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Planungen für Bahnwerkstatt in Oslebshausen „Weniger Verkehr, Lärm und Müll wurden uns versprochen“

Die Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu kämpft seit gut einem Jahr gegen eine Bahnwerkstatt mit Abstellanlage in ihrem Ortsteil. Sprecher Dieter Winge hofft weiterhin auf einen alternativen Standort.
20.08.2021, 13:33 Uhr
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„Weniger Verkehr, Lärm und Müll wurden uns versprochen“
Von Anne Gerling

Herr Winge, Ihre Bürgerinitiative hat eine Petition gegen die geplante Bahnwerkstatt auf den Weg gebracht, die bis zum 16. Juli unterzeichnet werden konnte. Ist diese Petition mit der zweiten Informationsveranstaltung zur Bahnwerkstatt am 13. Juli hinfällig geworden, weil dort alle Bedenken ausgeräumt werden konnten?

Dieter Winge: Nein. Wir möchten mit unserer Petition erwirken, dass die Politiker erkennen, welche Auswirkungen die Ansiedlung der Bahnwerkstatt auch über die Grenzen Oslebshausens hinaus hat. Die Auswahl des Standorts ist facettenreich und hat enorme soziale, klimatische, wirtschaftliche, städtebauliche und arbeitspolitische Auswirkungen. Was zum Beispiel mit bedacht werden muss: Neben den Zügen für das Expresskreuz Bremen/Niedersachsen wird es eine neue Verbindung zwischen Groningen und Bremen geben, für die ebenfalls Züge gewartet und instandgehalten werden müssen. Weiterhin hoffen wir, dass möglichst bald Wasserstoffzüge von Alstom auf den vielen nicht elektrifizierten aktiven und hoffentlich auch demnächst wieder reaktivierten Strecken in der Region Bremen zum Einsatz kommen.

Warum ist Ihres Erachtens der Standort an der Reitbrake nicht der richtige?

Es gibt auf jeden Fall einen besseren. Wir müssen uns nur die riesigen Brachflächen der Bahn unmittelbar am Hauptbahnhof anschauen, über die auch in der Verkehrsdeputation schon im letzten Dezember diskutiert wurde. Die Verkehrssenatorin wurde beauftragt, sich um Alternativen zu kümmern – hier ist allerdings unseres Wissens nichts passiert. Man zieht sich darauf zurück, dass die Deutsche Bahn – als Staatsunternehmen – angeblich nicht verkaufen will. Dabei gibt es mit dem Eisenbahnregulierungsgesetz eine rechtliche Grundlage dafür, dass die Bahn das Grundstück für eine Eisenbahnnutzung zur Verfügung stellen muss. Der Bremer Senat scheint jedoch nicht besonders motiviert zu sein, diese Alternative ernsthaft verfolgen zu wollen.

Bei der Informationsveranstaltung wurde gesagt, dass die Flächen am Hauptbahnhof nicht groß genug sind. Zweifeln Sie an dieser Auskunft?

Der Bremer Senat hatte den Oslebshauser Bürgerinnen und Bürgern in der Koalitionsvereinbarung im August 2019 versprochen, dass es hier zukünftig mehr Umweltgerechtigkeit geben solle. Weniger Verkehr, Lärm und Müll wurden uns versprochen. Tatsächlich wurde zum damaligen Zeitpunkt bereits mit Alstom und anderen Bahnherstellern intensiv über eine Ansiedlung in Oslebshausen verhandelt. Wie uns hinter vorgehaltener Hand von den unterlegenen Herstellern berichtet wurde, hat die Landesverkehrsgesellschaft Niedersachsen in der Ausschreibung darauf gedrängt, dass der Standort Oslebshausen angeboten werden sollte. Die Ausschreibungsunterlagen sollen in der Endphase dahingehend angepasst worden sein. Daher war es auch nicht verwunderlich, dass alle Anbieter diesen Standort angeboten haben. Beweisen können wir das freilich nicht.

Aktuell laufen auf dem Areal Ausgrabungen. Sind Sie zufrieden damit, wie mit dem Thema „Russenfriedhof“ umgegangen wird?

Unserer Meinung nach müsste sich der Senat angesichts dieses Themas um einen alternativen Standort bemühen. Es ist ja erstaunlich, dass die Geschichte dieses Grundstücks so vollständig in Vergessenheit geraten ist. Hätte es nicht die wertvollen Ausarbeitungen von Harry Winkel und Peter-Michael Meiners gegeben, wäre es auch uns nicht aufgefallen. Wahrscheinlich wäre man auf die sterblichen Überreste der mindestens 300 verschollenen Leichname erst während der Bauphase gestoßen. Die damit verbundene Bauverzögerung beziehungsweise der dann noch wahrscheinlichere Abbruch der Bauarbeiten wäre von der Stadt zu verantworten gewesen und es wäre ein erheblicher Reputationsschaden für Bremen entstanden. Eventuell wären auch beträchtliche Schadenersatzforderungen auf Finanzsenator Dietmar Strehl zugekommen. Denn wem wollen Sie ernsthaft erklären, dass die Stadt Bremen vergessen hat, dass hier einmal der zentrale Friedhof für sowjetische Kriegsgefangene gelegen hat?! Insofern ist es ein sehr glücklicher Umstand für den Bremer Senat, dass das Bremer Friedensforum mit unserer Unterstützung so hartnäckig die Nachforschungen vorangetrieben hat.

Bürgermeister Bovenschulte ist zugleich auch Kultursenator und somit verantwortlich für Bremens Landesarchäologie. Hat er Ihnen schon für Ihren Einsatz gedankt?

Bislang nicht. Die Kommunikation mit den städtischen Behörden und den Abgeordneten und Deputierten erinnert leider bislang an eine Einbahnstraße. Wir bemühen uns um einen konstruktiven Dialog und teilen unsere Erkenntnisse und begründeten Fragen zeitnah und umfassend den politischen Akteuren und den Behörden mit. Von dort kommt jedoch vergleichsweise wenig. Selbst unsere formalen Auskunftsbegehren nach dem Bremer Informationsfreiheitsgesetz wurden mit nicht überzeugenden Begründungen abgelehnt. Ein Mitarbeiter der DB Netz AG wurde sogar dahingehend beeinflusst, uns das Testat der DB Netz AG nicht offenzulegen. Obwohl derartige Testate beispielsweise für die Ansiedlung einer Bahnwerkstatt in Wiesbaden offen im Internet abrufbar sind. Das widerspricht dem Geist des Gesetzes vollkommen.

Was wünschen Sie sich für den weiteren Prozess?

Ich wünsche mir eine aufrichtige, ehrliche und transparente Kommunikation. Die Prüfung des alternativen Standorts an der Oldenburger Kurve, für den uns eine sehr detaillierte Machbarkeitsstudie vorliegt, muss schon vor dem Planfeststellungsverfahren Gegenstand der Betrachtung werden. Wir brauchen dringend einen sehr zeitnahen politischen Diskurs in der Bürgerschaft. Hierbei muss auch die schreckliche Geschichte des Standorts Reitbrake berücksichtigt und eine Lösung für den seit mindestens 60 Jahren völkerrechtswidrigen Zustand dort – nämlich die Ansiedlung von Gewerbe auf einem Friedhof – gefunden werden.

Das Gespräch führte Anne Gerling.

Zur Person

Dieter Winge (58)

lebt seit 1985 in Bremen. Der Sozialpädagoge ist Sprecher der 2018 gegründeten Bürgerinitiative (BI) Oslebshausen und umzu und hat im Juni die Petition "Keine Bahnwerkstatt in Bremen-Oslebshausen" in die Bürgerschaft eingebracht.

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