Quo vadis, Radio Bremen? Darüber sprechen Brigitta Nickelsen, Direktorin Unternehmensentwicklung und Betrieb, und Jan Weyrauch, Programmdirektor, im Interview mit dem WESER-KURIER.
Radio Bremen blickt auf glanzvolle Zeiten zurück, Namen wie Loriot und Rudi Carrell fallen einem ein. Wo ist heute das Programm, mit dem sie bundesweit angeben können?Jan Weyrauch: In dieser Vergangenheit stecken die Gene von Radio Bremen, und diese wollen wir wiederbeleben. Natürlich geht das nicht mehr in dem Umfang wie früher, aber wir können in einigen Gebieten Exzellenz zeigen: Zum Beispiel mit unseren Dokumentationen für das Erste, fürs Dritte und für Arte, mit denen wir immer wieder Preise gewinnen. Wir machen zwei Tatorte im Jahr, das ist für eine so kleine Landesrundfunkanstalt extrem gut. Im Radio sind wir mit unseren Wellen seit Jahren Marktführer. Und: Wir versuchen uns in Innovation. Beim digitalen „Jungen Angebot“ der ARD sind wir ein großer Treiber. Wenn es voraussichtlich im Oktober startet, werden von insgesamt 20 bis 30 Formaten allein vier von Radio Bremen kommen. Und in den aktuellen Sendungen im Ersten, vom Morgen- übers Nachtmagazin bis zur Tagesschau, sind unsere Netzreporter fast täglich zu sehen. Da ist Radio Bremen dank Tageswebschau sozusagen zum Korrespondentenplatz für Netzthemen geworden.
Laut Ihrem letzten Entwicklungsbericht ist die Existenz von Radio Bremen nach der jüngsten Neuordnung des ARD-Finanzausgleichs „für die kommenden Jahre“ gesichert. Für wie viele Jahre genau?
Weyrauch: Man kann das immer nur für die nächsten vier Jahre sagen – nämlich für die nächste Beitragsperiode. Wir wissen heute nicht, was in vier Jahren kommt. Das Entscheidende ist: Mit dem neuen Finanzausgleich sind wir genauso gestellt, wie alle anderen ARD-Anstalten auch. Alles andere hängt davon ab, was die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs vorschlägt und was die Politik am Schluss an Beitragshöhe genehmigt. Aktuell planen wir für 2017 bis 2020 – und das kriegen wir hin, auch wenn es Anpassungen von 20 Millionen Euro bedeutet.
Sie müssen also 20 Millionen einsparen?
Weyrauch: Das klingt so, als wenn wir weniger hätten – so ist es nicht. Aber natürlich steigen die Kosten.
Brigitta Nickelsen: Wir werden jetzt vier Jahre eine „Nullrunde“ haben, was die Beitragseinnahmen betrifft, da es sicher keine Beitragserhöhung geben wird. Gleichzeitig müssen wir mit der normalen Inflation und Tariferhöhungen bei den Gehältern umgehen. Aber durch den neuen Finanzausgleich sind wir zumindest nicht mehr in der notorischen Unterfinanzierung.

Brigitta Nickelsen, Direktorin für Unternehmensentwicklung und Betrieb bei Radio Bremen.
Weyrauch: Unser oberstes Ziel ist es, dass die Hörer, Zuschauer und User unserer Angebote von den Einsparungen nichts merken. In 2017 wird das definitiv so sein.
Wieviel Spielraum haben Sie denn zum Sparen?
Weyrauch: Sehr, sehr wenig. Fast alles, was wir an Beitrag bekommen, setzen wir in Programm um. Durch den Schrumpfungsprozess der vergangenen zehn Jahre haben wir unser Fett abgeschnitten. Da finden sich so gut wie keine Polster mehr.
Nickelsen: Wir sind inzwischen wie ein sehniger Marathonläufer. Die Muskulatur ist total da, und es gibt vielleicht noch drei Fettzellen am Allerwertesten, die wir in den nächsten vier Jahren kompensieren können. Danach muss man sehen.
Manche Politiker in Bayern würden Radio Bremen lieber heute als morgen abschaffen.
Weyrauch: Die Bundesländer entscheiden darüber, ob sie eine Landesrundfunkanstalt wollen oder nicht. Und dieses Land will das. Es wird übrigens nicht günstiger, wenn die Anstalten größer werden. Warum leistet sich das kleine Bremen eine eigene Landesrundfunkanstalt? Weil sie damals so entstanden ist und weil die Bremerinnen und Bremer ihr Programm lieben.
Wird es jemals eine Fusion mit dem NDR geben?
Nickelsen: Diese Debatte ist in der Vergangenheit geführt worden, aber weder die Intendanten noch die Politik wollen eine solche Fusion. Unsere Wahrnehmung ist, dass es auch von Seiten des NDR keinerlei Interesse daran gibt.
Ab wann wird man Ihr neues Jugendprogramm „Next“ über die Antenne empfangen können?
Weyrauch: Wir sprechen nicht von einem Programm, sondern von einem Angebot. Bei einem neuen Programm denkt man als erstes an ein lineares Radio- oder Fernsehprogramm. Mit Bremen Next wollen wir aber junge Menschen zwischen 15 und 25 vor allem auf ihren Smartphones erreichen. Das klappt über Videos, über Bilder und natürlich auch über Musik.
Deswegen: Radio wird zwar ein Teil dessen sein, was wir vorhaben. Wir werden unsere Inhalte aber so entwickeln, dass sie auf Instagram, Snapchat oder Whatsapp genauso gut funktionieren. Sobald das Genehmigungsverfahren abgeschlossen ist, starten wir. Das wird noch in diesem Jahr sein – natürlich auch mit einem terrestrischen Ausspielweg für den Radioteil, wobei wir noch nicht sagen können, ob wir dies digital über DAB+ machen werden, eine UKW-Frequenz nutzen oder beides.
Steht nicht im Rundfunkstaatsvertrag, dass die Zahl der Hörfunkwellen in der ARD nicht steigen darf?
Weyrauch: Ja, das wurde insgesamt begrenzt, aber genau nach dieser Rechnung schöpft Radio Bremen seine erlaubte Anzahl von vier Wellen derzeit nicht aus. Das Funkhaus Europa ist ein WDR-Programm, welches uns bisher ebenfalls zugerechnet wurde. Das ist falsch. Wir liefern dem WDR zwar Programmteile zu, aber es ist eben nicht unser Programm. In Bremen hört man das exakt gleiche Programm wie in Nordrhein-Westfalen oder in den Sendegebieten der übrigen Kooperationspartner RBB und NDR auch.
Sie versuchen neuerdings, auch mit Youtubern eine junge Zielgruppe anzusprechen. Kann das funktionieren als kleines Radio Bremen? Es gibt doch bei Youtube schon alles, und zwar weltweit.
Weyrauch: Diese Frage kann ich noch gar nicht beantworten. Tatsächlich konkurrieren wir hier auf einem Weltmarkt. Die Antwort kann ich vielleicht in fünf, sechs Jahren geben. Heute kann ich ja nicht einmal sagen, welche Plattformen dann noch relevant sein werden. Ist Facebook dann noch das Ding? Heute ist Facebook Mainstream – was kommt danach? Im Netz geht es sehr, sehr schnell. Deswegen ist es so wichtig, dass wir unsere Inhalte nicht nur auf unseren tradierten Wegen verbreiten, dem linearen Fernsehen und Radio. Wir müssen sehr flexibel sein, experimentieren und auf den Plattformen präsent sein, die junge Leute gerade nutzen.
Nickelsen: Dazu haben wir gar keine Alternative. Es geht darum rauszufinden, welche Inhalte für welche Zielgruppe auf welchem Ausspielkanal funktionieren. Es kann sein, dass wir schon in zwei Jahren sagen: Das mit Youtube hat nicht funktioniert, die Karawane im Netz ist schon weitergezogen. Gerade weil wir so klein sind, können wir den Kurs sehr schnell korrigieren, das ist unser Vorteil.

Jan Weyrauch, Programmdirektor für Radio, TV und Online-Medien bei Radio Bremen.
Ist nicht auch die Frage, was noch öffentlich-rechtlicher Programmauftrag ist?
Weyrauch: Der Auftrag ist, unsere Inhalte an die Beitragszahler zu bringen. Wir können ja niemanden zwingen, sich einen Fernseher zu kaufen. Wenn die nächste Generation nur noch auf dem Smartphone unterwegs ist, ist das eine Realität.
Nickelsen: Der Begriff „Rundfunk“ steht in der ursprünglichen Definition für Radio und Fernsehen. Deswegen sind die Telemedien als Programmauftrag hinzugekommen.
Zum Leidwesen zum Beispiel der Zeitungshäuser, die im Internet Geld verdienen wollen.
Weyrauch: Sicher, das ist unsere Konkurrenzsituation. Aber man muss bedenken, dass wir im Internet ein strenges Werbeverbot haben. Die meisten Zeitungsverlage sehen es anders, aber meine Theorie ist, dass diese Konkurrenz das Internet attraktiver macht. Und wenn das Netz durch Inhalte attraktiver wird, hilft es am Ende allen.
Das Gespräch führte Philipp Jaklin.