Sie wollen sich vorher nicht gekannt haben. Eine spontane Begegnung auf den Straßen der Stadt, an einem lauen Septemberabend kurz nach Mitternacht. Frau und Mann, die sich stumm, nur mit Blicken zu einem Wettkampf verabreden: Wer ist schneller, wer hat's drauf? Und dann los, volle Pulle. Die beiden rasen mit ihren Autos davon, erst nebeneinander, dann dicht hintereinander, sie überholen gegen jede Regel und fahren bei Rot über eine Kreuzung. Eine wilde Fahrt, die ihr Ende erst findet, als die Polizei eingreift. Die beiden Kontrahenten sind seitdem ihren Führerschein los und müssen Geldstrafen zahlen. So hat es jetzt das Bremer Amtsgericht entschieden. Eine vergleichsweise milde Strafe, die Angeklagten haben noch einmal Glück gehabt, andere aber auch. „Ein Auto ist wie eine Waffe“, sagt die Richterin in ihrer Urteilsbegründung, „es hätte jemand auf die Straße laufen können. Wollen Sie diese Schuld auf sich laden?“
Der Fall beleuchtet ein Phänomen, das es schon lange gibt, das aber erst vor wenigen Jahren in den Fokus rückte. Auslöser war 2016 ein verbotenes Autorennen auf dem Kurfürstendamm in Berlin, bei dem ein Passant ums Leben kam. Die beiden Fahrer waren nach der Tat wegen Mordes verurteilt worden. Seitdem stehen Autorennen als Delikt im Strafgesetzbuch, die Spanne der Strafen reicht von Geldbußen bis zu mehreren Jahren Haft.
Im Land Bremen hat es im Jahr 2020 nach Auskunft der Innenbehörde 49 Vorfälle gegeben. Für das Jahr darauf verzeichnete die Polizei 41 Strafanzeigen. „Menschen, die durch ihr Rasen das Leben von Unbeteiligten gefährden, werden konsequent durch Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten verfolgt“, betont die Behörde. Wer ein Rennen beobachte, solle umgehend die Polizei rufen.
In Niedersachsen hat sich Zahl der Anklagen im Zusammenhang mit illegalen Autorennen binnen zwei Jahren mehr als verdreifacht. Nach Angaben des Justizministeriums in Hannover wurden im vergangenen Jahr bis Mitte November bereits 410 entsprechende Verfahren eingeleitet. 2020 waren es 254, im Jahr davor 126. Die Zahl der Anklagen stieg von 53 im Jahr 2019 auf 161 bis Mitte November 2021. Eine eindeutige Ursache für diese Entwicklung sieht das Ministerium nicht: "Eine Erklärung könnte sein, dass die Polizei verstärkt bei illegalen Straßenrennen kontrolliert und ihre Präsenz erhöht hat", sagte ein Sprecher.
Bei der Bremer Polizei gibt es nach eigenen Angaben seit knapp drei Jahren die Kontrollgruppe „Raser Poser“. Vorbild sind ähnliche Ansätze zum Beispiel in Hamburg. „Die speziell geschulten Kolleginnen und Kollegen sind vor allem in den warmen Monaten des Jahres unterwegs und führen Kontrollen mit zivilen Streifenwagen durch“, so das Innenressort. Die Einheit sei wiederkehrend schwerpunktmäßig an Hotspots wie der Schlachte, am Brill oder dem Kommodore-Johnson-Boulevard präsent.
Eine dieser Streifen ist es, die in der Septembernacht auf den Mann und die Frau aufmerksam werden. Die Polizisten erkennen, wie schnell die beiden unterwegs sind, sie nehmen die Verfolgung auf und schalten an der Windschutzscheibe die Videokamera ein. Nun schießen dort, wo maximal Tempo 50 erlaubt ist, drei Autos mit stellenweise mehr als 90 Stundenkilometern die Bismarck- und Stresemannstraße hinunter, biegen nach rechts in die Malerstraße ein und wenig später auf den Hastedter Osterdeich, wo die beiden Raser schließlich von der Streife angehalten werden.
"Wenn ein drittes Fahrzeug die ganze Zeit hinter Ihnen her fährt, ist das in der Regel die Polizei", hält die Richterin den Angeklagten vor, "Sie haben nichts gemerkt, hatten den Tunnelblick, und das macht es noch gefährlicher." Das sei kein Spaß, sondern bitterer Ernst – "dem werden wir etwas entgegensetzen".
Der Mann, 32 Jahre alt, landet in der Nacht sofort im Gefängnis. Er sitzt dort wegen versuchten Totschlags eine vierjährige Haftstrafe ab und ist an dem Wochenende auf Freigang. Nach dem Autorennen bleibt er hinter Schloss und Riegel. Das sei eigentlich schon Strafe genug, meint sein Verteidiger. Sein Mandant entschuldigt sich: "Ich bereue das sehr." Er sei aus einer Laune heraus so schnell gefahren, "ich wollte den Kopf freibekommen". Die Frau, 27, schweigt. Beide nehmen das Urteil an und müssen zwischen 1000 und 1500 Euro zahlen. Ihren Führerschein sehen sie erst Ende des Jahres wieder.
Für die Richterin ist es der sechste Fall dieser Art, sagt sie. Viermal seien Frauen unter den Angeklagten gewesen. Die Bremer Innenbehörde macht andere Erfahrungen: "Das sind weit überwiegend junge Männer bis etwa 35 Jahre und nur vereinzelt Frauen." Die Raser stammten aus Bremen oder dem nahen Umland. "In den Nachbargemeinden, die eine entsprechende Szene haben, ist es offensichtlich ein Anreiz, immer mal wieder nach Bremen zu kommen. Gerne abends am Freitag oder Sonnabend, um hier ihre Fahrzeuge vorzuführen."