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Nordbremer gehen wöchentlich auf die Straße Rekord für den Frieden

Zu 700 Kundgebungen haben sich die Mitglieder der Initiative Nordbremer Bürger gegen den Krieg in der Fußgängerzone seit 2001 getroffen. Und sie wollen weitermachen.
12.02.2016, 00:00 Uhr
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Von Ulrike Schumacher

Zu 700 Kundgebungen haben sich die Mitglieder der Initiative Nordbremer Bürger gegen den Krieg in der Fußgängerzone seit 2001 getroffen. Und sie wollen weitermachen.

Es ist ein Rekord. Aber die, die ihn aufgestellt haben, hätten auch gern darauf verzichtet. Wenn an diesem Freitag, 12. Februar, an der Ecke Gerhard-Rohlfs-Straße/Breite Straße wieder eine Gruppe von Menschen gegen Krieg und dessen unmenschliche Folgen auf die Straße geht, wird es die 700. Friedenskundgebung sein, die die Initiative Nordbremer Bürger gegen den Krieg auf die Beine stellt. Zum ersten Mal zeigten sie hier am 9. November 2001 Friedens-Flagge.

Freitag, 17 Uhr, Fußgängerzone Vegesack. Vor dem Kaufhaus Leffers greifen Männer und Frauen zum Mikrofon und „nennen die Dinge beim Namen“, wie Volker Keller sagt. Der Vegesacker Pastor gehört zu den zwölf Initiatoren der Friedenskundgebung. „Damals war uns klar, dass ein Krieg gegen ein islamisches Land nur verhängnisvoll sein kann“, erinnert sich Volker Keller an den Angriff der USA auf Afghanistan. „Ein Krieg mit allen Mitteln und keineswegs nur gegen das Taliban-Regime“, kritisierte der Pastor damals vor dem Hintergrund eines zerstörten Wohngebiets in Peshawar und eines zerbombten Krankenhauses in Kabul.

Der Schock vom 11. September liegt zu dem Zeitpunkt gerade ein paar Wochen zurück. Die Anschläge in den USA schüren die Angst vor einem Krieg. Aus Sorge um den Weltfrieden rufen Bremer Kirchen zu Friedenskundgebungen auf. Knapp einen Monat nach den Terrorangriffen in New York und Washington werfen die USA die ersten Bomben und Raketen auf Ziele in Afghanistan.

Nicht der richtige Weg

Dagegen regt sich in Bremen-Nord Protest. Zwölf Personen „aus unterschiedlichsten politischen Richtungen“ setzen sich zusammen und gründen am 30. Oktober 2001 die Initiative Nordbremer Bürger gegen den Krieg, berichtet Gerd-Rolf Rosenberger, Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei. Bis heute ist Rosenberger jeden Freitag an der Ecke Gerhard-Rohlfs-Straße/ Breite Straße dabei.

Mit den Angriffen der USA im Herbst 2001 „wurde der Krieg auch für uns Deutsche zum Alltag“, erinnert sich Gerd Meyer, Sozialdemokrat und Gründer der Internationalen Friedensschule, der ebenfalls zu den Initiatoren der Friedenskundgebungen gehört, die damals in ihrer Gründungserklärung schreiben: „Gemeinsam protestieren wir gegen den Krieg in Afghanistan, gegen den Hungertod der Flüchtlinge und gegen die Tötung und Verstümmelung von Unschuldigen. Terrorismusbekämpfung mit Bomben kann nie der richtige Weg sein.“

Ihr Gewissen habe sie dazu verpflichtet, „gegen die Unmenschlichkeit dieses Krieges alles zu tun, was in unseren Kräften steht“. Und Kraft war nötig von der ersten Kundgebung am 9. November 2001 bis zur 700. in dieser Woche. Das sagt Ludwig Schönenbach. Auch er ist ein Mann der ersten Vegesacker Proteststunde. „Die Gründung war die Folge einer sehr großen Empörung“, weiß Schönenbach, den das Durchhaltevermögen der Initiative fasziniert. „Es erfordert eine große Ausdauer, jeden Freitag eine Friedenskundgebung zu organisieren.“ Der 83-Jährige war einmal Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen, ist dort aber ausgetreten, weil die Grünen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan mitgetragen und somit etwas unterstützten, „was unsere Verfassung verbietet“. Damals hätten die Initiatoren noch die Illusion gehabt, „dass wieder Ruhe eintritt“, erinnert sich Ludwig Schönenbach.

Anfangs waren es 60 Leute

Doch es folgen der Irak-Krieg im März 2003 und 2011 der internationale Militäreinsatz in Libyen. „Dort hat man ein politisch stabiles System zerstört, und das macht man in Syrien jetzt wieder“, sagt Volker Keller. „Es geht seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer um die Herrschaft in dieser Region und um Bodenschätze“, fügt der Pastor hinzu. „Amerika und Europa können sich überhaupt nicht aus der Verantwortung nehmen.“ Die Folgen hätten wir heute zu tragen: „Al Kaida und IS sind im irakischen Chaos erst entstanden.“

Das Durchhaltevermögen hat die Initiative auch nicht verlassen, als zwischenzeitlich die Zahl der Teilnehmer schrumpfte. Mit 50, 60 Leuten hätten sie beim ersten Mal vor Leffers gestanden, berichtet Rolf-Gerd Rosenberger. Jetzt seien es etwa 15 Teilnehmer, die freitags dabei sind, weiß Gerd Meyer. „Es hängt immer auch von den Rednern ab, die wir einladen“, erzählt Rosenberger. Bei Leuten wie dem Grünen-Politiker Christian Ströbele, dem Schauspieler Rolf Becker oder dem katholischen Kirchenkritiker Eugen Drewermann seien über 200 Besucher gekommen. „Selbst, wenn es nur zehn, zwölf Leute sind, kann man doch stolz sein, wenn Vegesack so etwas macht“, findet Gerd Meyer. Die Internationale Friedensschule hat die Initiative Nordbremer Bürger gegen den Krieg im Jahr 2003 gemeinsam mit Amicale Belge de Neuengamme, einer Gruppe ehemaliger belgischer Zwangsarbeiter, mit dem Franco Paselli Friedenspreis bedacht.

Ob viele oder wenige Teilnehmer – für bewegte Gemüter haben sie in jedem Fall gesorgt. Leute, die mit den Aussagen der Initiative nicht einverstanden sind, haben sich genauso zu Wort gemeldet wie Befürworter, berichtet Volker Keller. „Wir wurden als Besserwisser und Lügner beschimpft“, nennt er Anfeindungen.

27 000 Euro gesammelt

„Aber es gab auch Zustimmung von Leuten, die es gut finden, dass mal jemand sagt, dass der Westen eine falsche Politik betreibt.“ Ludwig Schönenbach hätte sich mehr Resonanz von politischer Seite erhofft. „Es war unsere große Enttäuschung, dass die Parteien sich völlig rausgehalten haben. Auch nicht den Versuch gemacht haben, ihre Positionen zu vertreten.“

Schönenbach hatte vor Jahren, „als die Fluktuation in der Initiative groß war“, angeregt, sich nur einmal im Monat zur Kundgebung zu treffen, was keine Mehrheit fand. Heute denkt er, dass eine Regelmäßigkeit eher dazu führt, dranzubleiben und dass die wöchentliche Kontinuität eher die Passanten erreicht. Zur Regelmäßigkeit der Kundgebung für den Frieden gehört neben dem offenen Mikrofon, über das jeder sprechen könne, auch die Nachbereitung der Veranstaltung im Bürgerhaus. Diesmal aus besonderem Anlass bei Kaffee, Tee und Kuchen, kündigt Rolf-Gerd Rosenberger an. Wie immer gibt es ein Antikriegsgedicht und ein Friedenslied. Diesmal erklingt „Es ist an der Zeit“, das Hannes Wader, Konstantin Wecker und Reinhard Mey gemeinsam gesungen haben. „Daran üben wir noch“, sagt Rosenberger.

Und auch das Sammeln von Spenden gehört seit jeher zum Programm. „Seit 2002 haben wir bei den Friedenskundgebungen insgesamt 27 000 Euro gesammelt“, erzählt der 65-Jährige. Diesmal gehen die Spenden an Medico International für den Bau eines Kinder- und Frauenhauses auf Haiti. Als Referenten hat die Initiative den Schwaneweder Psychologen Manfred Polewka eingeladen. Sein Thema befasst sich mit mündigen Bürgern, erschöpften Menschen und Flucht. Titel: „Ist eine gesunde Integration möglich?“

Es gebe bestimmt Friedensinitiativen, die seit Längerem bestehen, sagt Rolf-Gerd Rosenberger. „Aber sicher keine, die jeden Freitag in Form einer Friedenskundgebung draußen steht. Solange es Kriegsherde auf diesem Planeten gibt, wird das so sein“, kündigt der Initiator an. Es sieht nicht so aus, dass sich daran so schnell etwas ändert.

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