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Fotoreportage „Etwas für Leute, die drauf ticken“

Norbert Sill mag alte Technik und Musik. Er betreibt einen Onlineshop, über den er Vinylplatten anbietet. Privat besitzt er mehr als 2000 Scheiben – und so manch musikalische Rarität.
12.03.2023, 06:00 Uhr
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„Etwas für Leute, die drauf ticken“
Von Kevin Frese

Nach einem Klack-Geräusch fährt sie aus dem Register heraus. Dann schmiegt sich der Plattenteller von unten langsam an das schwarze Vinyl heran und schiebt es hoch bis zum Tonarm. Die Nadel rutscht in die Rille, „Bluejean Bop“ von Gene Vincent liegt in den Ohren.

Norbert Sill steht im Trainingszipper an seiner Jukebox, die in warmen Orange­tönen das Wohnzimmer beleuchtet. „Sie spielt nur eine Seite der Platte und hat ordentlich Wumms“, beschreibt er die Besonderheit der US-amerikanischen Rock-Ola-Anlage. Sill hat ein Faible für Musikraritäten und alte Technik. „Etwas für Leute, die drauf ticken“, sagt er. Dinge zu haben, die andere nicht haben und auch gar nicht kennen, sei nie sein Antrieb gewesen, versichert der 60-Jährige. „Das ist keine Kopfgeschichte.“

Fast überall in seinem Haus hängen gerahmte Porträts, unter anderem von Bill Haley und Little Richard – Rock ’n’ Roll. Auch ein signiertes Plattencover der ­Beatles ist zu sehen. Hinter einer Tür im Obergeschoss verbirgt sich seine „Spielwiese“, wie er sie nennt. Hier trifft er sich oft mit Freunden; es wird gequatscht, getrunken und – natürlich – Musik gehört. Mehr als 2000 Platten stehen zwischen Erinnerungsstücken wie einem Tourplakat der Band Ton Steine Scherben, ausgefallenen Keramikvasen, in Weiß und Pink gehaltenen Designerstühlen, deren Armlehnen an Adlerflügel erinnern, und einem Bühnenbrett aus dem Star-Club Hamburg. In dem Musikschuppen gaben einst viele weltberühmte Bands ihre Songs zum Besten. „Die DNA ist das Entscheidende, der Schweiß aller Beat-Musiker steckt da drin“, gießt Sill seine Begeisterung für das Unikat in Worte.

Der gelernte Tischler beschäftigt sich nicht nur privat mit Musik. Hauptberuflich kauft er seit ungefähr eineinhalb Jahren Schallplatten an. Auf diesen Ankauf, der zurzeit eher mäßig laufe, ist er angewiesen, bevor er die Scheiben prüft, bewertet und schlussendlich in seinem Onlineshop Twiddle Records verkauft. Die Prüfung hält ihm zufolge am längsten auf, denn „sie ist mit Recherche verbunden“, sagt er. So ist jede Scheibe mit einer individuellen Matrixnummer ausgestattet, die sich im Run­out, also im Auslaufbereich des Tonarms, befindet. Diese Zeichenfolge lässt Rückschlüsse darauf zu, aus welchem Land der Tonträger stammt. Vielen Sammlerinnen und Sammlern, die in Sills Onlinearchiv stöbern, ist diese Info genauso wichtig wie die über den Zustand der Platte. „Ob es Kratzer gibt, sehe ich ganz gut unter der Vergrößerungskamera“, erläutert er. Wobei die teuersten Scheiben oft die kaputtesten seien.

Im Lager und Büro in Woltmershausen, wo er viermal so viel Vinyl hat wie zu Hause, zieht er eine völlig verkratzte Platte aus dem Regal. „Die ist zwar selten, wirft in diesem Zustand aber keinen Cent mehr ab, ansonsten kostet die mindestens 500 Euro“, sagt er, während er sie mit seinen Fingern streichelt. „Ich kann mich trotzdem nicht von ihr trennen.“

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