Ein Mahnmal soll in Bremen an die Enteignung jüdischer Familien erinnern. Die Entwürfe dazu sind jetzt in der Bürgerschaft zu sehen.
Vier Quadratmeter. Wie so eine kleine Fläche die Kreativität von Schülern, professionellen Künstlern und Architekten anregen kann, zeigt die Ausstellung „Spuren der Beraubung“ in der Bremischen Bürgerschaft. 17 verschiedene Projektideen sind dort zu sehen, Entwürfe für ein Denkmal, das an einen Aspekt des Holocausts erinnern soll, zu dem es bisher keine Mahnmale gibt: an den Raub an jüdischen Familien.
Die Tageszeitung taz hatte im Februar zu einem Ideenwettbewerb aufgerufen, einen Teil der 59 Einsendungen zeigt die Ausstellung, die bis zum 12. August im Haus der Bürgerschaft zu sehen ist. Darunter auch ein ganz konkreter Entwurf. Für den manche sogar schon einen Ort im Kopf haben.
„Die Ausstellung wird für weiteren Diskussionsstoff sorgen. Für Anregung, vielleicht auch für Aufregung“, sagte Bürgerschaftspräsident Christian Weber, als er die Ausstellung am Dienstag eröffnete. Er sprach darüber, dass viele Deutsche von der Enteignung der jüdischen Bevölkerung profitiert haben. Und dass es deshalb eine kollektive Verantwortung für den Raub von jüdischem Eigentum, für die sogenannte Arisierung, gebe.
Er sei grundsätzlich ein Befürworter eines „Arisierungs“-Mahnmals, sagte Christian Weber. Wie und wo das entstehen solle, darauf wolle er sich aber nicht festlegen.
Fläche vor Kühne + Nagel
Vier Quadratmeter – auf dieser Fläche sollte ein Denkmal entstehen, das daran erinnert, in welchem Ausmaß die Logistikbranche an den Verbrechen des NS-Regimes beteiligt war. Es ging allerdings nicht um vier Quadratmeter irgendwo in Bremen: Das Mahnmal sollte vor dem Stammsitz der Firma Kühne + Nagel zwischen Wilhelm-Kaisen-Brücke und Martinistraße entstehen.
Der Grund für die Standort-Wahl: Historiker hatten herausgefunden, dass der Logistikkonzern Kühne + Nagel während des Zweiten Weltkriegs eine Schlüsselrolle bei der sogenannten M-Aktion eingenommen hatte: Möbelstücke und anderer Besitz jüdischer Familien wurden aus den besetzten Westgebieten nach Deutschland transportiert. Aus Wohnungen, aus denen Juden fliehen mussten, oder aus denen sie verschleppt wurden. Diese Möbelstücke landeten dann in vielen deutschen Wohnzimmern.
Die taz wollte mit einem Mahnmal daran erinnern, dafür hatte sie eine Crowdfunding-Aktion gestartet, dafür haben Unterstützer inzwischen 27 000 Euro gespendet. Von diesem Geld wollte die taz der Stadt einen Teil der rund 1000 Quadratmeter großen Flächeabkaufen, auf der die Firma Kühne + Nagel ihren Neubau plante. Die Kaufverhandlungen zwischen Bremen und Kühne + Nagel sind nun abgeschlossen, das Unternehmen hat die Fläche komplett gekauft, die taz hat die vier Quadratmeter nicht bekommen.
Diskussion geht weiter
Die Diskussion aber geht weiter: Der Bürgerschaftsabgeordnete Robert Bücking (Grüne) sprach sich dafür aus, ein Mahnmal in der Nähe des Neubaus von Kühne + Nagel zu errichten. „Nun, wo klar ist, wo das Gebäude stehen soll, welches Grundstück es umfasst, ist es naheliegend und dringlich, sich zu fragen, ob das Mahnmal nicht daneben sein könnte“, sagte er dem WESER-KURIER.
Parteipolitik sei da aber fehl am Platz. Es müsse eine Initiative von ganz vielen sein, nicht nur von den Abgeordneten der Bürgerschaft, sondern aus der ganzen Gesellschaft.
Es sei eine Frage an die ganze Stadt, ob sie ein Mahnmal wolle. Und es gehe nicht darum, mit dem Finger auf ein Unternehmen zu zeigen. „Viele Bremer sollten sich mal im Wohnzimmer umgucken und sich fragen, ob der schöne Schrank von Oma vielleicht eine Geschichte hat.“
Verantwortung für die eigene Geschichte
Ideen für das Mahnmal gibt es viele, und eine ganz konkrete. Die Bremer Architektin Angie Oettingshausen hat mit ihrem Entwurf „Leerstellen und Gesetzeslücken“ den Ideenwettbewerb gewonnen, die Jury schlägt ihn zur Realisierung vor. Ein drei Meter hoher Raum, einzusehen von oben und von der Seite.
Durch Glasplatten ist eine früher mal bewohnte Wohnung zu sehen. Schattierungen an den Wänden zeigen, wo einst Möbel standen, Bilder hingen. Ein Verweis auf den Raub an jüdischen Familien. Und das Fehlen der Möbel, diese Leerstellen, sollen auch für die Weigerung von Kühne + Nagel und anderen Unternehmen stehen, sich der Verantwortung für die eigene Geschichte zu stellen.
Einen möglichen Ort für Oettingshausens Idee gibt es auch schon: die Hochwasserschutzwand neben der Wilhelm-Kaisen-Brücke, neben dem Gebäude von Kühne + Nagel. Im kommenden Jahr soll sie erweitert werden. Die Gelegenheit, das Mahnmal einzubauen, findet Henning Bleyl, taz-Redakteur und Initiator der Idee. Ob es tatsächlich dazu kommt, darüber müssen andere entscheiden.