In der Bremer Überseestadt gibt es seit Oktober 2019 eine von
. Vier der Bewohner haben eine Behinderung, vier von ihnen nicht. Wie sieht es dort aus? Eine Fotodokumentation.
In der Bremer Überseestadt leben acht junge Menschen in einer besonderen WG.
Besonders ist sie deshalb, weil sie inklusiv ist. Inklusion bedeutet, dass alle Menschen in der Gesellschaft ihren Platz finden; dass jeder Mensch dazugehört, egal wie er aussiehst, welche Sprache er spricht oder ob er eine Behinderung hat.
Für die WG heißt das: Hier wohnen acht Menschen zwischen 20 und 32 zusammen, vier von ihnen haben eine Behinderung, vier von ihnen nicht.
Die Idee: Ein Zusammenleben auf Augenhöhe, bei dem sich im Alltag alle gegenseitig unterstützen, Spaß haben.
Das Ziel: Eine Gemeinschaft, die auch den Bewohnern mit Beeinträchtigung ein erwachsenes und selbstbestimmtes Leben ermöglichen soll.
Inklusive WGs sind selten. In Bremen gibt es zwei. Deutschlandweit sind es nicht mehr als 50. Das schätzt zumindest Ann-Kathrin Akalin, Sprecherin der Aktion Mensch.
Der Weg dorthin war lang. Zwischen der Idee einer inklusiven WG und dem Einzug liegen sechs Jahre.
Neele Buchholz, 28, hat die WG zusammen mit ihren Eltern gegründet. Dafür haben sie den Verein "Inklusive WG Bremen e.V." ins Leben gerufen.
Buchholz ist die erste deutsche Profitänzerin mit Down-Syndrom, festangestellt bei Tanzbar Bremen. Sie hat außerdem schon in dem Kinofilm "Simpel" mitgespielt.
Zwischen der Idee einer inklusiven WG und dem Bezug der Wohnung im Oktober 2019 liegen sechs Jahre. Denn eine passende Wohnung zu finden war nicht leicht. Sie muss barrierefrei und groß genug sein.
Die Wohnung hat 330 Quadratmeter, hohe Betondecken und bodentiefe Fenster; eine Wohnküche mit Kochinsel, großem Esstisch und Sofaecke.
Sie liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Waller Sand. Von zwei Balkonen aus haben die Bewohner Blick auf die Weser.
Wer hier leben will, so die Bedingung, der muss sich da frei und willentlich für entscheiden können. Eine, die das getan hat, ist Rahel Hennemann, 22, aus Bremen-Nord.
Hennemann hat das Down-Syndrom. Sie arbeitet als Verkäuferin am Bremer Flughafen.
Zuhause spielt sie gerne Gitarre..
...oder malt Bilder. Mit denen wird dann die WG geschmückt.
Ihr Zimmer nennt sie den roten Salon.
Beim Einrichten, sagt Hennemann, haben ihr die Eltern geholfen. "Aber das meiste entscheide ich selber."
Mathilda Hanebuth, 20, ist die Jüngste in der WG. Als Kind hatte sie einen Badeunfall, lag dann lange im Krankenhaus. Seitdem braucht sie Hilfe beim Essen, Waschen, Anziehen.
Hanebuth lacht viel und schaut sich gern im Spiegel an, spaziert durch die WG.
Sie hat zwei Lieblingsplätze: Ein rosa Sessel im Wohnzimmer..
Und ihr blaues Zimmer. Dort kuschelt sie sich in Decken ein, schaut aus dem Fenster.
Ihre Bewohner sagen: Mathildas Brummen und Summen, ihre Laute "Mamamaaa, ihhh" sind das Grundrauschen der WG.
Sarah-Lea Binnewies, 32, Down-Syndrom, ist die WG-Älteste. Sie arbeitet in einer Küche, schnippelt dort zum Beispiel Gemüse klein.
Ihre Mitbewohner finden: Mit Sarah-Lea zu kochen macht richtig Spaß.
Was Binnewies mag: Fernsehen, spielen und Ordnung. Was sie nicht mag: frühaufstehen.
Giacomo Behrendt, 24, ist der Neue. Vor drei Wochen ist der angehende Ergotherapeut und Poetry-Slammer in der Überseestadt eingezogen.
Drei Wochen nach Einzug sagt Behrendt: „Wir sind eine stinknormale WG, nur mit Extras.“
"Extras" heißt für ihn und die anderen Bewohner ohne Beeinträchtigung: Sie helfen ihren Mitbewohnerinnen im Alltag. Dafür wohnen sie mietfrei.
Die Tandemdienste sind ein Ehrenamt, sagt Giacomo Behrendt. "Arbeit ist das nicht."
Den Rest der Zeit kann er sich frei einteilen. Durch Corona ist der Alltag in der WG gerade anders. Die Bewohner sind mehr zuhause.
Farukh Sauerwein, 24, lebt von Anfang an in der WG.
Sauerwein hat kreatives Schreiben in Hildesheim studiert, schreibt Kurzgeschichten, vielleicht bald einen Roman. Aktuell studiert er integrierte Europastudien in Bremen.
Wer in der WG leben will, muss kein Pädagoge sein. Denn, das ist hier allen wichtig: Die Studenten oder Auszubildenden sind Mitbewohner und Freunde, keine Pfleger.
Sauerwein ist ein ruhiger Typ. Einer, der gerne Verantwortung übernimmt, der Wert auf Respekt legt.
Er findet: "Das Thema Inklusion gehört in den Schulunterricht."
Auch Aleksandra Volkova, 20, lebt von Anfang an in der WG.
Volkova sagt: "Vor meiner Zeit in der WG hatte ich noch nie wirklich Kontakt zu Menschen mit Behinderung. Ich komme aus Russland, wohne seit acht Jahren in Deutschland. Dort sieht man keine Menschen mit Behinderung auf der Straße."
In wenigen Wochen zieht Volkova aus. Das WG-Leben, sagt sie, ist nichts für sie, egal ob inklusiv oder nicht. "Ich bin ziemlich ordentlich, mich macht es nervös, wenn überall Sachen rumstehen."
Alina Düring, 21, komplettiert die inklusive WG. Sie ist im vergangenen Herbst aus dem Dorf Picher in Mecklenburg-Vorpommern nach Bremen gezogen, um Gesundheitswissenschaften zu studieren.
Wer hier neu einzieht, entscheidet die WG immer gemeinsam. Bewerber wohnen hier etwa ein Wochenende zur Probe. Das ist Voraussetzung. Denn wer hier leben will, muss reinpassen, sich einbringen wollen.
An den Wänden hängen regeln für das Zusammenleben und Tagespläne. Was den Bewohnern hier zum Beispiel wichtig ist: Rücksicht und Respekt.
Und Erinnerungen hängen an den Wänden: Bilder gemeinsamer Partys und Ausflüge – die Bewohner Arm in Arm.
Einmal in der Woche haben die Bewohner sogenannte Tandems.
Gemeinsam mit einer der vier Frauen mit Beeinträchtigung kochen sie für die WG, kaufen ein, räumen auf, unterstützen bei allem, was anfällt – auch nachts.
Zusätzlich helfen sie einmal im Monat am Wochenende. Zusammen wird Sport gemacht, werden Freizeitaktivitäten geplant.
Vieles können die Bewohnerinnen mit Beeinträchtigung aber ganz allein. Damit das gelingt, gibt es im Alltag kleine Orientierungshelfer, zum Beispiel auf der Spülmaschine.
Auf den Schränken ist abgebildet, was darin zu finden ist. So muss kein Bewohner lange suchen.
Auch Kisten sind beschriftet.
Jeder der Bewohner hat einen eigenen Tagesablauf, je nach Arbeit und Uni.
Zwischendurch kann sich jeder in sein eigenes Zimmer zurückziehen.
Zeit für sich und Privatsphäre ist allen Bewohnern wichtig, egal, ob sie eine Beeinträchtigung haben oder nicht.
Rahel Hennemann liebt den Platz im Wohnzimmer. Den roten Sitzsack haben ihr die Eltern mitgebracht, sagt sie.
Abends wird zusammen gegessen und gechillt.
Manchmal auch, klar, vor dem Fernseher.
Putzen und aufräumen machen sie am liebsten zusammen.
Das macht mehr Spaß, geht schneller. Und wenn mal was nicht klappt, ist jemand da, der hilft.
Manchmal läuft Musik dazu im Hintergrund. Dann wird getanzt, gesungen und das Geschirrtuch geschwungen. Hauptsache: zusammen.
In der Bremer Überseestadt gibt es seit Oktober 2019 eine von
. Vier der Bewohner haben eine Behinderung, vier von ihnen nicht. Wie sieht es dort aus? Eine Fotodokumentation.