Gas geben, bremsen, runterschalten, wieder beschleunigen, hochschalten, wieder bremsen, runterschalten - wer im Bremer Osten über die Rockwinkeler und Osterholzer Landstraße Richtung Weserpark unterwegs ist, durchquert Tempo-30-Zonen in Serie: vor einer Grundschule, einer Privatklinik, einem Seniorenwohnheim, einem Kindergarten, einer Einrichtung für geistig Behinderte und vor der fast 500 Meter langen westlichen Grundstücksgrenze des Klinikums Ost. Dazwischen immer wieder kurze Stücke, auf denen die innerorts eigentlich üblichen 50 km/h erlaubt sind. Ähnlich ist die Verkehrssituation am Osterdeich und an anderen langen Straßen in Bremen.
"Der ständige Wechsel überfordert die Autofahrer, der Flickenteppich ist Ausdruck einer verfehlten Verkehrspolitik", schimpft Jens Tittmann, Sprecher von Mobilitätssenatorin Maike Schaefer (Grüne). Die Verfehlungen sieht er freilich nicht bei ihr, sondern bei den Bundesverkehrsministern seit Peter Ramsauer (CSU, im Amt 2009 bis 2013). Denn das Bundesressort muss per Öffnungsklausel in der Straßenverkehrsordnung (StVO) ermöglichen, wovon die Bremer Mobilitätsbehörde träumt: Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften und Tempo 50 nur als Ausnahme auf wenigen Durchgangs- und Ausfallstraßen.
Damit ist Bremen nicht alleine: Schon 429 Kommunen engagieren sich in der Initiative "Lebenswerte Städte und Gemeinden". Sie wollen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts anordnen können, wo sie es für notwendig halten. Bemerkenswert ist, dass die meisten Stadtoberhäupter der Union angehören, darunter auch viele CSU-Mitglieder in Bayern. Selbst eine Handvoll Liberale ist dabei.
Doch die StVO legt als Bundesgesetz fest, dass Tempo 30 nur bei konkreten Gefährdungen oder vor sozialen Einrichtungen - siehe oben - angeordnet werden kann. Statt Erweiterungen sieht die StVO eher Beschränkungen vor. "Ausnahmegründe, von der Anordnung von Tempo 30 abzusehen, sind mögliche Verkehrsverlagerungen in Wohngebiete oder Auswirkungen auf den ÖPNV", erläutert Andrea Voth vom Amt für Straßen und Verkehr, das für die Einrichtung der Zonen zuständig ist. Diese Ausnahmegründe seien "in jedem Einzelfall zu prüfen und gelten unabhängig von der Lage der Einrichtung".
Nun gibt es laut Voth in Bremen schon rund 740 soziale Einrichtungen, die in Tempo-30-Zonen oder an Straßen mit Tempo-30-Streckengeschwindigkeit liegen. Letztere sind Vorfahrtsstraßen, sie haben Tempo 30 überwiegend nach der Novellierung der StVO 2016 erhalten. Wie viele dieser Abschnitte es in Bremen gibt, weiß aber auch die Behörde nicht, "da sich mehrere Einrichtungen in einer Tempo-30-Zone oder an einem Tempo-30-Streckenabschnitt befinden können", so die Begründung.
Eigentlich dürfen die Tempo-30-Abschnitte maximal 300 Meter lang sein: je 150 vor und nach dem Haupteingang der betreffenden Einrichtung. Folgen jedoch mehrere Einrichtungen hintereinander, sind auch längere Tempo-30-Strecken zulässig. "Ebenso sind kurze Lückenschlüsse zwischen den Abschnitten möglich", ergänzt Voth. Das ist derzeit das einzige Mittel, einen Flickenteppich zumindest stellenweise zu verhindern.
Auch die Ortsbeiräte können Tempo 30 vor entsprechenden Einrichtungen oder an Gefahrenstellen fordern. Geht es jedoch um die flächendeckende Einführung, wie sie jüngst von den Beiräten Mitte und Östliche Vorstadt verlangt wurde, kann die Senatorin nicht helfen, obwohl sie deren Begehren teilt. Denn auch der amtierende Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sagt: "Ein flächendeckendes Tempo 30 lehne ich ab." Er sei "aber bereit, die heutigen Anforderungen an Tempo-30-Zonen zu überprüfen, um mehr Möglichkeiten zu geben, wo es um Sicherheits- oder Lärmschutzfragen geht".
Lärmschutz ist ein Punkt, den auch Tittmann anführt: "Motor- und Reifengeräusche sind bei Tempo 30 halb so lauf wie bei Tempo 50." Nils Linge, Sprecher des ADAC Weser-Ems, bezweifelt das: Der Motor sei bei Tempo 50 im vierten Gang leiser als bei Tempo 30 im Zweiten. Er sei "nicht dagegen, Schwächere zu schützen", betont Linge, doch die Maßnahmen müssten auch von den Autofahrern akzeptiert werden: Bei Tempo 30 vor einem Kindergarten bis 22 Uhr falle dies schwer. Auch der gerne gezogene Vergleich zu anderen Städten sei schwierig: "Bremen ist eine alte Stadt mit enger Infrastruktur - München und Düsseldorf haben ausgedehnte Tunnelsysteme, Hannover hat den Messeschnellweg zur Entlastung."