Sven Stehr sagt, seit dem 6. März habe er "das Vertrauen in die Menschheit verloren." An diesem Tag hat er gemeinsam mit dem Gerichtsvollzieher offiziell eine Zwangsräumung in einer von ihm vermieteten Wohnung durchgesetzt. Praktisch passierte an dem Tag nicht viel, denn die von ihm herausgeklagte Mietpartei war wie abgesprochen bereits weg.
Aber der Fund von mutmaßlich einigen Dutzend Kubikmetern verdreckten und zerstörten Hausrats und Müll hinter der amtlich aufgebrochenen Wohnungstür hat den 39-Jährigen ziemlich erschüttert. "Wie haben die hier leben können?", fragt er sich, auch wenn die Vorgeschichte nahelegt, dass das Ende dieses Mietverhältnisses keinen langjährigen Dauerzustand widerspiegelt.
Die ersten Jahre ohne Probleme
Begonnen hat es 2019: Eine vierköpfige Familie bezog Stehrs 90-Quadratmeter-Eigentumswohnung in dem Zehn-Parteien-Haus in Walle. Alles verlief normal. "Einmal jährlich wurde die Gastherme in der Küche gewartet und der Schornsteinfeger war auch regelmäßig drin", erzählt Spehr. Er selbst war Mitte 2022 in der Wohnung, als der Nachbar von unten einen Wasserschaden an seiner Decke monierte.
Als gelernter Maschinenbauer hat Spehr anfallende handwerkliche Arbeiten in der Wohnung zumeist selbst erledigt. "Eine kaputte Wasserleitung fand ich damals nicht, nur eine ziemlich unordentliche Küche und viele Wäschesäcke, aber das kann bei vier Kindern ja schon mal vorkommen." Für Spehr kein Anlass zur Besorgnis, ebenso wenig wie gelegentliche Beschwerden über Schuhstapel vor der Wohnung oder Lärm.

In der Küche sorgen Essensreste und die Feuchtigkeit für unangenehme Gerüche.
Probleme begannen 2023
Irgendwann 2023 lief es dann wohl aus dem Ruder. Die Miete wurde zuerst verspätet und nur nach Aufforderung, schließlich aber gar nicht mehr bezahlt. Auf Spehrs Mahnungen und Kontaktversuche erfolgten anfangs Vertröstungen, aber am Ende keine Reaktion mehr. "Im Mai 2023 habe ich dann das Mietverhältnis fristlos gekündigt und Klage eingereicht." Auch darauf habe niemand reagiert. Spehr hatte sich eigentlich auf eine langwierige Räumungsklage eingestellt, aber seine Mieter ließen stets alle Einspruchs- und Widerspruchsfristen ungenutzt.
Nach knapp sieben Monaten war die Zwangsräumung rechtskräftig, am ersten Februar dieses Jahres sollte der Gerichtsvollzieher anrücken. Doch einen Tag vorher meldete sich die Familie über einen Mitarbeiter der Zentralen Fachstelle Wohnen beim Amt für Soziale Dienste. Man bat um einige Wochen Aufschub, auch weil für die sechsköpfige Familie keine Notunterkunft in Aussicht stand. Es drohe Obdachlosigkeit.
Letzter Aufschub von fünf Wochen
Spehr ist kein Miethai. Die Waller Wohnung war seine erste als Altersversorgung gekaufte Immobilie, vier weitere inklusive der von ihm selbst bewohnten folgten danach in weniger als zwei Jahren. Alle Wohnungen sind mit üblichen Krediten finanziert, die Mietzahlungen decken mehr oder weniger Zins und Tilgung ab.
Er gewährte den Aufschub, nicht zuletzt, weil ihm dann eine konfliktfreie und ordentliche Übergabe zugesagt wurde. So schien es auch tatsächlich. Zwei Stunden, bevor er die Wohnung öffnete, erhielt er eine Nachricht von der Familie. Man sei jetzt raus, den Hausschlüssel finde er im Briefkasten, einige kleinere Probleme seien verblieben: Die Kinder hätten einige Wände bekritzelt und das Laminat sei beschädigt. "Der Schlüssel war dann tatsächlich im Briefkasten, darum fiel ich aus allen Wolken, als wir die Wohnung betraten."
Messi-Wohnungen sind die große Ausnahme
Die Vorstellung, dass der Unrat aus Rache erst nach dem Wegzug in die Wohnung verfrachtet wurde, hält Spehr für realitätsfremd. "Die müssen die letzten Wochen oder Monate hier wohl tatsächlich so gelebt haben." Er informiert das Jugendamt, das ihm versichert, die Familie bereits auf dem Radarschirm zu haben. Bei der Polizei erstattet er Anzeige wegen Sachbeschädigung, denn er erwartet hohe Sanierungskosten. "Nur für die Räumung liegt mir jetzt ein Angebot über 3600 Euro vor." Ob auch Wandputz und die Fußböden vollständig erneuert werden müssen, werde erst danach abschätzbar. Im schlimmsten Fall könnte sogar neuer Estrich notwendig werden.
Ingmar Vergau, Geschäftsführer des Immobilien-Eigentümerverbandes Haus und Grund in Bremen, kennt Schadenssummen aus den vergangenen Jahren, die bei sogenannten Messie-Wohnungen von 15.000 bis 150.000 Euro reichen. "Manch ein privater Eigentümer wurde durch solche Fälle schon in die Privatinsolvenz getrieben", sagt Vergau. Denn die privaten Vermieter besitzen zumeist wie Spehr überschaubare Rücklagen. Das Geld stecke in den Immobilien. "Für viele sind die Mieteinnahmen einfach Teil ihrer Altersversorgung." Zugleich betont er die Ausnahmesituation. "Solche massiven Probleme treten nach unserer Einschätzung lediglich bei 0,5 Prozent der Mietverhältnisse in Bremen auf."
Zwangsräumungen hingegen sind nicht so selten. Im Schnitt wird fast jeden Tag irgendwo in Bremen ein Mieter mithilfe des Gerichtsvollziehers vor die Tür gesetzt, fast ausschließlich wegen unbezahlter Mieten. In Zahlen: 2022 gab es 302 Zwangsräumungen in Wohnungen, im Jahr zuvor rund 330.