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Interview mit Bremer Soul-Sänger Flo Mega über seinen neuen Song, die Industrie und Sex in der Musik

Soul aus Bremen? Da kommt einem sofort Flo Mega in den Sinn. Der Sänger erzählt im Interview von seinen Zukunftsplänen, von Sex in der Musik und wie er einmal bei einer Demonstration die Bühne geentert hat.
20.12.2021, 14:15 Uhr
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Flo Mega über seinen neuen Song, die Industrie und Sex in der Musik
Von Simon Wilke

Flo Mega, gerade haben Sie die Rollschuh-Disko-Nummer "Lady" veröffentlicht. Der Song ist Teil der EP "Kellerparty", die auf dem Musik-Label von Viva con Agua erscheinen wird. Das heißt auch: Die Hälfte der Einnahmen werden gespendet.

Flo Mega: Genau. Das Ganze erscheint im Januar. Danach habe ich die Möglichkeit, mit den Fantastischen Vier auf Tour zu gehen, anschließend kommt ein großes Album und die Herbst-Tour ist auch schon gebucht. Jetzt ging es mir aber erst einmal darum, mich für eine gute Sache zu engagieren und vielleicht Leute zu inspirieren, das auch zu tun. Ich hing lange in der Industriemühle fest und bin genervt von der nicht vorhandenen Risikobereitschaft.

Ohne Industriemühle ist es allerdings auch schwer…

Ja, sie gehört dazu, und Trends gibt es immer. Aber mir klingt die Musik zu oft wie ein Werbejingle; alles ist in Ordnung, alles macht "Bideldi-bideldi", hat 'nen Bart und ist Holzfäller. Das ist auf Dauer langweilig.

Aber konnten Sie in der Vergangenheit nicht immer die Musik machen, die Sie wollten?

Ich bin eine Künstlernatur – ich schreibe, wie ich schreibe. Aber bei den letzten Alben haben sich immer Leute eingemischt, die gesagt haben: Das reicht noch nicht. Die haben dann Texter und Co-Writer ins Spiel gebracht, die für mich schreiben sollten. Es gibt ja Kollegen, die sind bei so etwas schmerzfrei. Denen geht es darum, das Ding nach Hause zu fahren. Die sind kompatibel und gehen durch die Türen, die schon offen stehen. Das ist völlig legitim, aber es ist nicht mein Stil. Ein Freund von mir sagte einmal: Amateur kommt von "amare".

Also von "lieben".

Genau, und ich mache eben unter anderem Liebhabermusik. Ich komme aus dem Hiphop, habe erlebt, wie die Kultur gewachsen ist. Damals lief Boogie-Funk auf unseren Partys. Das ist keine Heile-Welt-Musik, aber Musik, die dir die Sorgen nimmt und glücklich macht.

In diese Kategorie passt auch "Lady". Ist das die Art von Musik, die Sie machen wollen?

Ja, auf dieser EP. Aber mir wird zu viel in Kategorien gedacht, oder – das komplette Gegenteil – ganz ohne Genres. Ich mache in der einen Woche 80er-Mucke, in der nächsten House-Musik. Letztens habe ich ein komplexes Jazz-Stück komponiert. Es hat immer etwas damit zu tun, womit ich Erinnerungen verbinde.

Was kommt Ihnen denn bei House in den Sinn?

Dann denke ich daran, wie ich früher ins Delight (ehem. Bremer Diskothek, Anm. d. Red.) gegangen bin und den DJ genervt habe, dass ich zu seinem Sound singen darf. Einmal hat es sogar geklappt, sodass ich dann regelmäßig kommen durfte. 

Und es wäre für Sie kein Problem, erst mit Soul kommerziell erfolgreich zu sein und dann einfach auf Housemusik umzuschalten?

Nein, beides ist Rhythm and Blues. Das Problem ist, dass das in Deutschland nicht verstanden wird.

Vielleicht, weil diese Art Musik in Deutschland keine Geschichte hat.

Es hat Geschichte, aber sie kommt nicht zur Geltung. Deutschland hat viele geschichtliche Verbindungen nach Afrika, und in Bremerhaven waren amerikanische GIs stationiert. In der DDR war Blues sehr populär, der Schlager dort war funky statt piefig. Vor dem Nationalsozialismus gab es Chanson, es gab Varieté. Das wurde zerstört, erst dann kam der Heile-Welt-Schlager. Rhythm and Blues hatte einmal seinen Platz. Für mich ist es eine Mission, den Menschen hier diese Musik nahezubringen. Mich reizt es, die Gesellschaft damit zu konfrontieren, dass es Musik mit mehr Sex gibt. Aber klar fragen mich einige Leute: Warum macht das ausgerechnet ein Weißer?

Tatsächlich?

Ja, schon. Ich mache Musik, die auf Trauma und Schmerz basiert und letztlich auf Gospel und auf Kirche, die lange Zeit der einzige Zufluchtsort für schwarze Amerikaner war. Es ist nicht meine Geschichte, aber ich hatte immer die Intention, sie zu teilen.

Wie sind Sie selbst denn in Berührung mit dieser Musik gekommen?

Ich war ganz grundsätzlich davon fasziniert, dass es so etwas wie diesen blechernen Snare-Sound gibt. Das klingt einfach knusprig. Ich habe schon früh auf Allem rumgeklopft, experimentiert, war der Typ, der in der Bahn steht und mit dem Fahrkartenautomaten Musik macht. Irgendwann schon Mitte der 80er habe ich Kleingeld auf eine Metallkiste gelegt und draufgeschlagen. Da war es. Endlich hatte ich meinen Sound gefunden. Das war ein Moment der Erkenntnis. Ähnlich einschneidend wie das erste Mal ein Mikrofon in der Hand zu halten und das Gefühl zu haben, wahrgenommen zu werden.

Wann war das?

Bei einer Demo auf dem Bremer Marktplatz 1993. Alle Schulen waren da, die Klassensprecher durften aufs Podium und etwas sagen. Ich bin einfach hingegangen und habe losgerappt, ohne Klassensprecher zu sein. Da haben viele Schüler noch jahrelang drüber geredet.

Können Sie denn auch genießen, was aktuell im Radio läuft?

Tatsächlich ist das meiste, das es dahin schafft, gute Ingenieursarbeit, das war's. Allerdings: Bruno Mars und Anderson Paak sind schon ein Dreamteam. Fernab davon ob es ein Song ins Radio schafft oder nicht,  sagt mir aber vieles, das heute über das Internet verbreitet wird, mehr zu. Einfach, weil es keinen Regeln gehorcht. Das gibt der Musik den Platz, den sie verdient.

Die Fragen stellte Simon Wilke.

Zur Person

Flo Mega

ist Soul-Sänger und Bremer Musik-Urgestein. Bekannt wurde er durch seinen zweiten Platz beim Bundesvision Song Contest 2011. Jetzt veröffentlicht er mit "Kellerparty" eine neue EP "mit funky Songs und Beats im Stil der 80er Jahre".

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