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Migrationsrecht Der Traum von einem besseren Leben

Der junge Gambier Salif Kujabi spielt seit einem Jahr beim Bremer SV Fußball und gilt als vielversprechendes Talent. Waller Ortspolitiker wollen helfen, dass er in Bremen bleiben kann.
13.03.2022, 18:00 Uhr
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Der Traum von einem besseren Leben
Von Anne Gerling

Es ist Mittwochnachmittag, ganz allmählich geht über dem Kunstrasenplatz der Sportanlage am Hohweg die Sonne unter. Aufmunternd stupst A-Junioren-Trainer Jan-Moritz Höler seinen Spieler Salif Kujabi in die Seite: „Lach mal. Lachen ist gesund!“ Doch dem jungen Gambier, der seit etwa einem Jahr beim Bremer SV Fußball spielt, ist nicht zum Lachen zumute. Kaum ein Lächeln bringt er an diesem Spätnachmittag zustande.

Denn Kujabi, der in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland kam, fragt sich seit eineinhalb Jahren jeden Tag und jede Nacht, wie es für ihn weitergehen wird. Wird er eine Duldung bekommen kann, also eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung und damit eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsgenehmigung.

Klage abgelehnt

„Andere haben die Duldung nach vier Wochen, spätestens drei Monaten, bekommen“, sagt Höler. Kujabi aber warte seit Juni 2020 auf das Papier. So sei, nachdem die von ihm vorgelegte Geburtsurkunde mit dem Geburtsjahr 2004 von den hiesigen Behörden nicht akzeptiert wurde, nach einer medizinischen Untersuchung als Geburtsjahr 1997 festgelegt worden. Kujabi klagte dagegen ebenso wie fast 40 andere junge Geflüchtete, die ebenfalls angegeben hatten, minderjährig zu sein und deshalb geduldet werden müssten – jedoch von den Behörden als volljährig eingestuft wurden. Kujabis Klage wurde abgelehnt, er erhielt einen sogenannten Verteilungsbescheid – obwohl Höler zufolge zwingende Gründe dagegen sprechen, ihn aus Bremen wegzuschicken und seinen Fall in einem anderen Bundesland zu verhandeln.

Neben einem psychologischen Gutachten seien dies die Aussicht auf einen Ausbildungsplatz in Bremen, enge persönliche Bindungen und vor allem auch die Einbindung in den Bremer SV, sagt Höler, der seit mehr als zwölf Jahren als Trainer im Bremer Jugendfußball aktiv ist: „Ich möchte mich um diesen Jungen kümmern und ihn fördern. Salif ist mit Abstand der beste Spieler, den ich je trainieren durfte. Mit seinem Talent hat er alle Möglichkeiten, seinen Lebensunterhalt in Zukunft mit dem Fußball verdienen zu können. Der Bremer SV braucht Salif als Spieler.“

Spielerpass nur mit Duldung

Kujabi hat gegen den Verteilungsbescheid Widerspruch eingelegt. Da Gambier  kaum Chancen auf ein Bleiberecht hätten, hieße eine Umverteilung in seinem Fall höchstwahrscheinlich Asylverfahren und Abschiebung, sagt Höler. Dies belaste den jungen Mann psychisch sehr stark: „Er weiß nicht, was los ist, und was mit ihm passiert. Er darf auch keine Spiele bestreiten. Nur mit Duldung können wir einen Spielerpass beantragen. Der Fußball an sich und der Zusammenhalt innerhalb des Teams gibt ihm Kraft und etwas mehr psychische Stabilität und tut ihm sicherlich gut. Die emotionalen und sozialen Kontakte zu den Mitspielern pflegt er wirklich gut, und die Integration in meine Mannschaft klappt wirklich toll.“ Mittlerweile dürfe Kujabi bei den 1. Herren – dem Aushängeschild des Bremer SV – mittrainieren: „Bald spielt er hoffentlich in der Regionalliga-Nord!“

Auch menschlich hält Höler große Stücke auf seinen Schützling: „Er geht zur Schule und hat inzwischen Deutsch gelernt, ist immer pünktlich, immer da, sehr diszipliniert und ein absoluter Sympathieträger in meiner Mannschaft mit insgesamt 14 verschiedenen Nationen. Seine Integration ist gelungen.“

Bleiberecht gefordert

Doch bei Test- und Punktspielen darf der junge Gambier nicht mitspielen. „Ich finde es schade, dass er kein Punktspiel machen darf und dass es keine Extragenehmigung für Flüchtlinge gibt. Das sorgt natürlich zusätzlich für Frust“, sagt dementsprechend Peter Warnecke, Präsident des Bremer SV und Mitglied der CDU-Fraktion im Waller Beirat. „Uns ist die Problematik der Flüchtlinge vom afrikanischen Kontinent, die zu uns kommen, durchaus bewusst“, sagt er. „Aber im Einzelfall steht immer ein einzelner Mensch vor uns. Und wenn der schon so lange hier ist, muss er auch die Chance auf ein Bleiberecht und eine Zukunft bekommen.“

Auch SPD-Fraktionsmitglied Udo Schmidt ist dafür, Kujabi zu unterstützen: "Wir legen in Walle Wert auf eine Willkommenskultur und schicken trotz Arbeitskräftemangels Menschen weg. Das kann nicht sein."

Eine Ansicht, der sich bei einer Enthaltung der gesamte Fachausschuss „Kultur, Sport, Migration“ des Waller Beirats angeschlossen hat: Die Ortspolitiker haben sich mittlerweile an das Migrationsamt und an die Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport gewandt, um sich dort für Kujabi einzusetzen. Außerdem fordern sie „eine zügige und wohlwollende Bearbeitung solcher Duldungsverfahren“.

Zermürbende Situation

„Das ist für einen jungen Erwachsenen, der mit vielen Hoffnungen nach Deutschland gekommen ist, eine zermürbende und sehr belastende Situation“, weiß auch Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde. Er sieht einen Teil des Problems darin, dass jungen Männern erzählt werde, sie könnten sich als Minderjährige ausgeben und dann ohne Asyl- und Duldungsverfahren in Bremen bleiben: „Wenn sich dann herausstellt, dass sie eigentlich längst erwachsen sind und trotzdem bleiben wollen, führt diese Empfehlung auf einen langen Weg mit vielen Rechtsstreitigkeiten. Behördliche Bescheide, Widersprüche, Eilverfahren und Hauptsacheverfahren in mehreren gerichtlichen Instanzen sind die Folge. So leben die jungen Männer für eine lange Zeit in einem fremden Land mit einem Rechtssystem, das ihnen nicht vertraut ist und wissen nicht, wie ihr Leben weitergehen soll.“

Dass man sich für einen jungen Mann einsetze, den man kennen- und schätzen gelernt habe, findet Schneider „menschlich verständlich und anerkennenswert“: „Ich bitte aber auch um Verständnis dafür, dass Behörden und Justiz die Anwendung geltenden Rechts nicht davon abhängig machen kann, ob sie einen Menschen sympathisch finden oder nicht. Der Rechtsstaat ist sehr darum bemüht, alle Menschen gleich zu behandeln und wendet daher einheitliche Maßstäbe an. Die Einzelfälle werden sehr genau geprüft – von der Behörde und von den Gerichten, wo noch einmal alle Argumente beider Seiten offengelegt werden“.

Im Fall von Salif Kujabi hat das Gericht noch nicht entschieden. Seinen großen Traum hat der junge Gambier noch nicht aufgegeben: „Ich möchte Fußball-Profi werden.“

Zur Sache

Rechtliche Ausnahmen gefordert

Geflüchtete sollen gleichmäßig im gesamten Bundesgebiet verteilt werden. Im September hatte sich der Verein Fluchtraum, der in Bremen junge Geflüchtete betreut, mit einem Hilferuf an die Presse gewandt und anschließend eine Petition im Internet gestartet: Etwa 40 junge Geflüchtete sollten aus Bremen auf andere Bundesländer umverteilt werden. Der Verein, der dagegen mehr als 2300 Unterschriften gesammelt hat, argumentiert, dass eine Umverteilung auf andere Bundesländer die Geflüchteten aus ihrem bekannten Umfeld reiße und psychische Krisen auslösen könne. Deshalb müssten in diesen Fällen rechtliche Ausnahmen gemacht werden. Die Behörde hatte im Januar angekündigt, jeden Fall einzeln prüfen zu wollen.

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