Für Aaron D. fühlt es sich ein bisschen wie ein Rückschlag an. Als würde er etwas Wichtiges verpassen. Seinen vollen Namen will der 22-Jährige lieber nicht in der Zeitung lesen. Seit Monaten habe er sich auf den Beginn seines Studiums gefreut – endlich die erste eigene Wohnung. Doch daraus wird erst einmal nichts. "Ich bleibe in meinem Kinderzimmer wohnen", sagt D. Grund dafür sei seine Angst vor steigenden Energiepreisen.
Maximal 400 Euro Warmmiete wollte der angehende Politikwissenschaftsstudent für eine Bleibe ausgeben. Er werde voraussichtlich nur wenig Bafög erhalten und sei auf die Unterstützung seiner Eltern und einen Nebenjob angewiesen. Zusatzbelastungen durch die Gasumlage und eventuelle Nachzahlungen seien finanziell nicht drin. Wenn es sein Studium zulasse, wolle er später im Jahr einen zweiten Nebenjob annehmen, damit das Ausziehen vielleicht doch noch klappt. "Aber die Situation belastet mich, noch bevor das Semester überhaupt angefangen hat. Es ist scheiße", fasst D. zusammen.
So wie dem 22-Jährigen geht es aktuell vielen Studierenden, die bereits in Bremen leben oder zum Start des Wintersemesters im Oktober auf der Suche nach einem Zimmer sind. Vivien Kramer und Finn Brandt etwa wohnen in einer Dreier-WG in Findorff und suchen gerade einen neuen Stromanbieter. Beim Preisvergleich habe sich schnell Ernüchterung eingestellt. Was zusätzlich an Gaskosten auf sie zukommt, wissen sie bisher nicht, wollen nun proaktiv auf ihre Vermieterin zugehen. "Die Angst vor enormen Nachzahlungen ist groß", sagt Kramer. In den vergangenen Wochen hätten sie bereits versucht, ihre Kosten zu reduzieren: weniger ausgehen, mehr selbst kochen. "Durch die gestiegenen Lebensmittelpreise ist das jedoch nicht leicht", sagt Brandt.
Kosten für WG-Zimmer steigen auf durchschnittlich 400 Euro
Die Auswirkungen der Energiekrise treffen die Studierenden zu einer Zeit, in der Wohnraum sowieso immer teurer wird. Innerhalb eines Jahres sind die Warmmieten für neu vermietete WG-Zimmer bundesweit um 11,4 Prozent oder 44 Euro monatlich gestiegen. Das geht aus einer neuen Auswertung des Moses-Mendelssohn-Instituts (MMI) hervor, das in Kooperation mit dem Immobilienportal WG-Gesucht.de regelmäßig die Preise für WG-Zimmer untersucht. Durchschnittlich 435 Euro pro Monat kostet demnach ein Zimmer.
Bremen liegt zwar noch unter dem Durchschnitt, doch auch hier sind die Zimmerpreise in den vergangenen Jahren teurer geworden, wie aus der Untersuchung hervorgeht. 400 Euro müssen Studierende im Schnitt aufbringen, um in der Stadt eine Unterkunft zu finden, im vergangenen Jahr waren es noch 370 Euro. Im Vergleich der 95 Hochschulstädte belegt Bremen den 22. Platz (2021: Platz 26).
Erklärt werden die zum Teil starken Preissteigerungen mit Nachholeffekten. Studierende holten Umzüge nach, die sie wegen der Pandemie auf Eis gelegt hätten, andere verlängerten wegen der Corona-Ausfälle ihr Studium. "So werden viele Wohnungen später frei, der Mangel verschärft sich", sagt Stefan Brauckmann, geschäftsführender Direktor am MMI. Auch internationale Studierende holten Auslandsemester in Deutschland nach. Mit dem gleichen Effekt.
Asta: Zukunftsängste unter Studierenden nehmen zu
Dass WG-Zimmer nicht nur teurer, sondern noch umkämpfter geworden sind, merkt auch Psychologiestudentin Rosa Reith. Die 23-Jährige beginnt im Oktober ihr Masterstudium an der Universität und sucht derzeit von Hildesheim aus eine Bleibe in Bremen. "Seit mehr als drei Wochen schicke ich täglich mehrere Anfragen raus. Geantwortet hat mir bisher niemand", sagt sie. Damit ist sie laut dem Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta) der Uni Bremen nicht allein. "Es kommt nicht selten vor, dass sich auf eine Wohnungsanzeige mehrere Hundert Bewerber melden", sagt Finn Schale, Asta-Referent für studentisches Wohnen. "Die Situation ist jedes Jahr zum Semesterbeginn angespannt, aber durch die Pandemie und die Energiekrise hat sich die Lage verschärft. Dadurch haben auch die Zukunftsängste deutlich zugenommen", sagt er.
Das bestätigen die Experten des MMI. Ein Ende der Preissteigerungen sei nicht in Sicht. "Viele Abschlagszahlungen für Energie sind noch nicht an das aktuelle und erwartete Preisniveau angepasst. Hier wird es sicherlich negative Überraschungen bei der Abrechnung geben", sagt Direktor Brauckmann. Für die jungen Menschen in der Ausbildungsphase bedeute dies eine erhebliche Zusatzbelastung.
Studierendenwerk geht von steigenden Nebenkosten ab April aus
Auch das Studierendenwerk Bremen (STW) geht davon aus, die Mieten in den kommenden Monaten anzupassen. Dort sind die Kosten für ein WG-Zimmer oder ein kleines Appartement aktuell noch vergleichsweise günstig, der Durchschnittspreis beträgt 260 Euro im Monat. Wie berichtet, laufen die derzeitigen Verträge bis zum 31. März 2023. "Danach werden wir wohl um eine Erhöhung nicht drum rumkommen", sagt Geschäftsführer Hauke Kieschnick.
Das STW betreibt in Bremen zwölf Wohnheime mit insgesamt 2166 Einheiten – aktuell seien noch wenige Restplätze frei. Allein die Mehrkosten für die Gasumlage betragen laut Kieschnick bis Ende Dezember etwa 60.000 Euro, die das STW aus eigenen Mitteln ausgleichen müsse. Dafür werde man an anderer Stelle Abstriche machen, etwa bei geplanten Sanierungsmaßnahmen. Zum Wintersemester will das STW unter den Studierenden Infomaterial über mögliche Energiesparmaßnahmen verteilen. "Und wir überlegen tatsächlich, allen ein Thermometer zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Raumtemperatur gegebenenfalls besser anpassen können", so Kieschnick.