Das nasskalte Wetter, die nur zu Teilen geräumten Wege zum Achimer Bahnhof, der Zug nach Bremen, der eigentlich um 10.59 Uhr kommen sollte, aber kurzfristig ausfiel: alles geschenkt. Den Menschen, die am Sonntagvormittag auf Gleis 2 zusammengekommen sind, geht es um zu viel, um sich von solchen Kleinigkeiten aufhalten zu lassen. Es geht für sie ums Ganze, den Erhalt der Demokratie in Deutschland. Gut 70 Achimer haben sich am Sonntag gemeinsam auf den Weg gemacht, um an der Kundgebung "Laut gegen Rechts" in Bremen teilzunehmen.
Als Michael Schröter, Fraktionsvorsitzender der Grünen, öffentlich dazu aufrief, gemeinsam von Achim nach Bremen zu fahren, war er unsicher, wie viele Menschen er erreichen würde. Würde überhaupt jemand kommen? Oder würden die Grünen mit ein paar Sozialdemokraten und den Omas gegen Rechts am Sonntagmorgen allein dastehen? "Ich weiß es nicht", sagte Schröder noch am Freitag. Als er am Sonntag neben seinen Parteifreunden auf den Zug nach Bremen wartet, wirkt er zufrieden angesichts des stetig voller werdenden Bahnsteigs und kämpferisch in Anbetracht der Herausforderungen, vor der er die Zivilgesellschaft stehen sieht.
Laut auch im Alltag
Denn der Rechtsruck, den vielen Menschen nicht erst seit dem Bericht über Pläne rechter Kreise für die massenhafte Deportation von Menschen mit ausländischen Wurzeln mit wachsender Sorge beobachten, lässt sich nicht in wenigen Tagen aufhalten. Für Schröter geht es darum, "der Demokratie leben einzuhauchen". Gerade junge Menschen müssten sich politisch engagieren. "Geht in die demokratischen Parteien!", fordert Schröter.

Natürlich beteiligen sich auch die Achimer Omas gegen Rechts an der Kundgebung.
Saskia Zwilling, jüngstes Mitglied der Achimer Grünen im Stadtrat, hofft, dass möglichst viele Menschen das Motto der Demonstration "Laut gegen Rechts" mit in ihren Alltag nehmen und rechten Parolen widersprechen – im Privaten, im Beruf und in den sozialen Netzwerken. Ute Barth-Hajen, Ratsvorsitzende und Ratsmitglied für die Grünen, weist darauf hin, dass viele Argumente der Rechten schlicht falsch seien. "Die Leute sollten sich informieren", sagt sie. Außerdem sei es wichtig, nicht immer nur das Schlechte zu sehen. Anders als etwa die AfD behaupte, gehe es den Menschen in Deutschland ziemlich gut. Wer immer betone, was alles nicht funktioniere, spiele den Rechten in die Karten, so ihre These.
"Ich war noch nie demonstrieren."
Den Weg nach Bremen nehmen am Sonntag aber nicht nur solche auf sich, die sich sowieso schon politisch engagieren. Im Gegenteil, die Kommunalpolitiker sind klar in der Minderheit, und als die Gruppe an Gleis 2 immer größer wird, sind die Achimer Omas gegen Rechts schon lange in Bremen angekommen. Diana Schewe erzählt, dass dies für sie die erste Kundgebung überhaupt ist. "Ich bin 53 Jahre alt und war noch nie demonstrieren", sagt sie. Vermutlich sei sie noch nie unzufrieden genug gewesen. Das änderte sich langsam aber stetig in den vergangenen Jahren. Als die AfD 2017 in den Bundestag einzog, sei sie schon schockiert gewesen. Damals habe sie aber noch gedacht, dass sich die Partei schon selbst entzaubern werde.

Diana Schewe und ihr Begleiter sind auf dem weg zu ihrer ersten Kundgebung. Sie haben in ihrem Leben nach eigenen Angaben noch nie demonstriert.
Doch in den folgenden Jahren verstärkte sich bei ihr nicht zuletzt aufgrund von Kommentaren in sozialen Netzwerken, dass die Zahl derer, die rechte Botschaften teilen und vervielfältigen, größer wird. Als sie dann von den "Deportationsfantasien" in rechten Kreisen, über die das Recherchezentrum Correctiv berichtet hatte, las, stand für sie fest: "Jetzt ist Schluss!"
Doch gerade die vergangenen Tage hätten ihr auch Hoffnung gemacht, sagt Schewe. Die Bilder von Zehntausenden Menschen, die zuletzt in Hamburg, Hannover oder Köln auf die Straße gegangen sind, beschreibt die Achimerin als "inspirierend". Sie sei gespannt, ob Bremen ähnlich viele Menschen mobilisieren könne wie die anderen Großstädte. Angemeldet für die Kundgebung waren zunächst 500 Personen. Gekommen sind am Sonntag nach Angaben der Polizei bis zu 40.000 Menschen.