Zu viele Menschen in Bremen sind arm. Das bringt Bremen fortdauernd einen traurigen Spitzenplatz im Ranking der Bundesländer oder Großstädte ein. Das Armsein hat dabei viele Gesichter: Lange Schlangen vor den Lebensmittelausgaben der Bremer Tafel etwa. Oder die vielen Kinder, die regelmäßig ohne Pausenbrote mit viel Hunger in die Schule kommen, die im Winter zu dünne Jacken tragen.
Es gibt Stadtteile, in denen macht ein Großteil der Kinder Abitur. Und es gibt Quartiere, da schaffen die meisten allenfalls einen Hauptschulabschluss, ein großer Teil der jungen und älteren Erwachsenen ist ohne Arbeit.
Die Erkenntnis, dass Armut in ihren vielfältigen Formen ein großes Problem in Bremen ist, eint Bürgerschaftsabgeordnete, Senat und Verwaltung. Die Frage aber, wie es am besten angegangen werden kann, spaltet die Lager weiterhin. Ist es effektiv, einen weiteren Ausschuss einzusetzen, in dem Vertreter der verschiedenen Fraktionen nach Debatten und Anhörungen von Experten und Praxiskennern Handlungsempfehlungen formulieren? Oder können Deputationen und andere bestehende Ausschüsse genauso gut überwachen, dass Senat und Verwaltung umsetzen, was zur Armutsbekämpfung taugt?
"Kinderarmut ist zu einem großen Teil Frauenarmut"
Mit drei Anträgen auf Grundlage dieser Fragen und Erkenntnisse hat sich die Bürgerschaft am Mittwoch beschäftigt. Dass am Ende der Antrag der rot-grünen Regierungskoalition eine Mehrheit bekam, der Dringlichkeitsantrag der CDU und jener von der Linken dagegen nur aus den eigenen Reihen Befürworter fand, legen die Mehrheitsverhältnisse im Parlament nahe. Kristina Vogt (Linke) will sich mit dem Ergebnis aber genauso wenig zufrieden geben wie Sandra Ahrens (CDU).
„Ich bin es leid, dem Senat Arbeitsaufträge zu erteilen, die dann nicht umgesetzt werden“, sagte die CDU-Politikerin. Sie hält es für wenig zielführend, dass der Senat laut Koalitionsantrag nun bis Sommer 2016 einen Bericht über die Umsetzung jener Maßnahmen vorlegen soll, die der Ausschuss zur Bekämpfung von Armut und sozialer Spaltung in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen hat. 88 Handlungsempfehlungen, so hieß es im Abschlussbericht im April dieses Jahres, würden über Fraktionsgrenzen hinweg von den Ausschussmitgliedern gemeinsam getragen und sollten dazu beitragen, Armut zu verringern oder gar zu verhindern. Dazu gehören unter anderem mehr und gezieltere Angebote für Alleinerziehende wie flexiblere Kinderbetreuung, Ausbildung in Teilzeit, aber auch aufsuchende Elternarbeit vor allem in sogenannten Brennpunktstadtteilen.
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Für Sandra Ahrens steht fest, dass genau dort ein Hebel ansetzen müsste: „Kinderarmut ist zu einem großen Teil Frauenarmut“, sagt sie und zielt damit auf den hohen Anteil von alleinerziehenden Frauen in Bremen. 96 Prozent von ihnen seien, so Ahrens, sogenannte Aufstocker. Um sie in Arbeit zu bringen, müsse man sich um die Kinderbetreuung bemühen. Die bisherigen Ansätze wie Ausbau der Krippen und Ganztagsbeschulung reichten nicht. Da pflichtet ihr der Fraktionskollege Thomas vom Bruch bei, der den Armutsausschuss leitete. Er halte nach wie vor Bildung für den Schlüssel für mehr Chancengerechtigkeit. „Viele Angebote gehen aber bisher an den Betroffenen vorbei“, sagt er. Eine genaue Prüfung und Verzahnung von Angeboten verschiedener Träger und Initiativen gehört deshalb auch zu den Handlungsempfehlungen.
Vogt: "Habe großes Misstrauen"
Auch die Linke hätte einen weiteren Ausschuss unbedingt befürwortet. So seien Themenfelder wie Altersarmut und Gesundheitsversorgung im Ausschuss von Mai 2014 bis April 2015 gar nicht abgearbeitet worden. Ein neuer Ausschuss hätte besser überwachen können, welche Maßnahmen umgesetzt werden und effektiv sind. „Ich habe großes Misstrauen, was Verwaltung und Senat angeht“, sagte Vogt ganz klar. Die parlamentarische Kontrolle über die Deputationen und bestehenden Ausschüsse reichten nicht aus. Aber die Linke hat ihren „Plan B“. Vogt: „Wir werden jetzt regelmäßig abfragen, welche Empfehlungen abgearbeitet wurden.“
Matthias Güldner (Grüne) hält die Fortführung eines Armutsausschusses für wenig zielführend. Er vermisse bei Vogt Argumente dafür. Es könnten in allen bestehenden Gremien Empfehlungen abgearbeitet werden. In dem Zusammenhang betonte Güldner: „Armut hat immer viel mit Reichtum zu tun.“ So hätten sich die Grünen für einen höheren Spitzensteuersatz, Erbschafts- und Vermögenssteuer stark gemacht, um Geld für die Finanzierung von Projekten gegen Armut und deren Abfederung in die Haushaltskassen zu bringen.
Wie seine Parteikollegin Sozialsenatorin Anja Stahmann verwies auch Güldner auf die bereits umgesetzten Maßnahmen. Den Ausbau von Krippen, Kitaplätzen und Ganztagsschulen zählte er dazu. Stahmann führte als Erfolge auch die frühe Einführung des Mindestlohns im Bundesland, aber auch die Fortführung der Schulsozialarbeit ins Feld.
Die FDP-Fraktion enthielt sich bei der Abstimmung. Aber Lencke Steiner machte deutlich, dass ihre Fraktion gegen einen weiteren Ausschuss sei: „Ich verstehe nicht, warum man jetzt nicht ins Handeln kommt.“