Frau Beißwanger, Frau Heindlmeier, Sie vertreten den Dachverband der freien Profi-Ensembles, die vor allem klassische Musik spielen. Die Interessenvertretung gibt es seit drei Jahren, nun haben Sie eine Umfrage unter den Ensembles gemacht. Welches Ergebnis hat Sie besonders überrascht?
Claudia Beißwanger: Es haben auch Ensembles mitgemacht, die gar nicht bei uns organisiert sind und zu denen wir nun Kontakt haben. Außerdem hat sich ergeben, dass viele mit sehr renommierten Preisen ausgezeichnet worden sind und auch in international bekannten Konzertsälen auftreten. Wir wussten schon, dass es viel Exzellenz gibt in der Szene, aber das noch mal schwarz auf weiß zu haben, zeigt, wie relevant die Ensembles für die Musikstadt Bremen sind.
Um welche Preise und Auftrittsorte geht es beispielsweise?
Barbara Heindlmeier: Herausragend sind Auftritte in der Carnegie-Hall in New York, im Musikverein Wien oder im Concertgebouw Amsterdam, beim Schleswig-Holstein-Musikfestival, der Mozartwoche Salzburg oder Tourneen durch China und Südafrika. Einige Ensembles sind mit dem Opus-Klassik-Preis ausgezeichnet worden, beziehungsweise dem International Classical Music Award oder sie waren New Generation Artist der BBC.
Was war denn eigentlich der Anlass für diese Umfrage?
Barbara Heindlmeier: Wir sehen unsere Aufgabe auch darin, die Szene bekannter zu machen gegenüber der Kulturpolitik und gegenüber der Öffentlichkeit. Und dafür wollten wir uns ein akkurates, umfassendes Bild machen.
Abgefragt haben Sie auch, welche öffentliche Förderung die Ensembles erwarten, und da rechnen viele mit mehr Geld als in den vergangenen Jahren. Dann steht ja alles zum Besten, was das angeht, oder?
Claudia Beißwanger: Es gibt schon einiges an Projektmitteln, das ist toll, aber nicht ausreichend. Es bräuchte natürlich eine stetige Förderung, um die dringend benötigte Planungssicherheit für die Ensembles zu gewährleisten. Derzeit gibt es eine Ensemble-Förderung vom Senator für Kultur, die über drei Jahre für wenige Ensembles läuft, das ist ein erster kleiner Grundstein, mit dem man weiteres Fundraising akquirieren kann. Das bedeutet immer ein gewisses unternehmerisches Risiko, dieses Geld zu beschaffen und dann oft erst mal in Vorleistung zu gehen. Das ist eine Zerreißprobe für die Musiker, weil viele nebenher unterrichten oder in anderen Ensembles spielen, um sich diese Freiräume für ihre selbst bestimmte Arbeit zu schaffen.
Werden Studierende an den Musikhochschulen eigentlich adäquat auf diese berufliche Realität vorbereitet?
Claudia Beißwanger: Es gibt Musikhochschulen, die entsprechende Seminare anbieten, auch an der Hochschule für Künste Bremen. Aber die sind oft nicht verpflichtend, und man lernt nicht ausreichend, wie man sich selbst aufstellt oder vermarktet. Viele Hochschulstudiengänge sind nach wie vor darauf angelegt, dass die Studierenden hinterher eine Festanstellung beispielsweise in einem Tariforchester wie den Bremer Philharmonikern oder an einer Musikschule anstreben. Viele Absolventinnen und Absolventen gehen aber mittlerweile bewusst in die freie Szene und müssen dann zusehen, wie es weitergeht. Wir sehen uns als Verband an dieser Schnittstelle. Wir geben Hilfestellungen, was beispielsweise das Stellen von Anträgen angeht, das Skizzieren von Projekten, Informationen über Ausschreibungen oder generell das Fußfassen in diesem Markt.
Wenn Sie aufs musikalische Repertoire schauen: Wie würden Sie die Rolle der freien Ensembles im Vergleich zu den beiden Platzhirschen Deutsche Kammerphilharmonie und Bremer Philharmoniker beschreiben?
Barbara Heindlmeier: Die meisten unserer Mitgliedensembles sind auf den Gebieten der Alten Musik und der aktuellen, auch experimentellen Musik unterwegs. Das sind oft schon von der Instrumentation her Bereiche, die von den beiden angesprochenen Orchestern eher selten bedient werden. Außerdem handelt es sich oft um Kammermusik, da ist die Besetzung eine völlig andere. Also: Wir ergänzen einander wirklich super. Kolleginnen und Kollegen aus den Ensembles springen regelmäßig ein, wenn beispielsweise eine Traversflöte benötigt wird oder zusätzliche Musiker als Honorarkräfte für Projekte der großen Orchester. Oder wenn jemand krank wird. Also wir sind da im Austausch, das ist alles sehr durchlässig.
Claudia Beißwanger: Oft sind es die freien, kleineren Ensembles, die auch inhaltliche neue Wege zuerst gehen, sei es nun die Wiederentdeckung von Komponistinnen oder Musik von People of Colour. Oder die Themen wie Diversität und Inklusion vorantreiben und hier Impulse setzen. Kunst sollte auch Antworten geben auf relevante Fragen unserer Zeit, von daher muss man sein Repertoire immer wieder kritisch hinterfragen.
Sie erschließen sich ja auch immer wieder neue Räume ...
Barbara Heindlmeier: Weil man sich so auch ein neues Publikum erschließt. Es gibt Konzerte in Bunkern, im Stadtraum, in Clubs wie der Lila Eule. Man kann klassische Räume auch einfach anders bespielen, also beispielsweise nicht als Frontalkonzert.
Derzeit wird viel über einen dritten Konzertsaal für die Glocke diskutiert. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Würden Sie da gerne eine regelmäßige Reihe mit Konzerten freier Ensembles etablieren?
Barbara Heindlmeier: Es wäre toll, wenn man diesen Raum, den wir als ein zentrales Element für eine zeitgemäße Glocke sehen, kreativ nutzen könnte, beispielsweise auch für Klanginstallationen oder halbszenische Konzerte. Für andere Formate also.
Claudia Beißwanger: Das würde zu dem Anspruch passen, die Glocke für die Stadtgesellschaft zu öffnen und andere Publikumsschichten anzuziehen. Ich finde, wir, und das sind ja immerhin mehr als 30 Ensembles, gehören dahin, um die große Bandbreite der professionellen Bremer Musikszene mitten in der Stadt wahrnehmbar abzudecken. Und wir bringen ein junges, diverses Publikum mit, was für den Erhalt der Klassikszene an sich von Vorteil wäre.