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Werder-Kolumne Trainer entlassen oder Aufstellung kritisieren: Was Präsidenten dürfen

Am Sonntag bekommt Werder einen neu gewählten Präsidenten und wohl auch Aufsichtsrats-Chef. Ein spannendes Amt, meint Jean-Julien Beer. Auch wenn es in der Liga große Unterschiede bei der Machtausübung gibt...
14.11.2022, 16:47 Uhr
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Trainer entlassen oder Aufstellung kritisieren: Was Präsidenten dürfen
Von Jean-Julien Beer

Der Freiburger Trainer Christian Streich hat mal wieder einen tollen Satz gesagt. Nachdem sein Sportclub überraschend auf dem zweiten Tabellenplatz in die Winterpause geht, als erster Bayern-Jäger, sollte Streich Gründe für diesen Erfolg aufzählen. Natürlich gibt es viele Gründe, diesen besonderen Trainer zuallererst. Aber Streich sagte das: „Der Aufsichtsratsvorsitzende unseres Vereins redet mit dem Trainer nicht über Fußball, obwohl er das Spiel liebt.“ Das sei ein Symbol, erklärte Streich, für die Art, wie man beim SC Freiburg seit Jahren erfolgreich arbeite: Jeder macht das, was er gut kann – und redet den anderen nicht rein.

Am Sonntag wird auch der SV Werder einen neuen Aufsichtsratschef bekommen, wenn denn alles glatt läuft bei der Mitgliederversammlung. Ein paar Hürden gibt es noch. So müssen die Mitglieder den bisherigen Präsidenten Hubertus Hess-Grunewald im Amt bestätigen und die neue Struktur durchwinken, die erarbeitet wurde: Werders Vereinspräsident wäre dann nicht mehr hauptamtliches Mitglied der Geschäftsführung, sondern Teil des Aufsichtsrates – und dort der Vorsitzende, wenn die übrigen Aufsichtsräte sich loyal verhalten und den Präsidenten auch zu ihrem Chef wählen.

Mit Hess-Grunewald bekäme Werder einen sehr erfahrenen Aufsichtsratsvorsitzenden: Schon von 1999 bis 2014 wirkte er in diesem Gremium, viele Jahre als Stellvertreter von Willi Lemke. Vom Typ her ist er kein Hoeneß-Attackierer wie Lemke damals, auch kein Fußball-Experte wie Marco Bode. Aber: Hess-Grunewald ist seit Kindestagen im Verein, er hat in der Jugend schon mit Thomas Schaaf Fußball gespielt. Kaum jemand ist im Klub so vernetzt wie er. Man kann ihn einen begnadeten Strippenzieher nennen: Er wird ja auch deshalb demnächst für die Bremer SPD Politik machen, weil ihm das liegt.

Dieser Präsident wird zwar mehr Erfahrung aus dem Profifußball mitbringen als die übrigen Aufsichtsräte bei Werder, dennoch muss Trainer Ole Werner nicht befürchten, dass er künftig Rechenschaft über die Aufstellung ablegen muss. So etwas kommt in der Liga tatsächlich vor: Der damalige Kölner Trainer Peter Stöger erhielt auf seinem Handy entsprechende Nachrichten des FC-Präsidenten Werner Spinner, der sein Leben lang erfolgreich in der Chemiebranche unterwegs war, aber nicht auf Fußballplätzen. Entsprechend verheerend kam dieses Einmischen wegen der Mannschaftsaufstellung an.

Hess-Grunewald hat ein anderes Rollenverständnis. Hier das operative Bundesligageschäft, dort der Aufsichtsrat, der im Hintergrund die Dinge überwacht und Themen „über Bande spielt“, wie er das nennt. Wann so ein Aufsichtsrat wichtig wird, ist in allen Vereinen verschieden. Bei Schalke muss das Gremium jeder Investition schon bei niedrigen sechsstelligen Summen zustimmen, ist also omnipräsent. Das verschaffte dem langjährigen Macher Clemens Tönnies eine Menge Einfluss, aber es war ja auch sein Geld. Als der einstige Schalke-Vorstand Felix Magath dieses ständige Betteln um die Zustimmung des Aufsichtsrates kippen wollte, bekam ihm das sehr schlecht.

Bei Werder muss der Aufsichtsrat nicht zustimmen, wenn Sportchef Frank Baumann einen Spieler wie Jens Stage für etwa vier Millionen Euro kauft. Solange sich die Ausgaben im vorgegebenen Budget bewegen, sind die Geschäftsführer in ihrem Handeln frei. Soll aber ein Trainer entlassen werden, muss bei Werder der Aufsichtsrat zustimmen, anders als bei anderen Vereinen. Als beschlossen wurde, Markus Anfang freizustellen, gab es am Freitagabend vor dem Schalke-Spiel noch eine Videokonferenz mit dem Aufsichtsrat, um sich das Okay abzuholen. Bei der umstrittenen Trennung von Florian Kohfeldt lief es ebenso. Bei der Verpflichtung von Ole Werner hingegen musste der Aufsichtsrat nur informiert werden; ein Vetorecht gibt es nicht.

Auf der Mitgliederversammlung wird übrigens auch über eine neue „Vergütungsordnung“ für die Aufsichtsräte abgestimmt. Diese orientiert sich an Erwägungen wie dem Zeitaufwand für dieses Amt, die dauerhafte Verfügbarkeit und dass man in der Zeit üblicherweise seinen Lebensunterhalt nicht verdienen kann. So steht es im Entwurf. Ein weiterer Punkt, der honoriert werden soll, klingt verwunderlich: nämlich die „Möglichkeit der Inhaftungnahme sowohl in monetärer als auch in strafrechtlicher Hinsicht“. Wer jedoch als Aufsichtsrat erst gar keine Straftaten begeht, müsste derlei eigentlich nicht zu befürchten haben. Wo also liegt das Risiko? Nur gut, dass Hess-Grunewald selbst ein Jurist ist. Er wird darauf achten.

Läuft bei seiner Wiederwahl alles glatt, darf er aber nicht groß feiern oder tanzen: Werders Versammlung findet am Totensonntag statt. Das ist ein stiller Feiertag.

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