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Premiere am Theater Bremen „Die tote Stadt“ als oberflächliche Collage

Mal Traum, mal Realität, aber nichts so richtig: Die Oper „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold in der Regie von Armin Petras enttäuscht am Theater Bremen.
13.05.2019, 17:14 Uhr
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„Die tote Stadt“ als oberflächliche Collage
Von Iris Hetscher

Bremen. Da gerät eine Landpartie außer Kontrolle: Paul, Marie und Birgitta sind mit dem Auto unterwegs, es wird getrunken und geraucht, auf einmal greift Marie ihrem Mann Paul ins Lenkrad. Das Auto kommt ins Schleudern, stürzt einen Abhang hinunter, fängt Feuer. Paul und Birgitta sind verletzt, Marie stirbt. So klar und deutlich wie im ZDF-Fernsehfilm der Woche erzählen Regisseur Armin Petras und Videokünstlerin Rebecca Riedel ihre Vorgeschichte zu „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold in der Inszenierung im Theater am Goetheplatz. Zu sehen ist das Ganze auf einer Leinwand über der Bühne.

Damit führen Petras und Riedel eine realistische erzählerische Ebene ein, die allerdings nicht so recht zu dieser 1920 uraufgeführten Oper passen will, die inhaltlich dem Geist des Symbolismus und musikalisch vor allem dem der Spätromantik verpflichtet ist. Das und die Kürzungen, die Petras und Generalmusikdirektor Yoel Gamzou vorgenommen haben, machen aus der „Toten Stadt“ einen Zombie, der unsicher zwischen zwei Stilrichtungen schlingert. Denn so ganz will sich Petras von der symbolbeladenen Traumebene dann doch nicht trennen.

Doch zurück auf Anfang: Um was geht es? Paul (Karl Schineis) hat sein Zimmer in Brügge komplett in eine „Kirche der Gewesenen“ umfunktioniert. Er trauert um seine große Liebe Marie (Nerita Pokvytyté), deren Schal und Haar er wie Reliquien aufbewahrt. Er lernt die Tänzerin Marietta (Nadine Lehner) kennen, die Marie ähnelt. Paul träumt zwischenzeitlich (fast zwei der drei Akte lang), er habe eine Affäre mit Marietta begonnen und sie schließlich erwürgt, weil sie sich dagegen gewehrt hat, nur Ersatz für eine Tote zu sein. Schließlich erwacht er, und zwar nicht nur aus diesem Albtraum. Er entsagt auch dem lebensfeindlichen und mönchischen Kult um die verblichene Marie. Paul folgt dem Rat seines Freundes Frank (Birger Radde) und verlässt „die tote Stadt“.

Persönliche Katastrophe

Im Theater Bremen steht der mit einer Krücke bewehrte Paul wie ein Denkmal auf einem Podest direkt vor dem Orchester, das auf der Hinterbühne platziert ist. Als Bühnenbild hat der Berliner Künstler Martin Werthmann eine Kathedrale aus sieben Meter hohen Bögen entworfen, auf denen Bilder von Katastrophen durch mehrschichtige Übermalung verfremdet worden sind (wir berichteten). Außerdem gibt es mehrere von innen beleuchtete Marie-Ikonen, die über die Bühne verteilt sind – der Tod der Geliebten ist Pauls persönliche Katastrophe. Die tote Marie selbst hat ihren Platz hinter dem Orchester.

So weit, so deutlich beginnt der Abend, wird dann aber schnell zu einer Collage, die nur an der Oberfläche kratzt. Pauls Psycho-Drama wird zwar ständig behauptet, ist aber nicht wirklich nachzuvollziehen. Statt auf Atmosphäre setzt Armin Petras auf weitschweifiges Auserzählen einzelner Aspekte auf mehreren Ebenen – als sei er im Schauspielhaus nebenan und die enorm farbige, illustrative Musik Korngolds gar nicht vorhanden.

Videoeinspielungen zeigen Marietta und ihre Tänzerinnen- und Tänzerkollegen (Magali Sander Fett, Neus Ledesma, Timos Papadopoulos, Frank Willens, Miroslaw Zydowicz, Neele Buchholz) quasi bei der Arbeit, dann wieder werden eher psychische Zustände im Bewegtbild gespiegelt. Die Tänzerinnen und Tänzer entern zudem regelmäßig die Bühne, mal gibt es sinnfreie, aber akrobatisch beeindruckende Einlagen. Mal schaut man Schamanengehopse oder einer Art Fetischtanz rund ums Thema Haare zu.

Die Bremer Philharmoniker sitzen, wie bereits erwähnt, auf der Hinterbühne, was zwei Gründe hat. Im Orchestergraben wäre nicht genug Platz gewesen – Korngolds Musik neigt zu einer cinemascope-haften Monumentalität und benötigt entsprechend viel ausführendes Personal. Yoel Gamzou am Pult wollte der enormen Kraft der Korngoldschen Partitur zudem die tragende Rolle geben, die ihr zusteht. Das ist eine gute Idee, führt aber leider zu einem derart wuchtigen Klang, dass die Sängerinnen und Sänger in einen Wettstreit um das durchdringendste Fortissimo des Abends getrieben werden. Manchmal hakt es zudem bei der Präzision.

„Die tote Stadt“ besticht durch eine ganze Reihe packender Melodien, die immer dann zünden, wenn es mal etwas leiser zugeht. Die beiden Hits des Stücks gelingen, vor allem Nadine Lehner beeindruckt bei „Glück, das mir verblieb“ durch ihren dramatischen Sopran, Birger Radde kann seinen voll tönenden Bariton bei „Mein Sehnen, mein Wähnen“ zur Geltung bringen.

Auch Nathalie Mittelbach als Haushälterin Brigitta und Nerita Pokvytyté als tote Marie setzen Akzente, während der Gast-Tenor Karl Schineis als Paul am meisten Probleme mit der Orchesterlautstärke hat und eher blass bleibt. Der Kinderchor des Theaters unter Leitung von Alice Meregaglia sorgt für rührende Momente, vor allem bei „O süßer Heiland mein“. Zum Schluss gibt es viel Applaus für das ausgepowerte Ensemble, unter den Beifall für das Regieteam mischen sich lautstarke Buhrufe.

Weitere Informationen

Die nächsten Termine: 14., 25., 29. Mai, 19.30 Uhr; 2. Juni, 15.30 Uhr, 7. Juni, 19.30 Uhr.

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