Herr Kötting, wie ist die Idee entstanden, eine App für werdende Mütter anzubieten?
Die Idee ist auf Fachkongressen entstanden und wird in Kooperation mit den Unikliniken in Frankfurt am Main und Ulm realisiert. Ziel ist, die Kommunikationskompetenzen und damit die Sicherheit der Frauen unter der Geburt zu erhöhen und damit auch zu einer selbstbestimmten Geburt beizutragen. Natürlich ist die App aber kein Ersatz für einen Geburtsvorbereitungskurs, sondern nur ein unterstützendes Angebot.
Wie ist die App aufgebaut?
Das Herzstück sind zehn Trainingseinheiten zur Kommunikation vor, während und nach der Geburt. Die Frau entscheidet sich für eine Antwort und erkennt sofort, ob sie richtig lag. Hier geht es um die Kommunikationskompetenzen. Aber es gibt auch praktische Übungen. Ein Beispiel: Das Kind ist gerade auf der Welt, die Tür geht auf und eine Ärztin kommt mit einem Medikament in das Zimmer. Hier entsteht oft die Angst, das Kind könne krank sein. Dabei ist das Medikament für die Mutter. Durch die App lernt die Mutter, sofort nachzufragen. Sie trägt dann auch dazu bei, dass die Ärzte klarere Aussagen machen.
Können sie das präzisieren?
Es geht in der App um die Sicherheit im Umgang mit Ärzten und Fachpersonal. Die Frauen sollen nachhaken und Fragen stellen. Hier soll das Selbstbewusstsein gesteigert werden.
Geben Sie bitte noch ein Beispiel für eine Übung in der App...
Die Frau liegt mit Wehen im Kreißsaal und soll einen Kaiserschnitt bekommen. Das wird mit Avataren digital in Bildern dargestellt. Nun gibt es verschiedene Gesprächsstränge mit Fachbegriffen, beispielsweise fällt der Begriff "Sektio", den die werdende Mutter womöglich nicht kennt. Die Frauen können in der App verschiedene Dialog-Vorschläge antippen und werden entsprechend weitergeleitet. Im Idealfall lernen sie, ihre Kommunikation zu nutzen und sich nicht zu schämen, wenn sie Ärzten und Fachpersonal Fragen stellen.
Kann es sein, dass die App etwas altertümlich daherkommt?
(lacht) Es ist keine Daddel-App zum Bespaßen der Nutzerinnen. Vielmehr geht es darum, herauszufinden, was werdende Mütter brauchen. Trotzdem soll der Spaßfaktor natürlich erhalten bleiben. Deshalb können die Frauen ihre Fortschritte messen und erkennen, wie sich ihre Kenntnisse und Ansprüche im Lauf der Zeit ändern. Man kann die App mehrfach durchspielen und sich dabei Leitsätze notieren.
Wieso sollen die schwangeren Frauen drei bis vier Stunden für den App-Test an der Jacobs University einplanen?
Das Durchspielen der gesamten App dauert mindestens eine Stunde. Aber wir stellen zwischendurch auch Fragen und bitten die Frauen, ihre Gedanken laut auszusprechen. Nach den Tests geht es dann an die Weiterentwicklung. Das ist üblich bei wissenschaftlichen Apps.
Warum können nicht auch Frauen, die bereits Mütter sind, an den App-Tests teilnehmen?
Wir müssen irgendwo die Grenze ziehen. Wir wissen natürlich, dass Mütter mit ihren Erfahrungen viel beitragen könnten. Und das könnte durchaus auch noch kommen.
Wann wird die App veröffentlich und wie oft wird sie aktualisiert?
Es handelt sich hier um ein gefördertes Projekt, das sich in der letzten Phase befindet. Jetzt gilt es, die App den Bedürfnissen den werdenden Müttern anzupassen. Aktuell wird die App noch getestet und erscheint bestenfalls Ende 2023. Je mehr Nutzer und je mehr Echo, desto präziser wird sie dann werden. Sie wird aber nicht ständig weiterentwickelt, wenn diese Phase abgeschlossen ist.
Wird diese App in unterschiedlichen Sprachen angeboten?
Aktuell gibt es die App nur auf Deutsch. Aber Mehrsprachigkeit wäre natürlich sinnvoll, weil es gerade auch bei Menschen mit Migrationshintergrund häufig zu Missverständnissen unter der Geburt kommt. Aber das ist in der Pipeline. Aktuell lösen die Krankenhäuser dieses Problem mit Mitarbeitern, die die jeweilige Sprache beherrschen.