Der Ring aus Grünland, der Bremen umgibt, ist deutschlandweit wohl einzigartig: Denn der überwiegende Teil der Flächen ist europaweit geschützt, sogenanntes Natura-2000-Gebiet. In den meist extensiv genutzten Grünlandflächen können sich, entgegen dem allgemeinen Trend, seltene Wiesenvögel wie Kiebitz oder Wachtelkönig über erstaunliche Bruterfolge freuen. In den artenreichen Gräben leben Seltenheiten unter den Libellen wie die Grüne Mosaikjungfer, so häufig wie wohl in kaum einem anderen Bundesland.
Diese Schätze sind auch dem Wirken der Landwirtschaft zu verdanken. Ohne regelmäßiges Mähen, oder wie der Fachmann sagt „Mahd“, und schonende Beweidung hätten sich aus den feuchten grünen Weiten längst Schilfröhrichte oder Erlen-, Weiden- und Birkenwälder entwickelt. Zwischen der gesetzlichen Verpflichtung, die Naturschätze zu erhalten und der Notwendigkeit für die Landwirte, ihr Einkommen zu sichern, liegt ein enormes Spannungsfeld. Denn weil zahlreiche Grünlandflächen in Schutzgebieten liegen, müssen die Landwirte starke Einschränkungen hinnehmen, erhalten dafür im Gegenzug Prämien, zum Beispiel bei einer späten Mahd, die den Wiesenvögeln ermöglicht, ihre Jungen aufzuziehen.
Immer weniger Betriebe
„Das Grünland ist für Bremen höchst relevant, es nimmt etwa 80 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ein“, sagt Peter Bargfrede vom Verein Sozial-Ökologie. „Doch die Zahl der Betriebe schrumpft: Waren es vor 40 Jahren noch 355 Betriebe mit einer Fläche von mindestens fünf Hektar, so sind es heute nur noch etwa 150 – mit absteigender Tendenz.“ Wie könnte angesichts solch` trüber Aussichten eine Grünlandwirtschaft im Jahre 2030 aussehen? Der Verein Sozial-Ökologie hatte mehrere Landwirte, die vor Ort wirtschaften, aber auch Vertreter aus der Politik zum ersten Kamingespräch in Gartelmanns Dielencafé im Blockland eingeladen. Die Moderation übernahm Gunnar Oertel von der Stiftung Nord-West Natur.
„Wir müssen die regionalen Wertschöpfungsketten fördern“, sagt Ronny Meyer, Staatsrat beim Umweltsenator, in seinem Grußwort. Dazu gehöre zum Beispiel der Regiomat, ein Milchautomat, an dem Kunden rund um die Uhr frische Milch vom Bauernhof kaufen können, und zwar von Kühen, die im Naturschutzgebiet Borgfelder Wümmewiesen weiden und artgerecht gehalten werden. Die Landwirtin dieses Hofes, Heike Klatte, berichtet, wie es dort zugeht: sehr arbeitsintensiv, bei extensiver Produktion auf 90 Hektar Fläche, wobei das Grünland zum größten Teil Naturschutzgebiet ist, „was den Betrieb deutlich einschränkt“, wie Klatte schildert. Allerdings habe ihr Hof ein großes Einzugsgebiet für regionale Produkte. Sie hofft, dass ihre drei Kinder später einmal den Hof weiterführen.
Ebenfalls etwa 90 Hektar bewirtschaftet auch Hilmer Garbade mit rund 190 Milchkühen. Doch die Fläche reiche nicht, um die Tiere satt zu kriegen. Deshalb müsse er Mais als Futter zukaufen. Er betreibe zwar auch einen Hofladen wie Ehepaar Klatte, doch habe er weit weniger Kundschaft. Er sehe für die Zukunft der Landwirtschaft mehrere mögliche Wege, zum Beispiel Bio-Betrieb oder Direktvermarktung, doch nicht alle Landwirte würden diese Wege einschlagen können.
Angesichts der großen Arbeitsbelastung und des vergleichsweise geringen Einkommens sieht Garbade die Zukunft der Landwirtschaft eher düster: „Viele wollen sich das nicht mehr antun. Ihnen steht der Frust ins Gesicht geschrieben.“ Mehr Motivation unter den Landwirten sei nur zu erwarten, wenn Freizeit, Finanzen und öffentliche Anerkennung stimmen.
Das Gesamtpaket muss stimmen
Ein weniger negatives Bild zeichnet Bernhard Kaemena, Landwirt aus dem Blockland: „Ich habe den Weg in den Ökolandbau gefunden und betreibe neben Milchwirtschaft auch Eisverkauf, Ferienwohnungen sowie eine Kunstgalerie“, sagt er. Es habe viel mit Wohlfühlen zu tun, sich in diese Richtungen zu bewegen. „Die Gäste der Ferienwohnungen sehen sich gern die Landwirtschaft an, die Eisproduktion läuft gut, und die Schwiegertochter wird den Hof wohl weiterführen“, sagt Kaemena.
Auch Gerhard Dehlwes, der eine Bio-Hofmolkerei in Lilienthal betreibt, ist bis heute mehr und mehr expandiert, inzwischen produziere er zehn Millionen Liter Milch – nicht nur Trinkmilch, sondern auch Käse oder Joghurt. Projekte wie „Biostadt Bremen“ hätten ihm geholfen: „Wir brauchen Einsatz und Begleitung durch die Politik. Und neue Absatzmärkte, wie zum Beispiel Kindergärten, die Biomilch beziehen, müssen weiterhin geschaffen werden“, sagt Dehlwes.
Die anschließende Diskussion zeigt, wie komplex die Probleme für eine Landwirtschaft am Rande der Großstadt sind: Der Bebauungsdruck ist enorm und immer wieder fallen ihm Höfe zum Opfer, wie in Borgfeld West. Die Polderung von Grünlandflächen für den Naturschutz bringt den Ausfall von Produktion für die Landwirtschaft mit sich. Und nicht zuletzt fehlt in Teilen der Bevölkerung das Verständnis für die höheren Preise, die Bio-Lebensmittel notgedrungen mit sich bringen.
Beklagenswert sei nach wie vor der zu niedrige Milchpreis, der in 40 Jahren nicht gestiegen sei, aber auch, dass ohne Prämien die Landwirte ihre Betriebe nicht bewirtschaften können, wird in der Diskussion deutlich. „Wir würden gern ein anderes System haben“, fordert Landwirt Hilmer Garbade, „so dass man ohne Prämien von den Produkten leben könnte.“
Mehr Wertschätzung gewünscht
Und wie sind bei solchen Problemlagen die Ausblicke in die nähere Zukunft? Frank Imhoff von der CDU zeichnet ein eher düsteres Szenario: „Im Jahre 2030 werden wir wohl weniger als 100 Landwirte in Bremen haben, da die Politik nach dem Motto „Wachsen oder weichen“ handelt. Die Regeln der Sozialen Marktwirtschaft sollten jedoch auch für die Landwirtschaft gelten.“ Jan Saffe von den Grünen fordert mehr „Ernährungsbildung“ in der Bevölkerung, „denn sie weiß nicht, was da draußen passiert. Hofbesuche müssten für Schulklassen zur Pflicht gemacht werden.“ Damit könnte die Wertschätzung deutlich gesteigert werden. Denn die wenigsten wüssten, welche Leistungen die Landwirtschaft für Natur, Umwelt und gesunde Ernährung erbringt.