Am Osterdeich kommen heute erste Frühlingsgefühle auf. Es ist Freitagnachmittag. Die Sonne glitzert auf der Weser beim Segelverein. Im "Bootshaus am Weserbogen" sitzt die Terrasse voller Menschen, vor ihnen Cappuccino, Limonade, Kuchen – und die ersten Aperol Spritz.
Volker Lux und Uli Junge von Werder High sitzen im Lokal. Alkohol ist in der Gesellschaft akzeptiert. Ganz anders sieht der Blick vieler auf Cannabis aus. Das jetzt vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Legalisierung könnte daran etwas ändern.
Die Bremer hoffen darauf. Ihr Verein dürfte demnach künftig eigenes Cannabis anpflanzen. Auf der Seite von Werder High läuft ein Countdown runter. "Es ist fast geschafft", heißt es dort. Die Tage, Stunden, Minuten und Sekunden bis zum ersehnten 1. April werden gezählt.
Lux und Junge tragen beide einen Vaporizer zum Cannabisgenuss bei sich – schlichte schwarze Modelle. "Ganz unscheinbar", sagt Lux. "Sieht aus wie eine E-Zigarette." Ihre Verdampfer haben mit einem Joint nicht mehr viel zu tun.
"Wir sind keine kriminellen Menschen und machen eigentlich auch nichts Unrechtes", sagt Lux. "Wem schaden wir denn? Niemandem." Der Besitz von Cannabis steht bisher jedoch unter Strafe. In Zukunft soll das anders sein: Erwachsene sollen etwa bis zu 25 Gramm für den Eigenkonsum in der Öffentlichkeit bei sich haben dürfen.
Ob das Cannabisgesetz wie geplant zum April diese Freiheiten bringt? Das ist nicht klar. Der Bundesrat kann das Vorhaben ausbremsen. In den Ländern formiert sich Widerstand. Ein Dringlichkeitsantrag der CDU in der Bremischen Bürgerschaft scheiterte allerdings.
Aus Sicht von Lux und Junge gibt es in der Gesellschaft einige verkehrte Bilder in den Köpfen. Vielen sei gar nicht klar, wie Cannabis überhaupt wirke. "Wir konsumieren mit ganz viel Bedacht", sagt Lux, der stellvertretende Vorsitzende des Vereins. "Wir haben sogar Leute, die ganz klar sagen: Alkohol oder Tabak – das ist mir zu gesundheitsschädlich."
Die 100 Mitglieder von Werder High kämen aus der Mitte der Gesellschaft und sämtlichen Berufsgruppen. Im vergangenen Jahr gründeten die Bremer den Verein. "Wir haben unsere Strukturen über den Winter aufgebaut. Jetzt geht es schon in Richtung Anbauvereinigung", sagt Lux. 75 Jahre sei der Älteste hier. Viele Schmerzpatienten seien dabei – Cannabis ist ihre Heilpflanze.
Junge selbst gehört zu dieser Gruppe. Cannabis ist ihm verschrieben worden. Die Substanz helfe: "Es nimmt mir meine Schmerzen zu 98 Prozent." Per Post aus der Apotheke erreicht ihn das Cannabis. Die Hürden dafür seien jedoch hoch – vor allem für die Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Es selbst zu zahlen? "Das können sich viele gar nicht leisten", sagt Junge, der in der IT arbeitet. Die ihm verschriebene Dosis koste 350 bis 400 Euro im Monat. "Die muss ich aktuell selber tragen."
Junge und Lux ist besonders wichtig, über Cannabis zu informieren – ohne den Konsum zu verherrlichen. Die Legalisierung mache die Aufklärungsarbeit erst möglich. Junge engagiert sich in der Präventionsgruppe bei Werder High. Gerade für den Schutz von Kindern und Jugendlichen müsse viel mehr passieren. Es sei eine Katastrophe, was auf Schulhöfen und Spielplätzen zu beobachten sei. Der Konsum von Cannabis kann Studien zufolge bei jungen Menschen Schäden im Gehirn verursachen.
Um den Schwarzmarkt wirklich zu bekämpfen – auch zum besseren Schutz der Jugend – reiche das Gesetz nicht aus. Dafür sei es notwendig, Cannabis im Fachhandel kaufen zu können. Eine echte Legalisierung kommt mit dem Gesetz in ihren Augen noch nicht. Um den Bedarf allein in Bremen zu decken, brauche es viele Anbauvereinigungen wie ihre. Zwar soll auch der Eigenanbau mit bis zu drei Pflanzen erlaubt werden. "Es hat aber nicht jeder einen grünen Daumen", sagt Lux. Der Schwarzmarkt sei auch ein Problem, weil dort Cannabis mit teils gefährlichen Beimischungen gehandelt werde.
Werder High könnte schon jetzt viel mehr Mitglieder haben. Die Nachfrage ist hoch. Doch es gibt einen Aufnahmestopp. Die Gründer wollen eine gewisse Größe anfangs nicht überschreiten. Ihr Bremer Cannabis Social Club soll nicht bloß eine Abgabestelle für die Substanz sein. Es geht ihnen auch um die Gemeinschaft.
Ein Vereinsheim gibt es noch nicht. Die Suche nach Anbauflächen läuft. Ein Schutzabstand von 200 Metern müsste dabei eingehalten werden. "Wir werden im Grunde in irgendwelche Industriegebiete gedrängt oder aufs Land", sagt Lux. Ein Platz im Hafen sei vielleicht auch denkbar. Ab dem 1. Juli könne bei den Behörden voraussichtlich der Antrag für die Anbauflächen gestellt werden. Zahlreiche Auflagen gebe es. "Das ist ein Riesenkraftakt für uns Klubs", sagt Lux. "Ich bin von Beruf Projektleiter. Das ist wie ein kleines Unternehmen aufzubauen." Zusammen rauchen dürfen die Mitglieder vor Ort später nicht. Das stört viele der Cannabisklubs am Gesetz.
Konsumiert werden darf auch nicht in Sichtweite von Schulen, Kindergärten oder Spiel- und Sportplätzen. Um die 100 Meter soll Abstand gehalten werden. Eine Karte für Bremen gibt es noch nicht, wo sich Verbotszonen demnach befinden. Die beteiligten Ressorts stimmen sich zum Cannabisgesetz noch ab. Ein Softwareentwickler aus Koblenz hat eine "Bubatzkarte" für Deutschland programmiert – ein erster Anhaltspunkt.
Die Kritik am Tempo, die nun teils aufkommt, können die Werder-High-Mitglieder nicht nachvollziehen. Die Länder hätten sich aufs Gesetz vorbereiten können, das ursprünglich sogar zu Jahresanfang gelten sollte. "Jetzt haben wir schon einen Verzug um drei Monate", sagt Lux. Auch der Hinweis auf die vielen zu bearbeitenden Strafverfahren sei kein Argument. Wirklich wichtig sei doch vor allem, die Fälle anzuschauen, bei denen Menschen wegen Cannabis in Haft säßen. In Bremen sind deshalb, wie berichtet, 50 Menschen im Gefängnis. Einige Politiker betrieben Panikmache. Studien wie aus Kanada belegten, dass eine Legalisierung nicht gefährlich sei. "Es gibt einen kurzen Peak. Alle probieren das mal aus und dann normalisiert sich das", sagt Lux.
"Jede Substanz hat ihre Risiken", findet Junge. Der Umgang mit Cannabis sei ein bisschen heuchlerisch mit Blick auf den Alkoholkonsum – etwa auch von Jugendlichen auf jedem Dorffest.
Am Freitag geht das Gesetz in den Bundesrat. Diesen Tag wollen die Bremer abwarten. Eine Feier soll es auf jeden Fall geben, wenn die Teillegalisierung zum April durch ist. Lux: "Das wäre ein tolles Ostergeschenk."