Utbremen. Bremens schönstes Dienstgebäude steht an der Hans-Böckler-Straße in Walle, daran besteht für Erwin Böhm kein Zweifel. Besser als das Volkshaus geht’s nicht, findet der Sozialpädagoge, der dort das Sozialzentrum Gröpelingen/Walle leitet. An diesem Dienstag, 29. August, radelt der Hemelinger – zumindest dienstlich – zum letzten Mal dorthin: Nach 22 Jahren Amtsleitung geht er im September in den Ruhestand.
Bremens Sozialzentren beraten und unterstützen bei Fragen rund um die Erziehung und helfen bei der Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs von Kindern. Sie sind außerdem für den Schutz von Kindern und die Beratung von Menschen in schwierigen Lebenssituationen zuständig. „Wir sind Dienstleister“, unterstreicht Böhm zur Rolle der Einrichtung, „und so möchte ich auch, dass die Bürger behandelt werden.“ Dass das gelinge, zeige die Atmosphäre im Volkshaus: „Wir sind nach wie vor ein Haus, das keine Security hat.“ Klar sei beim Arbeitsschwerpunkt junge Menschen aber auch: „Einerseits bin ich Unterstützer. Aber in dem Moment, wo es um Kinderschutz geht, habe ich eine absolute Machtposition.“
Leitung seit 2001
Böhms Interesse an sozialen Themen erwachte früh. „Meine Schulzeit begann mit der Dorfschule: Drei Dörfer, ein Klassenraum, neun Jahrgänge, ein Lehrer“, erzählt der gebürtige Harpstedter. Als Anfang der 1970er Jahre ein Realschulzweig eingerichtet wurde, gehörte er dort zum zweiten Jahrgang: „Der erste Teil meiner Schulzeit war völlig verknöchert, während unser Lehrer an der Realschule 36 war – und damit einer der ältesten Lehrer an der Schule. Dort und im selbstverwalteten Jugendzentrum wurde viel über Politik und über Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft diskutiert. In unserer Abschlussklasse waren wir ungefähr 23, vier oder fünf davon sind später an die Fachhochschule für Sozialpädagogik gegangen.“
Erwin Böhm war einer davon. Nach Jobs in der Landwirtschaft, Wehrdienst und dem Studium in Hildesheim kam er nach Bremen, wo er ein Berufspraktikum in einem Hort absolvierte. Es folgten Tätigkeiten bei der Bremer Arbeitslosenhilfe, im Freizi Oslebshausen und schließlich beim Personalrat. 1987 war Böhm eines der Gründungsmitglieder des Vereins Solidarische Hilfe, wo er sich viele Jahre nebenberuflich engagierte.
Im Oktober 2001 übernahm Böhm die Leitung im Sozialzentrum Gröpelingen, das am Schiffbauerweg neu eingerichtet wurde, 2005 Walle dazu bekam und 2007 ins Volkshaus umzog. Damals baute SPD-Sozialsenatorin Hilde Adolf mit Hilfe der Unternehmensberatung Roland Berger ihr Ressort grundlegend um: Die vier Regionalabteilungen des Sozialamts wurden durch zwölf neue regionale Sozialzentren ersetzt, deren Angebote auf den individuellen Bedarf der Stadtteile zugeschnitten waren. Dort sollten Hilfsbedürftige nun von A bis Z von ein- und demselben Mitarbeiter („Fall-Manager“) betreut werden.
Reform des Arbeitsmarktes
Mit der Reform des Arbeitsmarktes durch die Hartz-Gesetze änderte sich einiges, in neuen Job-Centern sollten nun Arbeitsamt und Sozialamt zusammenarbeiten. Böhm: „Zum 1. Januar 2005 wurden aus den zwölf Sozialzentren sechs und es gab Änderungen in der Sozialgesetzgebung. Damit waren wir einen ganzen Teil an Verantwortung für die Menschen los. Von 2001 bis 2005 war die Abteilung ‚Wirtschaftliche Hilfen‘ die größte Abteilung im Haus. Mit ihrem Umzug wechselte auch eine ganze Menge an Kolleginnen.“
Um das Jahr 2005 herum wurden außerdem Bremens bis dahin städtische Jugendfreizeitheime privatisiert. „Verschiedene freie Träger übernahmen die Häuser und es gab Ausschreibungsverfahren, die wir geleitet haben. Das war schon eine ziemliche Veränderung – ähnlich wie schon kurz zuvor, als die Abteilung für Kinderbetreuung in den Eigenbetrieb Kita Bremen rübergegangen war.“
Einen tiefen Einschnitt brachte das Jahr 2006: In Gröpelingen sorgte der Tod des zweijährigen Kevin nach Misshandlungen durch seinen Ziehvater bundesweit für Schlagzeilen. Die damalige SPD-Sozialsenatorin Karin Röpke trat sofort zurück, kurz darauf auch der Leiter des Sozialamtes. Auch Böhm dachte damals ans Aufhören – bekam jedoch viel Rückhalt aus dem Ressort und blieb: „Wir haben dann querfeldein neues Personal gekriegt. Zwischen damals und heute sehe ich einen himmelweiten Unterschied. Damals hatten wir acht bis neun Sozialarbeiter, jetzt gibt es mehr als 30. Die Kollegen wären damals nicht in der Lage gewesen, mit der heutigen Qualität zu arbeiten. Und: Damals hatte ein Amtsvormund etwa 240 Mündel, heute ist bremenweit die Zahl von 50 Mündeln pro Amtsvormund festgelegt.“
Entwicklung der Überseestadt
Schon früh hat Böhm sich intensiv mit der Entwicklung der Überseestadt beschäftigt. Als er vor vielen Jahren erstmals auf einer Beiratssitzung den Bau von Kitas in dem Gebiet anregte, erntete er erstaunte Blicke, wie er sich erinnert: „Ursprünglich war dort ja überwiegend Gewerbe und am Wasser hochpreisiges Wohnen angedacht. Die Infrastruktur wurde lange nicht mitgedacht – das fing mit Kitas an und an Schulen wird auch erst seit wenigen Jahren gedacht. Und dann kam schließlich die Frage nach öffentlichen Flächen.“
Auf unzähligen Beiratssitzungen, in Fachausschüssen oder bei Win-Foren hat Böhm das Sozialzentrum nach außen vertreten. Und seine Tätigkeit hat ihm Spaß gemacht: „Man ist direkt dran. Das ist ein Job, wo man einzelne Menschen persönlich begleitet, bis hin zur politischen Ebene eine große Bandbreite hat und wo es viele Gestaltungsmöglichkeiten gibt.“ Walle entwickele sich gut, während man sich in Gröpelingen – und dort speziell im Lindenhof – wohl noch lange intensiv um die Menschen kümmern müsse, bilanziert Böhm nach 22 Jahren: „Aber wenn man Erfolg daran misst, wie sich die Sozialindikatoren entwickeln, dann sollte man aufhören. Was ich den Kollegen immer sage: Guckt auf das, was ihr schafft – und nicht auf das, was noch zu schaffen wäre. Sonst ist man ja immer gefrustet. Wenn man im Sozialbereich arbeitet und da nicht Grundoptimist ist, kriegt man schlechte Laune.“
Zum 1. September übernimmt Paulina Iflaender die Leitung des Sozialzentrums, die bisher das Referat Junge Menschen Gröpelingen geleitet hat. Und Erwin Böhm genießt es, dass er jetzt abends auch mal Zeit für etwas völlig anderes als berufliche Termine hat: „Neulich war ich zum ersten Mal in den 17 Jahren, die ich dort wohne, bei einer Sitzung des Hemelinger Beirats!“