"Und Sie sind wirklich ganz sicher, dass Sie die Frau töten sollten?", fragt der Richter mit eindringlicher Stimme nach. Schon zum zweiten Mal. Denn dieser Punkt ist wichtig: Geht es um versuchte Anstiftung zu einer schweren Körperverletzung oder um versuchte Anstiftung zu einem Mord? Doch der Zeuge bleibt bei seiner Aussage. Er ist sich ganz sicher. Der Mann habe von "töten" gesprochen. Der Zeuge steht sogar auf und zeigt mit dem Arm wie groß, beziehungsweise in diesem Fall: wie klein dieser Mann gewesen sein soll. Und ja, er würde ihn wiedererkennen. Klingt überzeugend. Ist aber falsch. Denn angeklagt in diesem Fall eine Frau, die einen Meter vom Zeugen entfernt sitzt. Er hatte sie seinerzeit sogar fotografiert. Als der Richter ihn daran erinnert, sucht der 38-Jährige in der Fotogalerie in seinem Smartphone. Und lacht laut auf, als er das Foto gefunden hat. "Tatsächlich, eine Frau." Nicht der einzige kuriose Moment an diesem Morgen im Bremer Amtsgericht.
Angeklagt ist eine 65-Jährige. Laut Anklageschrift soll sie im Januar 2019 in der Hollerallee zwei Männer angesprochen haben, ob sie nicht ihre Nachbarin zusammenschlagen könnten. "Das Gesicht, die Augen und die Nase, alles kaputtmachen", soll sie gesagt haben. Sprache wird in diesem Prozess noch eine wichtige Rolle spielen. Die Angeklagte stammt aus dem Iran, die beiden Männer, die sie mutmaßlich zu einem Verbrechen anstiften wollte, stammen aus Ghana. Weshalb sie sich ausgerechnet an diese beiden ihr bis dahin völlig fremden Männer wandte, liest sich in der Anklage wie folgt: Sie habe die beiden gefragt, weil „Schwarze ja so etwas für Geld machen würden“.
"Ich bin Pastor"
Die allerdings gingen nur zum Schein auf das Angebot ein, sagt einer der beiden Zeugen. Er habe zunächst nur verstanden, dass die Frau Hilfe brauche, erklärt der 60-Jährige mithilfe eines Dolmetschers. "Ich bin Pastor, von mir wird erwartet, dass ich mich um Menschen kümmere." Erst im Gespräch habe er dann verstanden, dass er und sein 38-jähriger Begleiter angeworben werden sollten, um eine Frau zu töten. "Töten?", hakt der Richter schon hier nach. "Ja töten. Wir sollten ihr das Genick brechen."
Die Frau habe ihnen dann auf dem Handy ein Foto von der Nachbarin und deren Adresse gezeigt. Sein Freund habe beides abfotografiert und heimlich auch ein Bild von der Frau selbst aufgenommen. Erst als sie ihren Plan komplett erzählt hatte, habe man ihr gesagt, "dass wir etwas so Böses nicht tun würden". Er und sein Begleiter seien dann weggegangen, hätten anschließend aber Bedenken gehabt. Was, wenn die Frau es bei jemand anderem versuchen würde und damit Erfolg hätte? Deshalb sei man zur Polizei gegangen und habe die Frau angezeigt. Auch, damit deren Opfer gewarnt würde.
Die Angeklagte selbst sagt im Gerichtssaal kein Wort. Es hat eine Einlassung über ihren Anwalt gegeben, in der der Ablauf des Geschehens und die gegen sie erhobenen Vorwurf im Kern einräumt wurden, erklärt der Richter. Also "nur" die versuchte Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung. Von "töten" ist in der Anklage nicht die Rede. Offensichtlich versuchte die Staatsanwaltschaft, den Prozess mit der niedrigschwelligeren Anklage vom Tisch zu bekommen.
"Schlagen, bis sie tot ist"
Dass dies im ersten Anlauf gründlich misslingt, liegt nicht zuletzt an Verständigungsproblemen: Der eine Zeuge versteht und spricht nach eigenem Bekunden nicht gut Deutsch (Einwurf des Verteidigers: "Aber die Worte 'Genick brechen' haben Sie trotzdem ganz sicher verstanden?"). Im Gerichtssaal übersetzt ein Dolmetscher für ihn ins Englische. Der zweite Ghanaer versteht besser Deutsch ("so 70 Prozent"), dafür aber kein Englisch. Seine Aussagen im Gericht macht er auf Twi, einer der Landessprachen Ghanas. Auch dafür ist ein Dolmetscher anwesend. Vor Gericht sagt dieser Zeuge, dass die Angeklagte sie aufgefordert habe, das Opfer so lange zu schlagen, bis es tot ist. Bei der Polizei hatte er 14 Tage nach dem Vorfall auf ausdrückliches mehrfaches Nachfragen des Beamten dagegen gesagt, dass nie davon die Rede gewesen sei, die Frau zu töten. Nur davon, ihr das Gesicht kaputtzumachen. Auch die Aussage bei der Polizei wurde mit Hilfe eines Dolmetschers protokolliert. Auf Englisch – der Sprache, die er angeblich gar nicht spricht. Da hätte dann wohl der Dolmetscher damals nicht richtig übersetzt, mutmaßt der 38-Jährige und betont noch einmal ausdrücklich: "Sie wollte, dass wir die Frau töten."
Im Amtsgericht war's das am Freitag. Nicht, weil es dem Richter zu bunt wurde oder er am Ende seiner Nerven angelangt war, sondern schlicht, weil ihm keine andere Wahl blieb. Egal, wer wann, was ausgesagt hat und wie das dann anschließend übersetzt wurde. Die Möglichkeit, dass es sich auch um Anstiftung zu einem Tötungsdelikt handeln könnte, kommt zumindest infrage. Damit aber ist nicht mehr das Amtsgericht zuständig, sondern in jedem Fall das Landgericht. Dort muss der Prozess von vorn aufgerollt werden. Mit der Angeklagten, den Zeugen und mehreren Dolmetschern.