Herr Baxxter, am Freitag ist Ihr neues Album erschienen, ist das nach so vielen Jahren überhaupt noch ein aufregender Moment für Sie?
H. P. Baxxter: Doch, ein bisschen aufgeregt ist man immer noch, denn du hast ja jedes Mal wieder den Rummel, die Promotion-Tage ...
Auf der Webseite wurde unter allen, die das neue Album vorbestellt haben, verlost, dass Sie das Paket mit der CD persönlich an der Haustür abliefern. Wissen Sie schon, wo Sie klingeln werden?
Ja, der Fan ist bereits ausgelost. Wir werden es ihm oder ihr überbringen, wenn wir auf Tour sind, da machen wir dann einen kurzen Abstecher direkt zu seiner beziehungsweise ihrer Haustür.
Die neue CD trägt den Titel „Open Your Mind And Your Trousers“, also öffne deinen Geist und deine Hose – wie ist dieser Titel zustande gekommen?
In den letzten Jahren sind die Leute irgendwie immer verkrampfter geworden, sind nicht mehr so entspannt. Darum ist der Grundtenor: Macht euch mal locker! So nach dem Motto: Make love, not war. Oder eben "Open Your Mind And Your Trousers", also macht Liebe und seid offen. Das ist der Hintergrund – natürlich mit einem Augenzwinkern.
Ein Lied auf dem Album heißt „Ardrhu“ – was bedeutet das?
Wir haben eine Schottlandreise gemacht und dort gab es ein kleines Landhaus an einem See und das nannte sich Ardrhu. Es handelt sich um einen Instrumental-Techno-Song, der eine sehr schöne Harmonie und etwas Episches hat. Und das passte so gut zu diesem Blick auf See und Berge. Außerdem fand ich gut, dass wahrscheinlich erst mal niemand weiß, was das Ganze soll.
Wie entsteht eigentlich ein neuer Song bei Scooter?
Heutzutage ist das so, dass wir uns mittags treffen und dann erst mal besprechen, wer welche Idee hat. Oft hat mein Bandkollege Marc Blou schon Dinge auf dem Rechner, die er ausprobiert hat. Und dann tastet man sich da eben so ran. Wenn man Glück hat, gibt es Situationen wie bei "I Keep Hearing Bingo". Da hatte ich schon so grob die Idee, wie ich mir das vorstelle. Die Nummer haben wir an ein, zwei Tagen fertiggestellt. Es kann aber auch passieren, dass wir zwei Wochen an einer Nummer sitzen und sie dann wieder komplett löschen, weil wir feststellen, dass alles zu verkopft und zu verkrampft ist. Es gibt da keine Regeln. Es muss am Ende nur cool sein.
Das neue Lied „I Keep Hearing Bingo“ ist ein Cover von „A Neverending Dream“ von X-Perience aus dem Jahr 1996. Was hat das mit Bingo zu tun?
Da sind wir schon wieder in Schottland – eine wichtige Reiseerfahrung. Auf der Fähre waren nur Engländer und es wurde Bingo gespielt. Und der Conférencier hat ein paar Mal "I Keep Hearing Bingo" gerufen. Das habe ich mir gleich aufgeschrieben. Bestimmte Sachen im Alltag finde ich einfach lustig oder ungewöhnlich und die sammle ich dann, und irgendwann baue ich sie irgendwo ein. Vieles, was ich singe, ist dadaistischer Wahnsinn. Nur hin und wieder ist auch mal eine tiefgründigere Botschaft dabei, an der man hängen bleibt.
Zum Beispiel?
"The only way to have a friend, is to be a friend" zum Beispiel. Auf dem neuen Album gibt es die Zeile "When nothing goes right, go left", die ich irgendwie passend fand. Und es stimmt ja: Irgendwie gibt es immer einen Weg und wenn man sich in einer Richtung verrennt, muss man einfach mal was anderes ausprobieren.
Gibt es eine Zeile, auf die Sie besonders stolz sind?
Nein. Meist schreibe ich einen Text, den finde ich dann witzig oder gut und dann guckt man, was passiert. Spannend ist dann die Resonanz des Publikums. Aber "It’s nice to be important, but it’s more important to be nice" hat immer Gültigkeit.
„I wish we could stay forever young“ heißt es in einem älteren Song. Ist das etwas, das Sie sich wünschen? Für immer jung zu bleiben?
Nee, weiß ich nicht. Gut ist natürlich, wenn man fit bleibt, solange es geht. Alles andere ist wie es ist. Die Gerechtigkeit ist, dass es allen gleich geht: Das Älterwerden ist ein Fakt, den man nicht ändern kann.
Sie sind 60, stehen seit über 30 Jahren auf der Bühne. Ihre Konzerte sind laut und körperlich ziemlich anstrengend – wie schaffen Sie es, immer fit und motiviert zu bleiben?
Motiviert bin ich auf jeden Fall. Wenn ich raus auf die Bühne komme, die Massen sind da und die Musik geht los, dann geht das ganz von selbst. Ich gehe regelmäßig laufen und habe eine Trainerin, damit ich eine gewisse Beweglichkeit aufrechterhalte. Das mache ich seit vielen Jahren. Und bisher habe ich zum Glück nicht feststellen können, dass alles schwieriger wird oder mich mehr anstrengt als noch vor zehn Jahren.
Gehen Sie nach den Auftritten denn immer noch feiern oder tritt die Band da mittlerweile ein bisschen kürzer?
Bei einer Tournee, wo zwei, drei Auftritte direkt hintereinander sind, wir also jeden Abend zwei Stunden Vollgas auf der Bühne geben, machen wir im Anschluss nur noch was Kurzes im Backstagebereich, wo ein paar Crewmitglieder kommen und wir alle ein bisschen chillen. Vor einem freien Tag gehen wir auch mal aus, wenn die Stimmung gut ist. Aber nicht auf Krampf. Bei Festivals im Sommer gibt es meistens noch After-Show-Partys und die mache ich noch gerne mit. Für mich ist das immer so ein Gesamt-Event mit der Einstimmung auf das Konzert hinter der Bühne, der Show und der Party danach. Das ist für mich ein runder Abend. Ich mag es nicht, wenn alles zu geschäftsmäßig wird. Ich finde es wichtig, dass man so einen Konzertabend im Ganzen auch genießen kann.
In der "FCK 2020"-Doku, für die Scooter mehr als zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet wurde, sagen Sie: „Der Backstage-Raum ist eine gesetzfreie Zone, da gelten die Scooter-Regeln“ – was sind sie Scooter-Regeln?
Es gibt immer mehr Beschränkungen und Verbote: Drinnen nicht mehr rauchen, nicht so laut sein, überall Rauchmelder. Da habe ich gesagt, das geht nicht: Der Backstagebereich muss bei mir ein gemütlicher Raum sein. Da werden Teppiche reingelegt und das Licht wird gedimmt – ich kann nicht in so einer Neonröhrenbude sitzen. Es muss möglich sein, vorher gemütlich zu rauchen, was zu trinken und die Musik aufzudrehen bis die Wände wackeln. Das sind die Wohlfühlbedingungen, die ich brauche, bevor ich auf die Bühne gehe.
Scooter ist aber keine Band, die die Einrichtung auseinandernimmt, oder?
Nee, das nicht. Aber ich mag es nicht, wenn ich bei Wind und Wetter zum Rauchen raus muss.
Wie gelingt es Ihnen, Ihrem Sound treu und trotzdem modern zu bleiben?
Wir sind immer bemüht, die Einflüsse von heute, das, was so im Club läuft, mit einfließen zu lassen – solange es uns selbst gefällt. So sind wir immer irgendwie am Puls der Zeit geblieben. Beim neuen Album haben wir Hyper-Techno, wo es bei den Beats ziemlich schnell zur Sache geht, eingebaut. Man verändert etwas, ohne, dass man sich verbiegen muss oder dass es nicht mehr nach Scooter klingt.
Wenn Sie die Zeit 30 Jahre zurückdrehen könnten, welchen Rat würden Sie Ihrem jüngeren Ich mit auf den Weg geben?
Ich würde sagen: Such dir bitte ein paar andere Klamotten. Zu meiner New Wave-Zeit hatte ich eigentlich einen ziemlich coolen und auffälligen Style. Dann kamen die Raverklamotten. Und die waren wirklich nicht ästhetisch. Das war alles witzig und passte irgendwie zu der Zeit – schön war das aber nicht. Also: Das hätte ich besser machen können.
Schon zu Schulzeiten sind Sie mit dunklem Lippenstift, Punkfrisur oder Schmuck aufgefallen. Macht es Ihnen Spaß, zu provozieren? Aus der Masse herauszustechen?
Schon immer. Ich habe mich immer gefühlt, als wenn ich nicht ganz zur Gesellschaft dazu gehöre. Ich würde mich als geselligen Einzelgänger beschreiben. Mit Mainstream kann ich nichts anfangen. Das war schon immer so.
Punkfrisur und Raverklamotten gibt es schon lange nicht mehr bei Ihnen. Seit 30 Jahren kennt man Sie mit kurzen, blondierten Haaren. Ist Ihre Frisur zum Markenzeichen geworden?
Ja. Ich hatte die blondierten Haare schon viele Jahre vor Scooter. Ich bin ein Gewohnheitsmensch. Wenn mir etwas einmal gut gefällt, dann bleibe ich meistens dabei.
Einen H. P. Baxxter mit langen schwarzen Haaren wird es in den nächsten Jahren also nicht geben?
Haha, ich glaube nicht.
Die Tour rückt immer näher, das Konzert in der ÖVB-Arena ist das zweite auf dem Tourplan. Worauf können die Fans sich freuen?
Bremen ist wie ein Heimspiel, nur einen Steinwurf entfernt von meinem Geburtsort Leer. Wir hatten in Bremen immer super Konzerte, auch schon, als es noch im kleineren Rahmen war. Die letzte große Show in Bremen ist auch in unserer Doku zu sehen. Jetzt haben wir eine neue Show, an der wir lange gearbeitet haben. Wir haben geguckt, was wir lange nicht gespielt haben, und alles ein bisschen neu zusammengestellt. Man kann sich also darauf freuen, dass wir auf die Show vom letzten Mal jetzt noch mal einen draufsetzen.
Die ÖVB-Arena, hat für Sie ja auch eine ganz besondere Bedeutung, weil Sie hier mit 16 selbst häufig Konzerte besucht haben. Welche waren das?
Da war ich bei Rainbow und bei Jethro Tull. Eigentlich war einmal auch Status Quo angesagt, aber das Konzert ist ausgefallen. Damals gab es noch kein Handy, da stand man dann blöd vor der Halle und wusste von nichts. Eines der bedeutendsten Konzerte meines Lebens hat in der Halle stattgefunden: Led Zeppelin.
Dort jetzt selbst auf der Bühne zu stehen ist sicher ein tolles Gefühl.
Ja. Ich kenne die Halle noch von früher und erinnere mich, wie man nach der Show gewartet hat, in der Hoffnung, dass man noch jemanden sieht von der Band. Damals fuhren Jimmy Page und Robert Plant in einem Mercedes an mir vorbei und heute spiele ich selbst in der Halle.
Vor 20 Jahren wären Sie fast zum Eurovision Song Contest gefahren, Sie wurden beim Vorentscheid zweiter, nach Max Mutzke. Könnten Sie sich heute immer noch vorstellen, in dem Wettbewerb anzutreten?
Nee. Damals haben MTV und Viva diesen Vorentscheid durchgeführt und wollten, dass der Wettbewerb frischen Wind bekommt. Wir fanden, es war eine lustige Idee und haben das eben gemacht. Damit ist das Ding aber auch für mich erledigt. Ich habe keine Ambitionen, das öfter zu machen.
Hätten Sie auf Ihre Mutter gehört, wären Sie heute Sachbearbeiter beim Finanzamt. Haben Sie jemals bereut, einen anderen Weg gegangen zu sein?
Nein, das habe ich nie bereut. Ich bin froh, dass ich an der Musik drangeblieben bin, auch, wenn es ein langer Weg bis zum Erfolg und nicht immer leicht war. Und ich glaube, meine Mutter sieht das heute ähnlich.