Sie arbeiten bei Nässe und Minusgraden auf dem Markt, auf engem Raum – und kommen jedes Jahr wieder. Wer sind die Menschen, die den Bremer Weihnachtsmarkt am Laufen halten? Der WESER-KURIER hat mit vieren von ihnen gesprochen: über Durchhaltevermögen und den Weihnachtsmann-Kodex, Strategien gegen die Kälte und befremdliche Kundenwünsche.
„Willkommen, Besucher“, tönt es vom Obstler-Stand. In Bastkörben türmen sich kunstvoll verkorkte Fruchtweine, Liköre und Obstbrände. Met wechselt in bauchigen Keramikkrügen den Besitzer. Markus Seitz, der Mann in knöchellanger Mönchskutte, mit grauem Vollbart und einem verschmitzten Grinsen, ist schon seit 2004 fester Teil des Schlachtezaubers.
Mit seinem gutmütigen Lächeln, der Brille, Hut und Gewand erinnert er ein wenig an Albus Dumbledore, den weisen Zauberer aus den Harry-Potter-Büchern. Mit der Kundschaft schäkern, in die Rolle des mittelalterlichen Verkäufers schlüpfen und bei der Wahl der richtigen Spirituose beraten – das fällt Markus Seitz leicht. „Der Markt ist eine große Bühne“, sagt Seitz. „Wir verkaufen uns zum großen Teil selber.“
Anders als bei der Klientel, die sich für Schmuck interessiere und in Ruhe eine Kaufentscheidung treffen wolle, erfordere seine Ware mehr Offenheit gegenüber dem Kunden. „Bei meinem Stand braucht es ein gewisses schauspielerisches Talent“, erklärt der Standbetreiber. „Ich gehe offensiver mit meinen Kunden um.“

Met, Likör oder Obstbrand? Markus Seitz bietet seit den Anfängen des Schlachtezaubers Spirituosen an.
Sogenannte Pen-und-Paper-Rollenspiele, in denen die Mitwirkenden Charaktere aus anderen Welten mimen und damit auch den Habitus von fiktiven Figuren übernehmen, gaben Seitz die Chance, sich schauspielerisch auszuprobieren. Irgendwann habe er dann sein Hobby zum Beruf gemacht, sagt Seitz.
Der frühere Speditionskaufmann tauschte sein Büro an der Schlachte gegen den selbst gebauten Stand aus Eschen- und Nadelholz. Etwa 20 Wochenenden im Jahr stehe er neben dem Frei- und Weihnachtsmarkt auf Handwerker- und Mittelaltermärkten hinter dem Verkaufstresen. An den Markttagen ist Durchhaltevermögen gefragt. „An einem typischen Marktwochenende arbeite ich von Freitag- bis Montagfrüh gut 48 Stunden. Mehr als Normalbürger in einer Woche“, sagt Seitz.
Am Obstler-Stand dürfen alle Spirituosen probiert werden. „Selbst wenn jemand keine Ahnung von Likör und Met hat, weiß er immer, was ihm schmeckt“, sagt Seitz. Alte Haselnuss bei den Bränden, schottischen Whisky bei den Likören und den Samthauch bei den Weinen – so lautet seine persönliche Lieblingswahl. Er selbst trinke nur selten Alkohol. „Wenn Alkohol ständig verfügbar ist, ist er nichts Besonderes mehr.“ Bei seiner Produktpalette achtet Seitz zudem auf Authentizität. „Ich versuche, kein Trendsetter zu sein“, erklärt der Selbstständige, er verkaufe etwa keinen Gin. „Trends gehen vorbei. Aber das Mittelalter steht für Kontinuität.
Sie ist der wohl bekannteste Punsch in der Adventszeit: die Feuerzangenbowle. Auch auf dem Bremer Weihnachtsmarkt wird das Getränk angeboten, entsprechende Buden gibt es einige. Die Hütte mit der Standnummer W125 ist eine von ihnen und befindet sich auf der Höhe des Ratskellers.
In ihr wuseln rund vier Frauen und Männer in dicken roten Daunenjacken umher, kümmern sich um Zubereitung und Ausschank der Feuerzangenbowle. Es ist noch nicht viel los an diesem Nachmittag, doch etwas zu tun, gibt es immer. Auch Swantje Strauß arbeitet hinter dem Tresen – und das schon seit rund zehn Jahren. Immer derselbe Stand, immer nah am vorweihnachtlichen Geschehen.

Dick eingepackt in einer Daunenjacke bedient Swantje Strauß seit zehn Jahre jene Weihnachtsmarktbesucher, die ihren Durst mit einer Feuerzangenbowle löschen möchten.
„Eigentlich bin ich gelernte Schifffahrtskauffrau“, erzählt sie. Doch mit der Geburt ihrer Kinder habe sie ihren Beruf an den Nagel gehängt und sich umorientiert. Seitdem findet man sie jedes Jahr hier. Besonders praktisch: „Mein Partner arbeitet in derselben Bude.“ Ihren Job liebe sie „sehr“, was auch damit zu tun habe, dass ihr das Weihnachtsfest ganz besonders am Herzen liege. Die 46-Jährige kümmert sich gerne um das Wohl ihrer Kunden – mit einem sanften Lächeln auf den Lippen, auf eine ruhige Art. Selbst, wenn es mal stressig wird, kann sie einen kühlen Kopf bewahren. In der gastronomischen Szene ist das eine wichtige Tugend. Insbesondere an den Wochenenden sei nämlich ab 17 Uhr viel los und die Menschen würden sich rund um den Stand drängen.
„Die Stimmung ist total ausgelassen, das ist schön zu beobachten“, sagt Strauß. Dass mal jemand völlig betrunken an der Bude versacke, komme hingegen seltener vor. Dafür sei das Publikum sehr durchmischt: Alle Altersklassen, unterschiedliche Nationalitäten. „Vergangenen Freitag stand quasi ganz Europa hier, vor allem Niederländer und Spanier“, berichtet die Bremerin. Gegen die Kälte wappnet sie sich mit dem Zwiebelprinzip. Das war früher noch anders: „Damals stand ich hier nur in einer Strumpfhose, aber ich werde wohl auch älter“, sagt sie und lacht.
Vorsichtig nähern sich drei Kinder dem Weihnachtsmann auf der großen Bühne hinter dem Rathaus. Eine gewisse Zurückhaltung liegt auf ihren Gesichtern, von den wartenden Eltern kommen ermunternde Worte. Mit schnellem Griff fischt der Weihnachtsmann drei bunt gestreifte Zuckerstangen aus seinem Jutebeutel und reicht sie den beiden Mädchen und dem Jungen. „Manche Kinder sind ängstlich, besonders Jüngere“, sagt der Weihnachtsmann erklärend. „In einigen Fällen empfehle ich, im nächsten Jahr noch einmal wieder zu kommen.“

Gelassenheit, einen Naturbart und Liebe für Kinder – gute Voraussetzungen für eine Tätigkeit als Weihnachtsmann, sagt Peter Arndt.
Im richtigen Leben heißt der Weihnachtsmann Peter Arndt. Seit gut zehn Jahren schlüpft er in der Vorweihnachtszeit in seinen roten Mantel. Früher als Karstadt-Weihnachtsmann im 4. Stock, heute auf dem Weihnachtsmarkt. Maßregeln möchte der Bremer Weihnachtsmann höchstens vorlaute Großmütter, aber keine Kinder. „Seine Rute hat der Weihnachtsmann längst verlegt und findet sie nicht mehr wieder“, sagt Arndt. Außerdem sei es Aufgabe der Eltern, die Kinder zu erziehen.
Kinder unnötig ängstigen, das liegt Arndt fern. „Die Angst ist überall, die muss man bekämpfen“, sagt der 84-Jährige. Weihnachtsmann sein, das ist für Peter Arndt keine leichte Aufgabe. „Der Weihnachtsmann hat ja eine Würde, eine Autorität, er ist eine Idealfigur.“ Vor einigen Jahren habe er deshalb versucht, einen Ehrenkodex der Bremer Weihnachtsmänner aufzustellen. Gegen die Verwahrlosung der Zunft - und für gemeinsame Werte wie Frieden, Gerechtigkeit und Chancengleichheit. LKW-Fahrer, die mal eben so zum Weihnachtsmann umschulen – das findet er problematisch. Besonders, wenn die Kinder sich fürchten.
Von der Furcht in der Kindheit kann der Süstedter selbst Geschichten erzählen. Er habe den Zweiten Weltkrieg als Fünfjähriger miterlebt, sagt Arndt. Die Bombennächte, das Spielen in den Trümmern – die heutige Not in der Ukraine könne er nachfühlen. Später folgt ein turbulentes Leben, so zumindest erzählt es der 84-Jährige. Ein Jurastudium im Saarland, Aufenthalte in Paris, ein Einstieg in die Politik als Mitglied der Grünen. Mittlerweile verbringt Arndt gerne Zeit mit kreativen Beschäftigungen. „Ich bin Maler, Dichter und schreibe Geschichten“, sagt er.
Wie er die Kinder von heute wahrnimmt? Darüber denkt der Bremer Weihnachtsmann einen Moment nach. „Es ist schwierig geworden, Kind zu sein“, sagt Arndt. „Viele sind völlig süchtig nach dem Internet.“ Vor einigen Jahren habe er noch viele Weihnachtsmärchen vorgelesen, doch die Aufmerksamkeitsspanne sei gesunken. „Die Kinder wollen das nicht mehr, sie hören nicht mehr zu. Viele kommen nur noch für ein Foto vorbei.
Wer über den Weihnachtsmarkt in der Bremer Innenstadt schlendert, sieht so manche Buden mit allerhand Essen, Glühwein und Handwerkskunst. Nordwestlich des zentralen Marktplatzes, zwischen der Obernstraße, der Sögestraße und dem Domshof befindet sich eine unauffällige Hütte in rustikaler Optik, die sich von den anderen Ständen abhebt: Denn passiert man die Hütte, bleibt der Eindruck einer lauten Frauenstimme im Ohr, die leicht kratzig, aber freundlich aus dem länglichen Verkaufshäuschen dröhnt. Die Stimme gehört zu Kerstin Kaudasch. Die zierliche Frau mit den blonden Haaren und der Brille ist seit zehn Jahren Mitarbeiterin am Stand der Fidora-Töpferei aus Nordhorn.

Mit ungewöhnlichen Kundenwünschen gehe sie schlagfertig um, sagt Kerstin Kaudasch vom Töpferei-Stand Fidora.
Das Unternehmen stellt Schnapstassen, Namenstassen und weitere Geschenke aus Keramik, Holz und Glas her – alles in Handarbeit, alles selbst bemalt und beschriftet, jedes Stück ein Unikat. „Auf Wunsch personalisieren wir die Produkte“, erklärt Kaudasch. Immerhin sehe auch nicht jede Silvia aus „wie die andere.“ An den Blumenmotiven auf dem Geschirr ließe sich die Individualität ebenfalls gut erkennen. Gerade das würden die Kunden am meisten schätzen.
Das Geschäft laufe gut, denn viele Menschen, die vorbeikommen, kaufen an dem Töpferei-Stand die Weihnachtsgeschenke für ihre Liebsten. „Wir haben auch einige Stammkunden, die jedes Jahr wieder kommen. Da wird dann offensichtlich regelmäßig ein Familienmitglied ausgetauscht“, scherzt die 56-Jährige. Vielleicht sind es auch ihre lockere Art und ihr loses Mundwerk, weshalb die Kunden jedes Jahr aufs Neue ihren Weg zur kleinen Holzhütte finden. Das sonnige Gemüt und der Spaß am Job sind ihr deutlich anzumerken. Acht Stunden stehe sie täglich hier, die Atmosphäre auf dem Weihnachtsmarkt gefalle ihr dabei besonders. Deshalb arbeite sie auch schon ein Jahrzehnt auf dem Markt. Deutlich länger hingegen gebe es den Stand: Seit 40 Jahren ist die Töpferei jährlich in Bremen präsent.
Aber nicht nur Namen gravieren Kaudasch und ihre Kollegin auf die Tassen, Schüsseln und Frühstücksbrettchen. Es hätte auch schon den ein oder anderen ulkigen Spruch gegeben, den die Damen auf die Töpferkunst hätten bringen müssen. „Letztens wollte eine junge Frau ‚Stinker‘ auf ihrer Tasse stehen haben. Sie stand mit hochrotem Kopf vor mir und wollte erst gar nicht mit der Sprache raus“, berichtet Kaudasch. Aber auch andere „Sauereien“ wie ‚Für meine liebste Hackfresse‘ seien vorgekommen. „Da hören die Kunden auch gerne mal einen dummen Spruch von mir.“ Trotzdem passieren auch herzerwärmende Situationen. So hätte erst kürzlich jemand einen Heiratsantrag bei ihnen bestellt.
Doch was macht Kaudasch, wenn sie nicht gerade auf dem Weihnachtsmarkt Keramik verkauft? „Da kümmere ich mich um meine Katzen und um ältere Damen“, antwortet die lebenslustige Frau, die in Oldenburg lebt.