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Marode Bauwerke in Bremen Mit dem "Brückendoktor" über der Weser

Der Beton bröckelt, aber sie bleibt stabil. In Bremen steht die Wilhelm-Kaisen-Brücke auf dem Prüfstand. Schon lange ist sie ein Sorgenkind, kommt nun die nächste böse Überraschung?
01.10.2024, 05:00 Uhr
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Von Björn Struß

Die offizielle Bezeichnung ist eine Perle der Amtskultur: Bauwerksprüfingenieur. Tristan Beiersdorf vom Bremer Amt für Straßen und Verkehr (ASV) hat aber auch eine Alternative, die leichter über die Lippen geht: " Ich bin so etwas wie der Brückendoktor." Anstatt eines Hämmerchens für Knie-Klopfer benutzt der Brückenexperte allerdings einen Hammer für Handwerker. Stethoskop und Lupe ersetzt Beiersdorf durch Zollstock und Digitalkamera. Sein Patient befindet sich bereits in einem kritischen Zustand: die Wilhelm-Kaisen-Brücke.

Das im Jahr 1960 von Wilhelm Kaisen höchstselbst eingeweihte Bauwerk muss als schwer vorerkrankt betrachtet werden. Seit zwei Jahren gilt eine Belastungsgrenze von 16 Tonnen, die BSAG darf in Summe nicht mehr Busse und Bahnen über die Brücke schicken. Auch deshalb ist die anstehende Notsanierung der Bürgermeister-Smidt-Brücke, die ab dem 4. November bekanntlich voll gesperrt sein wird, für das Verkehrssystem ein so großes Problem. Die BSAG kann lediglich die 1 über die Wilhelm-Kaisen-Brücke umleiten – und dies nur, weil andere Linien seltener fahren werden.

Die an diesem Montag und Dienstag laufende Hauptuntersuchung ist gesetzlich alle sechs Jahre vorgeschrieben. "Den Termin gab es also schon vor dem Einsturz der Carolabrücke", betont Beiersdorf. Die Elbquerung war in Dresden am 11. September teilweise zusammengebrochen. Wie die Wilhelm-Kaisen-Brücke ist auch die Carolabrücke ein Spannbeton-Bauwerk, das von der DDR allerdings erst 1971 eingeweiht wurde. "Der Einsturz war natürlich ein Paukenschlag", berichtet Beiersdorf. Er sei dennoch davon überzeugt, dass weltweit kaum ein anderes Land seine Brücken so gut im Blick hat wie Deutschland.

Die bestehenden Schäden der Wilhelm-Kaisen-Brücke sind vom ASV genau erfasst. Einmal pro Monat werden sie in Augenschein genommen, um keine bösen Überraschungen zu erleben. Neue Beschädigungen sind an der Unterseite allerdings mit bloßem Auge kaum zu finden. Deshalb braucht es "Bumble Bee". Der Name des weltberühmten Autobots aus der "Transformers"-Reihe schmückt die Windschutzscheibe eines Spezialfahrzeugs. Dieses verfügt über einen beweglichen Laufsteg, der sich unter der Brücke ausfahren lässt. "Einkragen" nennen das die Fachleute vor Ort.

Eine besondere Herausforderung sind die Laternen auf der Brücke. Denn "Bumble Bee" passt teilweise gerade so in die Lücken. Das Ausfahren des Laufstegs ist dann echte Präzisionsarbeit. "Beim Bau der Brücke spielte die Wartung keine Rolle", erläutert Beiersdorf. "Heutzutage gäbe es unter dem Bauwerk von vornherein eine bewegliche Plattform."

Für den Ingenieur geht es auf einer Feuerwehrleiter ein paar Meter in die Tiefe. Unten ermöglicht ein Walkie-Talkie die Kommunikation mit dem Fahrzeugführer auf der Brücke. "Kannst ausfahren", sagt Beiersdorf. Mit einem leisen Surren fährt der Laufsteg aus. Der Brückenexperte greift zum Hammer: "Akustische Prüfung. Man kann es aber auch einfach abklopfen nennen." Gesunder Beton habe einen gewissen Klang. "Hier ist es hohl", sagt Beiersdorf und schlägt zur Demonstration auf den massiven Brückenpfeiler. An dieser Stelle sei die Hohlstelle auf die Bauweise zurückzuführen. Kein Grund zur Sorge.

Stellen, an denen der Beton abplatzt, gibt es unter der Brücke viele. Teilweise erreichen sie die Länge eines Unterarms, Stahlstreben sind zu erkennen. Hierfür hat Beiersdorf seinen Zollstock mitgenommen. So kann er mit einem Foto das Ausmaß dokumentieren und mit den bisherigen Informationen abgleichen. "Das Abplatzen ist kein gravierendes Problem. Schlimmer wären Risse", erläutert der ASV-Mitarbeiter. Am Montag bleibt Beiersdorf von einer bösen Überraschung verschont.

Die Sichtung der zweiten Hälfte der Brücke steht allerdings noch aus. Wie die Prüfung ausgegangen ist, weiß das ASV am Dienstagabend. Für das kommende Jahr ist eine Ertüchtigung vorgesehen: Zusätzlich montierte Stahlseile sollen die Tragfähigkeit erhöhen. Ziel des ASV ist es, die 16-Tonnen-Beschränkung für den Lkw-Verkehr danach aufzuheben. Ob die Ertüchtigung ausreicht, um auch der BSAG mehr Möglichkeiten einzuräumen, ist allerdings noch nicht klar. Mit den Stahlseilen erkaufen sich die Statiker zudem Zeit, um die eigentliche Sanierung planen und umsetzen zu können. Nach aktuellem Planungsstand soll dieses Großprojekt im Jahr 2027 starten.

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