Borgfeld. Eintauchen in die Lebenswelten von Jugendlichen, das ist der Beruf von Gunnar Erxleben. Der Sozialarbeiter kontaktiert junge Leute, die andere stören. Er will sie kennenlernen, wissen, was sie bewegt. Deshalb geht der Sozialpädagoge vom "Verein zur Förderung akzeptierender Jugendarbeit" (Vaja) auf sie zu, spricht sie an, lernt sie kennen – und, ganz wichtig, sie ihn. Erxleben sucht Jugendliche auf, wenn sie sich auf öffentlichen Plätzen treffen, an Deichen oder in Grünanlagen. Er hat von der Party-Meile am Borgfelder Hollerdeich und im Ratsspiekerpark gehört und will sich als Vermittler umhören. Er steht dabei ganz klar auf der Seite der jungen Leute.
"Für Kinder gibt es Spielplätze. Aber wenn sie ein gewisses Alter überschreiten, dürfen sie dort nicht mehr sein – sind sogar unerwünscht", berichtet der Bremer Streetworker, mit dem wir uns am Borgfelder Ratsspiekerpark treffen. Erxleben hat von den zunehmenden Turbulenzen im Stadtteil gehört. Er will sich der Sache annehmen und für die Bedürfnisse der Jugendlichen werben. "Kinder kommen in die Pubertät, sie sind dann laut, trinken Alkohol, lassen ihren Müll liegen – und dann sind sie nicht mehr gern gesehen." Es sei ein Fehler, sie so zu reduzieren.
Vaja kläre die Bedarfslagen in den Stadtteilen ab und mache das dann öffentlich. Natürlich versteht Erxleben auch die andere Seite. Doch darum geht es hier nicht. "Es geht darum, eine Brücke zu schlagen, damit sich Dinge zum Guten ändern", unterstreicht der Pädagoge. "Überall in ganz Bremen beschweren sich Menschen zurzeit über Jugendliche. Über ihren Müll, ihre Lautstärke, darüber, dass sie Blumen im Park für Instagram-Fotos niedertrampeln, dass sie das Wümmeufer verschmutzen oder Brutvögel stören." Erxleben will das nicht kleinreden. Als er hört, dass der Borgfelder Landwirt Friedhelm Schumacher ein Grundstück für die Öffentlichkeit zur Verfügung stellt, die Stiftung Nordwest-Natur darauf einen Aussichtsturm für alle gebaut hat und dieser als Treffpunkt von Leuten genutzt wird, die den Turm anzünden und ihren Müll dort hinterlassen, wird er hellhörig.
Auch von Wildcampern am Deich habe er gehört – "doch die gibt es überall", wehrt der Streetworker ab. Dass das Jugendliche sind, bezweifelt er. Wichtig ist jedoch, dass sich Anwohner und Naturschützer sowie Sportfischer in Borgfeld beschwert haben. Erxleben will der Sache nachgehen – stellt jedoch klar: "Jugendliche brauchen ihre Freiräume."
Vereinbarungen treffen
Wenn Streetworker von Vaja unterwegs sind, sprechen sie Cliquen direkt an. "Ich erläutere die Problemlage und dann geht es eigentlich relativ einfach zu einer Lösung zu kommen", sagt Gunnar Erxleben. "Wir treffen Vereinbarungen." Der Sozialarbeiter unterscheidet dabei zwischen Cliquen von 12 Leuten und sogenannten Jugendszenen von 20 bis 30 Mitgliedern – die aus verschiedenen Stadtteilen kommen. "Wenn die Treffen darauf ausgelegt sind, dass Konflikte ausgetragen werden sollen, wird es schwieriger." Aber davon gehe er hier nicht aus.
Die Ursache für die Treffen sieht der Pädagoge in der Pandemie begründet. "Das war eine sehr entbehrungsreiche Zeit für Heranwachsende. Und sie ist es immer noch." Kulturinteressierte Erwachsene könnten wieder Veranstaltungen besuchen. "Und daneben sind die Jugendlichen, die das gar nicht erreicht. Jugendliche wollen flirten, sie wollen Party feiern, sie brauchen einen Club." Die Discomeile sei nach wie vor geschlossen. Es fänden keine Uninächte statt. Corona bestimmt weiterhin die Lage. "Man spricht jetzt vielfach davon, dass wir eine Entspannungssituation haben, aber für die Jugendlichen hat sich faktisch nichts geändert", kritisiert der Pädagoge.
"Am Osterdeich, am Hollerdeich da steppt der Bär. Das sind die Nischen, die sich Jugendliche suchen. Die brauchen das. Die wollen sich treffen. Das ist die Ursache dessen, warum es hier in Borgfeld gerade kneift." Die Lösung sei, Angebote zu schaffen. "Impfangebote, Veranstaltungsangebote – und Platz, so wie hier!" Seine Auftraggeber sind in der Regel Beiräte, Anwohner und Behörden, sagt Erxleben. "So wie ich das hier mitbekommen habe, geht es in erster Linie um starke Vermüllung im Naturschutzgebiet." Das führe natürlich zu Konflikten. "Das ist verständlich."
Der Streetworker schlägt vor, dass Anwohner eine Initiative gründen, sich an den Beirat wenden und in Zusammenarbeit mit den Bremer Umweltbetrieben zu einer Lösung finden. "Gemeinsam mit Anwohnerinnen und Anwohnern ist es immer einfacher etwas zu erreichen – auch wenn es nur um Müllbehälter geht", sagt der Pädagoge. Auf der anderen Seite gebe es immer wieder Jugendliche, die man in Beteiligungsprozesse integrieren könne. "Da fängt jugendpolitische Bildung an, dass man sagt, ihr habt hier die Möglichkeit, etwas zu gestalten und nach euren Wünschen zu realisieren." Wenn die Jugendlichen Lust dazu hätten, würde Vaja das anschieben. "Auch im Einklang mit dem Naturschutzgebiet. Das ist ja hier extrem wichtig. Jugendliche möchten nicht gestört werden. Aber sie sind auch bereit, Dinge zu pflegen und Verantwortung zu übernehmen."