im Insektenmagazin, der täglichen Wirkungsstätte des Kurators und Entomologen (also Insektenkundler), reihen sich meterhohen Regale mit Einschubsystemen aneinander, in die unzählige hellbraune Holzkästen sortiert wurden. Der Inhalt: Insgesamt 700.000 Insekten, die sorgfältig präpariert und mit einer zierlichen Nadel fixiert, von Lohrmann und seinem Team bestimmt und instand gehalten werden. Zusätzlich arbeiten sie seit einiger Zeit daran, die großen naturkundlichen Sammlungen auch jenseits der Museumshallen erlebbar zu machen.
„Ziel ist es, unsere Objekte so zu digitalisieren, dass ihr Hintergrund und ihre Geschichte über das Internet anschaulich vermittelt werden können“, erklärt Lohrmann. Gleichzeitig wollen sie sie damit internationalen Wissenschaftlern für ihre Forschungszwecke online zugänglich machen. Das Vorhaben wird je zur Hälfte unterstützt durch ein Förderprogramm des Bundes und dem Land Bremen.
Das Insektenmagazin mussten sie also mit entsprechender Technik bestücken, um von Bienen, Schmetterlingen, Käfern und ihren Verwandten digitale Bilder in 2D- und sogar in 3-D-Ansicht entstehen zu lassen. Mittlerweile befinden sich nicht nur dort, sondern auch in anderen Abteilungen des Museums hochmoderne Kameras, Mikroskope, Computerbildschirme und Softboxen zum Ausleuchten der Tierpräparate und Kulturgegenstände.
Aber jedes Insekt einzeln ablichten? „Unmöglich“, sagt Lohrmann. Deshalb verfolgen er und seine Kollegen in der Entomologie zwei unterschiedliche Ansätze zur Digitalisierung der kleinen Lebewesen: „Um die große Masse online verfügbar zu machen, fotografieren wir ganze Kästen mit Insekten.“ Die bedeutsamsten und wertvollsten Exemplare würden hingegen auf individueller Basis digitalisiert, mit einem speziellen Mikroskop, das die Dinge nicht nur sichtbar macht, sondern auch detailreich fotografisch abbilden kann. Eine komplexe Software zoomt dafür durch das Insekt und erstellt mithilfe der Überlagerung mehrerer Fotos ein stechend scharfes Gesamtbild auf dem Computerbildschirm.
Die Millimeter kleinen Geschöpfe sind plötzlich riesig: Wegen ihrer schillernden Panzer und Flügel wirken sie auf dem Screen wie überdimensionale Schmuckstücke – Lohrmanns Schätze eben. Der Betrachter kann durch die Vergrößerung in die Oberfläche und Struktur jener Körper eintauchen, die uns Menschen sonst eher artfremd erscheinen. Je länger dieses Eintauchen anhält, desto stärker gerät in Vergessenheit, dass die Insekten in der realen Welt nicht wirklich so monströs sind, sondern dem Menschen im Alltag nur flüchtig begegnen. Alles eine Frage der Perspektive – und vor allem der Technik.