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Vegesacker Ruderverein Aus dem Wasser auf das Wasser

Ihre erste Berührung mit dem Rudern war ziemlich ernüchternd.Aber Christine Ruff erzählt, wie aus ihr als Schwimmerin doch noch eine ehrgeizige Ruderin wurde.
16.07.2023, 16:20 Uhr
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Von Rainer Jüttner

Keine Frage, Wasser ist ihr Element. Doch dass die ambitionierte Nachwuchsschwimmerin Christine Ruff einmal ihr gewohntes Terrain im Wasser mit der Position auf eben jenem tauschen würde, daran war in der sechsten Klasse kaum zu denken. „Da haben wir im Rudertank der Jacobs-University ein Schulprojekt gehabt und ich hatte mir nur die ganze Zeit gedacht, wie kann man nur so blöd sein und diesen Sport betreiben“, sagt sie und erinnert sich schmunzelnd an ihre erste Begegnung mit Rollsitz, Skulls und Ergometer. Heute gehört die 16-Jährige beim Vegesacker Ruderverein (VRV) perspektivisch zu den interessantesten jungen Aktiven und ist nur noch mit Mühe aus dem Boot zu bekommen. Doch bis es soweit war und aus purer Abneigung echte Leidenschaft wurde, floss durchaus noch etliches Wasser die Lesum  hinunter.

Wie so vieles im Sport dadurch neu justiert werden musste, so hatte auch ihr Sinneswandel ihren Ursprung in der Corona-Pandemie. Bis dahin durchlief sie nach Erreichen der obligatorischen Abzeichen beim DLRG Bremen-Nord Stationen im Rettungsschwimmen und bei der SG Aumund-Vegesack im Wettkampf-Schwimmen. Schließlich landete sie in den Leistungsgruppen der TSG Huchting/Blumenthal und wäre vermutlich auch heute noch dort, wenn ihre sportlichen Pläne nicht von den Folgen der Pandemie durchkreuzt worden wären. „Meine Trainerin, die mich sehr stark geprägt hatte, hörte auf und irgendwie musste ich ja meine Flöhe im Hintern beschäftigen, sodass ich erstmal mit dem Laufen anfing“, sagt die Schülerin des Nebelthau-Gymnasiums.

Und auch dabei wurde aus anfänglicher Überwindung ein echtes Faible. „Mittlerweile laufe ich mich unfassbar gerne warm und liebe es, mich dann mit meinen  Ruderkollegen Thore Behrens und Christian Patzer zu messen“, sagt sie. Inzwischen ist das Laufen allerdings eher Mittel zum Zweck, denn auf Umwegen kam Christine Ruff dann doch zum Rudern. Eine Schulfreundin hatte einfach mal nachgefragt, ob sie denn Lust hätte, mal beim Training vorbeizuschauen. So richtig Lust hatte sie zwar nicht. „Aber ich habe mir gedacht, ich gucke mir das auf jeden Fall mal an“, erinnert sich die 16-Jährige. Als Liebe auf den ersten Blick konnten die ersten Berührungspunkte dann auch nicht gerade bezeichnet werden. Es war eher eine langsam wachsende Leidenschaft und das beschreibt den Charakter der Sportlerin schon ganz gut. „Ich brauche immer etwas länger als andere, um etwas zu verinnerlichen und mich damit anzufreunden.“

Das unterstreicht auch ihr Trainer Ulrich Temme. „Sie ist sicher kein Naturtalent, aber mit ihrer recht eigenwilligen Persönlichkeit weiß sie, was sie will. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann schafft sie es  auch. Das, was sie bis jetzt erreicht hat, musste sie sich alles hart erarbeiten“, sagt er. Und genau das ist auch ihr großer Trumpf: ihre Ausdauer ist stark ausgeprägt, ihre Hartnäckigkeit ihr Potenzial und ihr Ehrgeiz ihr Antrieb.

Und als sie im Sommer 2020 erstmals an einer Regatta im Einer teilnahm und in Ratzeburg auf dem letzten Platz landete, war das für sie wie ein Startsignal und ihr Ehrgeiz erwachte. So richtig los ging es dann im Winter 2020/21 als sie in die Leistungsgruppe zu Ulrich Temme und Nina Wirchan wechselte. Das anspruchsvollere Training machte ihr Spaß, ohnehin war sie vom Schwimmen härtere Einheiten gewohnt. Apropos: das Schwimmen hatte sie bis dato noch nicht aufgegeben, und so trainierte sie drei Monate lang parallel fünfmal in der Woche im und fünfmal in der Woche auf dem Wasser. 

Als ihre Wade nach einer dieser Doppel-Trainingstage total verhärtet war, war für Ulli Temme das Maß voll. „So geht das nicht, das ist zuviel. Du musst dich entscheiden“, stellte er seinen Schützling vor die Wahl. Christine Ruff entschied sich für das Rudern. „Das fiel mir erstaunlich leicht, doch ich war gut in die Gruppe integriert und die Trainer waren top. Es hat sich einfach richtig angefühlt“, sagte sie.

Ihre Begeisterung war da, aber es dauerte durchaus noch einige Zeit, bis sich Trainer und Athletin fanden. „Sie ist ein verletzlicher Mensch und damit muss man als Trainer natürlich sensibel umgehen, doch diese Erfahrung muss man erst einmal machen“, sagt Temme. Beispielsweise erkannte der Trainer, dass sie für lautstarkes Anfeuern beim Stabilisieren der Ruderausdauer auf dem Ergometer überhaupt nicht empfänglich ist. Was  zahlreiche andere Athleten anspornt, wirkt bei Christine eher leistungshemmend. „Sie hat sich dann ihre Ohrstöpsel genommen und in sich zurückgezogen. Sie konzentriert sich lieber einfach auf sich selbst“, erkannte der Trainer.

Neben diesem mentalen Bereich wurde in ihren ersten beiden Jahren aber auch viel im technischen Bereich gearbeitet. Und diese Arbeit trug Früchte. Mitentscheidend über Erfolg und Misserfolg ist im Rudern die Schlagzahl, also die Anzahl an Bewegungszyklen pro Minute, was in Ruderbooten der Zahl der Ruderschläge entspricht. In diesem Bereich war Temme aufgefallen, dass Christine in ihren anfänglichen Rennen über 1.500 oder 2.000 Meter einen Wert zwischen 28 und 29 Schlägen aufwies, während die Konkurrenz zwischen 34 und 35 Schlägen lag. Neben der Feinjustierung des Stemmbretts in ihrem Einer, arbeitete sie auch körperlich hart daran und hat sich mittlerweile in diesem Bereich stark verbessert.

„Diese Erkenntnis hat ihren Kopf frei gemacht. Sie hat jetzt eine gute Position gefunden, um ihre Leistung zu bringen“, sagt Ulrich Temme. Der Trainer vertritt da eine klare Meinung. „Wir Trainer müssen dafür sorgen, dass es ihr gut geht. Denn in ihrem Wohlfühl-Klima bringt sie richtig gute Leistungen.“ Bestes Beispiel dafür ist ihre bislang stärkste Performance, die sie jüngst bei den deutschen Jugendmeisterschaften auf dem Baldeneysee im Leichtgewicht-Einer in Essen gezeigt hat. „Da war ich einfach mächtig stolz auf sie. Wie sie die Rennen dort angegangen ist und wie sie von Rennen zu Rennen besser wurde, war einfach stark. Damit hat sie ihre tolle Entwicklung der letzten Wochen noch einmal unterstrichen“, sagte Temme.

Besonders die Art und Weise, wie sie dort auftrumpfte, hatte den Trainer überzeugt. „Mit ihrer Zeit im B-Finale wäre im A-Finale sicher der fünfte oder sechste Platz möglich gewesen.“ Klar, dass für Temme bei Christine Ruff die Leistungsgrenze noch nicht erreicht ist, zumal sie ja erst mit 14 Jahren angefangen hatte und erst seit etwa zweieinhalb Jahren im Verein ist. „Ich habe bei Christine eigentlich nie Zweifel gehabt, nur war da immer das Gefühl, dass da jemand bei ihr auf der Bremse steht. Das hat sich inzwischen geändert. Ich denke, dass sie im nächsten Jahr ganz nach vorne fahren  und bei den deutschen Jugendmeisterschaften auf den Medaillenplätzen landen könnte“, sagt er. 

Auch in diesem Jahr wird die Schülerin noch starten. „Ich würde sie im Herbst sehr gerne für die Sprintmeisterschaften in Heidelberg melden. Zurzeit kommt Christine stark über ihre Ausdauer. Dort könnte sie dann an ihrer Spritzigkeit auf den ersten 500 Metern arbeiten und dann am besten ganz vorn landen, um sich ihre Mühen auch zu belohnen“, sagte Ulrich Temme. Zudem wird sie auch bei den norddeutschen Meisterschaften in Hamburg Ende September antreten. Klar, dass sie auch dort nicht ohne ehrgeizige Ziele starten wird. „Natürlich will ich, wenn ich antrete, immer gewinnen. Aber man muss unterscheiden zwischen Zielen und Träumen. Und mein Ziel ist es, erst einmal ins A-Finale zu kommen und dann dort auf dem bestmöglichen Platz zu landen. Das gilt auch für die deutsche Jugendmeisterschaft im nächsten Jahr. Für mich ist diese Einstellung sehr wichtig, weil ich dann hinterher mit mir auch im Reinen sein kann.“

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