Zigtausende Menschen in Deutschland haben sich am Arbeitsplatz mit Corona angesteckt. Nach der Infektion oder Covid-19-Erkrankung drohen Langzeitfolgen, die die Arbeitsfähigkeit langfristig beeinträchtigen können. Covid-19 kann als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall anerkannt werden. Die Zahlen steigen sprunghaft an, auch in Bremen und Niedersachsen.
Laut der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) sind bei den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen seit Pandemiebeginn bis Ende 2020 bundesweit 30.329 Anzeigen zu einer Berufskrankheit im Zusammenhang mit Covid-19 gemeldet worden, 18.065 wurden als solche anerkannt.
In Niedersachsen wurden 988 Fälle anerkannt – nur in Bayern (5284), Nordrhein-Westfalen (4126) und Baden-Württemberg (3131) waren es mehr. Für Bremen wurde 154 Mal die Berufskrankheit Covid-19 anerkannt. Die Fälle werden nach dem Sitz des Arbeitgebers erfasst. „Die Daten für 2020 zeigen, dass sich die Anzahl der anerkannten Berufskrankheiten insgesamt gegenüber dem Vorjahr verdoppelt hat – dies ist auf die als Berufskrankheit anerkannten Covid-19-Fälle zurückzuführen“, teilt die Unfallversicherung mit.
Mehr als 92.000 Fälle anerkannt
2021 sind es deutlich mehr: Bis Ende Oktober gingen laut DGUV bundesweit 138.760 Anzeigen ein, 92.558 wurden als Berufskrankheit Covid-19 anerkannt; viele Entscheidungen stehen noch aus. Eine Länder-Aufschlüsselung gibt es aktuell nicht.
„Bei einer anerkannten Berufskrankheit übernimmt die gesetzliche Unfallversicherung die Kosten etwa für Heilbehandlung, Reha oder Unfallrente“, sagt Niklas Wellmann von der Arbeitnehmerkammer Bremen. Immer mehr Beschäftigte, die sich am Arbeitsplatz mit Corona infiziert hätten, meldeten sich in der Kammer-Beratungsstelle. Viele seien langfristig erkrankt, teilweise ein halbes Jahr oder länger.
„Ein großes Problem ist jedoch, dass bei der Berufskrankheit Covid-19 die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht festgestellt werden kann – weil das Krankheitsbild noch nicht klar definiert ist. Das hat Auswirkungen auf die Leistungen, ab einer Minderung von 20 Prozent hat man Anspruch auf Unfallrente“, so Wellmann. Bis zu 78 Wochen könne zwar ein Verletztengeld gezahlt werden. „Was ist aber, wenn die die Arbeitsfähigkeit längerfristig eingeschränkt ist? Das muss dringend geregelt werden.“
Covid-19 wird derzeit nur bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst, der Wohlfahrtspflege und in Laboren als Berufskrankheit anerkannt – seit Ende 2020 auch bei Kita-Erzieherinnen und -Erziehern. Nicht aber bei Beschäftigten in Supermärkten, in der Gastronomie und anderen Berufen mit vielen Kontakten. Sie können Covid-19 als Arbeitsunfall anzeigen; einen Unterschied bei den Leistungen macht das laut Wellmann nicht. „Aber es gibt Hürden, sie müssen etwa einen intensiven Kontakt mit einer infektiösen Person nachweisen. Im Falle einer Supermarkt-Kassiererin, die täglich mit Dutzenden Kunden Kontakt hat, ist das nahezu unmöglich“, so Wellmann. Die Kammer fordert eine Ausweitung der Berufsgruppen bei der Anerkennung als Berufskrankheit.
Bremen hat sich, angestoßen durch einen Bürgerschaftsantrag von SPD, Linken und Grünen, mit Berlin für eine solche Ausweitung im Bund eingesetzt – ohne Erfolg. Vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales hieß es, dass sich derzeit keine anderen Tätigkeiten identifizieren ließen, für die es ein vergleichbar hohes Covid-19-Erkrankungsrisiko gebe – dafür fehle es an Daten. Wellmann kritisiert das: „Deutschland hinkt bei der statistischen Bearbeitung der Pandemie auch nach fast zwei Jahren hinterher. Solche Daten braucht man auch, um gezielte Behandlungsangebote zu machen.“ An Covid-19 erkrankte und infizierte Beschäftigte sollten sich in jedem Fall bei Unfallkasse oder Berufsgenossenschaften melden und dies als Arbeitsunfall oder Berufskrankheit anzeigen, rät er. „Langzeitfolgen können auch später auftreten.“
4000 Reha-Maßnahmen
Laut der Deutschen Rentenversicherung Bund, die 1000 Reha-Kliniken betreibt, wurden 2020 bundesweit 1300 Reha-Maßnahmen im Zusammenhang mit Covid durchgeführt. „Im ersten Halbjahr 2021 waren es bereits 4000 Reha-Maßnahmen. Die Zahlen werden nach unserer Einschätzung deutlich steigen“, sagt Sprecherin Katja Braubach. Laut der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation weisen bis zu 15 Prozent der Corona-Erkrankten eines oder mehrere Post-Covid-Symptome auf. „Im Hinblick auf die circa vier Millionen Erkrankten in Deutschland seit Februar 2020 bedeutet das eine Zahl von bis zu 600.000 Patienten“, so die Gesellschaft.