Die Briefe stapeln sich auf dem Tisch und den Stühlen. Teilweise ungeöffnet schlummert in der Wohnung ein Durcheinander an Rechnungen, Mahnungen und unbeantworteten Schreiben von Versicherungen und Behörden. Einen Überblick über ihre Post hat die Empfängerin schon länger nicht mehr, daher hat sie sich an die Caritas in der Bremer Neustadt gewendet. Denn dort sowie angedockt an das Dienstleistungszentrum der Arbeiterwohlfahrt in Gröpelingen sind seit einem Jahr ehrenamtliche Organisationsassistenten im Einsatz.
"Die Frauen und Männer helfen Menschen, die aufgrund von seelischen, geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage sind, den Überblick über ihren Schriftverkehr zu behalten", schildert Gabriele Kleine-Kuhlmann vom Caritas-Dienstleistungszentrum Buntentor/Huckelriede den Hintergrund des Projektes. Sie nimmt alle Anfragen entgegen und versucht, ehrenamtliche Helfer zu vermitteln.
Projekt läuft zunächst bis Mitte 2022
2017 hatte das Modellprojekt „Organisationsassistenz - Projekt zur Vermeidung von rechtlicher Betreuung“ begonnen. Das Projekt ist Teil des Landesaktionsplans der Freien Hansestadt Bremen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Das Unterstützungsangebot wird koordiniert vom Verein Selbstbestimmt Leben und läuft zunächst noch bis Mitte 2022.
Aktuell gebe es mehr Hilfebedarf als Ehrenamtliche, die die entsprechenden Kenntnisse mitbringen, sagt Kleine-Kuhlmann. "Darum suchen wir für die Neustadt und Gröpelingen weitere Menschen für diese wichtige Aufgabe."
Ziel: Durchblick statt Überforderung
Ziel für die Nutzerinnen und Nutzer des Angebotes sei es, wieder den Durchblick zurückzugewinnen und im besten Fall langfristig den Schriftverkehr wieder alleine schaffen zu können. Eine rechtliche Betreuung soll so gar nicht erst notwendig werden.
Wird in dem kompliziert formulierten Behördenbrief eine Antwort erwartet oder kann ich ihn einfach abheften? Wie antworte ich, damit meine Interessen berücksichtigt werden? Was tue ich, wenn ich Fristen versäumt habe und nun Probleme entstanden sind? Und wie gestalte ich meine Ablage übersichtlich, damit ich immer weiß, wo ich bei Bedarf die wichtigen Schriftstücke finde?
Springfeld ist einer der Ehrenamtlichen, die in der Neustadt Menschen genau bei diesen Fragen zur Seite stehen. "Das macht mir richtig Spaß", versichert der Pensionär, der während seines Berufslebens in der Bremer Innenbehörde gearbeitet hat. Er habe nicht gedacht, dass seine eher speziellen Kenntnisse auch noch im Ruhestand gefragt sein könnten. "Dass ich mit meinem Wissen über Schriftverkehr mit Behörden und meinem Organisationstalent nun anderen helfen kann, ist wirklich ein gutes Gefühl", sagt Springfeld.
Organisationstalent und Empathie gefragt
Von der Caritas fühlt er sich sehr gut unterstützt und angeleitet. "Ich stehe nicht alleine da, sondern kann mich mit meinen Fragen immer dorthin wenden", so der 68-Jährige. Er könne das Ehrenamt allen Menschen empfehlen, die sicher mit bürokratischen Angelegenheiten umgehen können.
"Auf Einfühlungsvermögen kommt es ebenso an, die Chemie zwischen den jeweiligen Tandems muss stimmen", ergänzt Kleine-Kuhlmann das Anforderungsprofil. Schließlich setze es ein großes Vertrauen voraus, die eigenen Probleme offenzulegen und Hilfe anzunehmen.
Den zeitlichen Aufwand könne jeder Ehrenamtliche selbst bestimmen, "das hält sich aber meist sehr in Grenzen". Ganz wichtig sei es für die Helfer, die anfallenden Probleme nicht im Alleingang, sondern gemeinsam mit den Hilfesuchenden abzuarbeiten. "Die Verantwortung und Selbstbestimmung bleibt bei den Menschen, die die ehrenamtliche Hilfe als Unterstützung anfragen", betont Kleine-Kuhlmann.
Sie bekomme sehr viele positive Rückmeldungen darüber "wie schön das Gefühl für diejenigen ist, die Unterstützung bekommen haben, ihre Dinge irgendwann wieder selbst geregelt zu bekommen", weiß die Caritas-Mitarbeiterin.
Häufig ersetzten die Organisationsassistenten schlicht ein soziales Umfeld, das im entscheidenden Moment nicht vorhanden ist, um während einer Krankheitsphase unter die Arme zu greifen.
Ampelsystem für mehr Überblick
Bernhard Springfeld hat da sein ganz eigenes System, um Ordnung in unübersichtliche Papierberge zu bringen. "Ich nenne das Ampelsystem, das funktioniert bei mir selbst seit Jahren sehr gut", sagt der Pensionär. In einem grünen Ordner heftet er nach Jahren sortiert alle Rechnungen, Garantien und weitere Belege ab. Jeweils zum Jahreswechsel wirft er dann den ältesten Jahrgang in den Papierkorb.
In einen gelben Ordner sortiert er Papiere von Versorgern für die Wohnung sowie Schriftverkehr mit Versicherungen und Verträge ein. Auch dort wird regelmäßig ausgemistet. "Und der rote Ordner, muss mit, wenn es mal brennt, denn da sind alle wichtigen Urkunden, Zeugnisse und wichtige Bescheinigungen drin, die dringend aufgehoben werden müssen", erklärt Springfeld.