111 Jahre gibt es die Fotofreunde Vegesack mittlerweile. Die Schnapszahl ist für die Männer und Frauen hinter den Kameras aber kein Grund, eine Retrospektive zusammenzustellen. „Die bietet nichts Neues. Und da aus den Anfangsjahren des Vereins ohnehin nicht allzu viele Fotodokumente erhalten geblieben sind, haben wir uns entschieden, lieber neue Bilder zu präsentieren“, erklärt Ulrich Reiß. Unter dem Titel „Ein-, Aus- und Durchblicke“ beteiligen sich 16 der derzeit 21 Mitglieder an der neuen Vereinsausstellung im Gustav-Heinemann-Bürgerhaus.

Auch der Vereinsvorsitzende, Ulrich Reiß, beteiligt sich an der Ausstellung zum 111-jährigen Bestehen der Fotofreunde Vegesack.
Die Auswahl der Exponate wurde im Vereinsplenum getroffen. „Wir legen das Thema unseres jährlichen Ausstellungsprojekts zu Jahresbeginn fest. Ein Großteil der hier zu sehenden Bilder sind also tatsächlich im Zeitraum der letzten acht Monate entstanden", erzählte Reiß am Rande der Ausstellungseröffnung. Jedes teilnehmende Mitglied suchte seine zehn besten themenbezogenen Motive aus. Das Vereinskollektiv wählte dann im Rahmen der wöchentlichen Vereinsabende die jeweils vier besten aus.
Überwiegend Stillleben und Landschaftsimpressionen
Auf den 40 mal 50 Zentimeter großen, gerahmten Ausdrucken finden sich überwiegend Stillleben und Landschaftsimpressionen, die bisweilen aus recht ungewöhnlichen Perspektiven dokumentiert wurden. Sie versetzten die am Eröffnungstag zahlreich erschienenen Besucher häufig in Staunen. Personen, insbesondere Gesichter, sind hingegen selten zu sehen. „Das hat juristische Hintergründe. Laut Gesetz muss eine Person, bevor ein Foto entsteht, um ihr Einverständnis gebeten werden. Dies ist im Rahmen der Streetfotografie, bei der es häufig um bestimmte, kurze Momente und Augenblicke geht, so gut wie unmöglich“, erklärt Reiß.
Die fotografische Umsetzung des Ausstellungsthemas gestaltet sich dennoch vielfältig und kreativ – ja häufig faszinierend und mitunter sogar witzig. So porträtierte beispielsweise Birgit Hahn unter anderem einen Esel, der mit bemerkenswerter Mimik durch ein Fenster direkt auf den Bildbetrachter blickt.

Birgit Hahn porträtierte diesen Esel, der mit bemerkenswerter Mimik durch ein Fenster direkt auf den Bildbetrachter blickt.
Oftmals spielen Tunnel, Kuppel- und Dachöffnungen eine gewichtige Rolle, beispielsweise bei den Beiträgen von Edyta Finaske, Dieter Onken und Peter Mandrella. Cosia Vollmer offenbart mit ihren Beiträgen hingegen ein gewisses Faszinosum für die abstrakte Symmetrie mutmaßlich unfertiger Holzkonstruktionen im öffentlichen Raum.
So vielfältig das Projektthema auch umgesetzt wird, so niedrigschwellig formuliert der Verein seine Ausstellungsphilosophie. „Wir wollen unter anderem demonstrieren, dass auch anspruchsvolle Fotografie kein Hexenwerk darstellt", betont Ulrich Reiß. "Viele der hier zu sehenden Motive finden sich im näheren geografischen Umkreis, jeder kann sie sehen – und dementsprechend auch fotografisch dokumentieren.“ Mindestanforderungen an die Vereinsmitglieder gibt es bei den Fotofreunden weder bezüglich Referenzarbeiten noch des vorhandenen Equipments. „Potenziell kann auch jemand bei uns mitmachen, der ausschließlich per Smartphone fotografiert. Viele von diesen können qualitativ mittlerweile ja schon mit professionellen Kameras mithalten“, sagt der Vorsitzende.
Korrekturen und Colour-Keys
Gemeinsam mit der verfügbaren Technik entwickelt sich auch die Herangehensweise an die Fotografie unaufhaltsam weiter. Mittlerweile fotografieren alle Vereinsmitglieder ausschließlich digital. Charme wie Tücken der analogen Fotografie sind bei den Fotofreunden mit einer gewissen nostalgischen Patina behaftet. Bildbearbeitungsprogramme eröffnen ebenso neue ethische und philosophische Fragen wie künstliche Intelligenzen.
„Bei den ausgestellten Bildern handelt es sich ausschließlich um richtige Fotos“, betont Reiß. Korrekturen des Bildausschnitts, der Farbintensität und Kontraste, aber auch das Wegstempeln störender Bildelemente – beispielsweise einer weggeworfenen Getränkedose an einem ansonsten makellosen Sandstrand – oder die Nachbearbeitung mit sogenannten Colour-Keys seien für die Vegesacker Fotofreunde aber zulässig. Auch Collagen verschiedener Motive seien mit der Vereinsethik vereinbar. „Solange der jeweilige Autor alle Elemente des abschließenden Ergebnisses selbst fotografiert hat“, so der Vorsitzende.

Hartmut Hasse hat Schwarz-Weiß und Farbe zusammengebracht.