Gibt es einen Verschuldungs-Typus, oder anders gefragt: Welche Gemeinsamkeiten haben Menschen, die wegen Überschuldung und finanziellen Problemen Ihre Hilfe suchen?
Sandra Gillert: Kein Schuldner gleicht dem anderen. Was sich wiederholt, sind die Mechanismen, die zur Verschuldung und dann zur Überschuldung führen. Das beginnt recht häufig mit dem Wunsch, gesellschaftlich mithalten zu können, sich auch das leisten zu können, was offenbar alle im jeweiligen sozialen Umfeld haben. Das kann das neueste Handy sein, Möbel, Klamotten für die abendliche Party. Es kann aber auch die Immobilie sein, mit der man sich dann übernimmt. Den überschuldeten Hausbesitzer hatten wir früher fast gar nicht, das ist aber in den letzten Jahren mehr geworden. Und dann gibt es Fälle, bei denen etwas Unvorhersehbares passiert ist, zum Beispiel Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes oder Trennungen.
Also sind hohe Konsumwünsche die Ursache von Verschuldung?
Es muss auch eine großzügige Kreditvergabe dazukommen. Ich meine schon, dass die Banken da in jüngster Zeit die Zügel lockergelassen haben. Da werden zum Teil Kontoüberziehungen von mehr als dem Dreifachen des Einkommens gewährt und Kredite allein mit Lohnabtretung gewährt, allerdings bei Einkommen unterhalb jeder Pfändungsgrenze. Und im Internet ist der Kauf auf Pump mit wenigen Mausklicks leicht möglich. Dazu kommen Zahlungsdienstleister wie Klarna, die zum Beispiel bei einem Kauf auf Rechnung in Wirklichkeit nicht das Geld des Käufers transferieren, sondern sofort die Forderung des Verkäufers bedienen. Dadurch agieren sie vom ersten Moment an als Bank und weiter geht es zum Inkasso-Unternehmen. Und dann beginnt unmittelbar ein sehr strukturiertes, um nicht zu sagen, aggressives Mahnverfahren.
Und dann verlieren viele einfach den Überblick?
Sehr häufig ist Überschuldung die Folge anderer Probleme, etwa die Konsequenz aus einer schweren oder chronischen Erkrankung. Dann können Kredite plötzlich nicht mehr bezahlt werden. Viele Klienten haben auch psychische Diagnosen oder eine Suchterkrankung, wobei nicht immer ganz klar ist, was am Anfang steht: Die Verschuldung oder die Erkrankung. Schulden machen zudem etwas mit einem Betroffenen. Es ist eine üble Spirale nach unten. Ganz sicher helfen Schulden einem nicht, psychische Erkrankungen zu behandeln. Wir führen auch häufig Diskussionen mit dem Jobcenter, das unsere Beratungsleistungen bezahlen soll. Denn grundsätzlich haben Menschen mit Bürgergeld zwar einen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung, aber es ist eine Ermessensfrage. Der Maßstab für Unterstützung beim Jobcenter ist zumeist, ob etwas dabei hilft, jemanden wieder in Arbeit zu kriegen. Ist der Betroffene langfristig erkrankt, besteht da aber wenig Aussicht, da nützt aus Sicht des Jobcenters auch keine Schuldnerberatung. Ich sage in dem Fall immer, sie könnte aber dafür sorgen, dass der Betroffene mal wieder seine Post öffnet, weil er durch unsere Hilfe keine Angst mehr vor Mahnungen haben muss. Und dann würde er vielleicht auch die Termine des Jobcenters wieder wahrnehmen.
Ihre Beratungsleistungen kosten Geld?
Ja, dadurch finanzieren sich die Beratungsstellen. Aber wenn jemand Bürgergeld bezieht, übernimmt das Jobcenter die Kosten oder sollte das zumindest, bei Sozialhilfe zahlt der Sozialhilfeträger, also die Stadt Bremen. Und bei Menschen, die Arbeit haben, gibt es in Bremen die Besonderheit der sogenannten präventiven Schuldnerberatung. Das heißt, es gibt abhängig vom Einkommen einen Eigenanteil, den der Schuldner bezahlen muss. Für eine Familie mit zwei Kindern liegt die Schwelle für die Beteiligung zum Beispiel bei rund 2700 Euro Nettoeinkommen. Im Höchstfall werden dann 130 Euro fällig, wenn der Schuldner mehr als 3200 Euro im Monat verdient. Die präventive Beratung ist übrigens allein Sache der sozialen Schuldnerberatungen der Wohlfahrtsverbände oder Beratungen, die Mitglied in einem Wohlfahrtsverband sind.
Wie helfen Sie Ihren Klienten?
Am Anfang steht immer die Bestandsaufnahme, denn viele haben komplett den Überblick verloren. Manche rücken hier mit Plastiktüten voller Mahnschreiben an. Sehr häufig sehen wir Konsumkredite, nach dem Prinzip: Jetzt kaufen, später bezahlen. Manche Forderungen haben sich auch komplett verselbstständigt, weil sie an Inkasso-Unternehmen übergegangen sind, die hohe Zinsen und Gebühren verlangen. Das ist zum Teil recht kreativ und vielfach auch nicht gesetzeskonform. Wir sortieren zusammen mit den Schuldnern die Schreiben und Forderungen und prüfen auch deren Rechtmäßigkeit. Dann versuchen wir, Vergleiche mit den Gläubigern zu erzielen. Wenn das nicht geht, ist die Privatinsolvenz zu empfehlen.
Für viele Betroffene mutmaßlich eine erschreckende Vorstellung.
Das sollte es aber nicht sein. Es ist gesetzlich klar geregelt, es dauert höchstens drei Jahre und nach einem weiteren halben Jahr sind auch sämtliche Schufa-Einträge getilgt. Es gestattet einen echten Neuanfang.