Die Psychologie sagt: Am glücklichsten sind diejenigen Menschen, die am besten mit Veränderungen zurechtkommen. Und wer würde bezweifeln, dass die Welt und Walle in den vergangenen Jahrzehnten einen deutlichen Wandel erlebt haben – und mit Sicherheit auch in Zukunft erleben werden.
Der Seele tut es dennoch gut, wenn sie sich an einer Konstante festhalten kann – etwas, das schon immer war und auch bleibt. Einen solchen Anker bietet seit 40 Jahren das Hart Backbord in der Vegesacker Straße. Gastronom Alex Becker sieht sich als Bewahrer dieses Ortes, als Hüter dieses Schatzes. Er kann seinen Gästen versprechen: Wohin der Wind euch auch weht – hierher könnt ihr immer zurückkehren.
Die Geschichte und die Geschichten der Gaststätte würden ein Buch füllen. Generationen von Gästen könnten ihre eigenen persönlichen Erinnerungen und Anekdoten beitragen. Die Wirtsleute dürfen es sich hoch anrechnen lassen: So wie sich das Haus in mehr als einem Jahrhundert äußerlich kaum verändert hat, ist es ihnen hier gelungen, seine eigentliche Bedeutung als Ort der Begegnung für unterschiedlichste Menschen lebendig zu halten. „Dieses Haus war nie etwas anderes als eine Gaststätte“, erzählt Inhaber Becker, der dem Stadtteil sein Leben lang – und diesem speziellen Ort seit 38 Jahren – verbunden ist. Als er das Steuer übernahm, war das Hart Backbord noch ganz jung, doch die gastronomischen Wurzeln reichen weit zurück.
Das Gebäude entstand, als Bremen seine Vorstadt für Tausende von Arbeitskräften herrichten musste, die der moderne neue Hafen brauchte. Der erste Wirt der Schankwirtschaft an der Ecke Vegesacker/Dorumstraße war ab 1907 Friedrich Hermann Wehaus. Fast 80 Jahre sollte die Gaststätte in Familienhand bleiben. Auf das Ehepaar Wehaus folgten in den 1930er-Jahren Tochter Frieda und Schwiegersohn Johann Winter. In der Nachkriegszeit übernahm Sohn Eugen. Ältere Bewohner des Stadtteils werden sich noch an dessen Ehefrau Ingeborg erinnern, die die Gaststätte Winter nach dem frühen Tod des Ehemanns im Jahr 1966 fast 20 Jahre lang alleinverantwortlich betrieb. Mit ihr endete die Familienlinie – und dann entstand etwas ganz anderes.
Als Alex Becker im Jahr 1984 begann, sich in der Waller Eckkneipe etwas hinzuzuverdienen, hatte sich die ehemals bürgerliche Gaststätte in ein Szenelokal verwandelt, wie man es eigentlich bislang nur aus dem Viertel kannte. Stramm links war nicht nur der Name, und die Nachbarn mussten sich an die neue Schlagrichtung gewöhnen. „Als die Gardinen fielen und stattdessen Grünpflanzen in den Fenstern aufgestellt wurden, war das ein Skandal“, erinnert sich Becker. Der Treffpunkt der politisierenden und friedensbewegten Klientel missfiel auch Vertretern eines weniger friedlichen Milieus: Im Oktober 1985 berichtete der WESER-KURIER von einem Überfall rechtsradikaler Schläger, die Wirt und Gäste verprügelten, die Einrichtung demolierten und lautstark androhten, die „linken Schweine“ fertigzumachen.
Die traditionelle Einrichtung und den unkonventionellen Charakter hat Alex Becker übernommen. Noch heute spiegelt die Inneneinrichtung die Historie und den unverwechselbaren Charme des Lokals: Das Andy-Warhol-Porträt von Che Guevara und die Karl-Marx-Büste gehören ebenso hierher wie das Gründerzeit-Mobiliar und die antiken Emailleschilder.
Ein Stück Zuhause
Politisch eingrenzen wollte sich der neue Betreiber aber nie. „Ich wollte eine Stadtteilkneipe für alle Menschen mit offenen Seelen“, sagt Becker, der in Walle bekannt ist wie der sprichwörtliche bunte Hund: Der umtriebige Vorsitzende des Vereins der Waller Geschäftsleute, der sich unter anderem auch im Vorstand des Kulturhauses Walle und als ordentliches Beiratsmitglied für seinen Stadtteil stark macht, ist ein Naturtalent im Knüpfen sozialer Netze.
In stürmischen Zeiten wurde besonders offensichtlich, wie sehr seinen Gästen ihr Hart Backbord an ihren Herzen liegt. Viele trugen dazu bei, dass das Lokal die Krisenzeit der Pandemie überstehen konnte. Wie wichtig dieser zentrale Treffpunkt für Walle ist, das bestätigten ihm auch viele Einwohner, die sich jüngst beim Stadtteilfest rund um die Tische an der Dorumstraße trafen und ihre Verbundenheit mit diesem besonderen Ort äußerten, erzählt Alex Becker. Für viele Gäste, die schon lange nicht mehr in Walle wohnen, bedeutet das Hart Backbord ein Stück Zuhause. „Obwohl die Einrichtung des Lokals im Laufe der Zeit immer wieder verändert wurde, hören wir immer wieder: Wie schön, dass hier immer noch alles so geblieben ist wie damals. Gut, dass es euch noch gibt.“
Hart Backbord, Vegesacker Straße 60/Ecke Dorumstraße. Täglich ab 18 Uhr geöffnet, Sonntag Ruhetag.