Das Motiv des Täters bleibt unklar. Ebenso, was genau an jenem Morgen zwischen 6.14 und 8.05 Uhr in der Wohnung am Ostertorsteinweg geschehen ist. Trotzdem ist sich das Gericht sicher, dass es der 44-jährige Angeklagte war, der am 7. Mai vergangenen Jahres im Viertel eine gleichaltrige Frau umgebracht hat. Elf Jahre wegen Totschlags lautet am Dienstag das Urteil gegen den Mann. Von entscheidender Bedeutung dafür sind die ausgelesenen Daten aus den Handys des Angeklagten und seines Opfers.
Freundinnen des Opfers alarmierten die Polizei, als die Frau sich plötzlich nicht mehr meldete und nicht auf Anrufe reagierte. Als die Polizei daraufhin am 9. Mai die Wohnung der 44-jährigen Ärztin gewaltsam öffnete, fand sie die Frau tot auf ihrem Bett liegend mit einem Kissen auf dem Kopf. Sie wurde niedergeschlagen, dann drückte der Täter ihr ein Kissen auf den Kopf und erwürgte sie schließlich mit bloßen Händen. Zwei Tage später nahm die Polizei einen Bekannten der Frau fest, der spätere Angeklagte in diesem Prozess.
Überführt wird der 44-Jährige durch eine Vielzahl von Zeugenaussagen, durch sein Verhalten nach der Tat, vor allem aber durch sein eigenes Smartphone und das seines Opfers. Standortdaten, Bewegungsprofile und die Chatnachrichten zwischen ihm und seinem Opfer ließen am Ende keinen Zweifel daran, dass nur der Angeklagte der Täter sein könne, betont die Vorsitzende Richterin in ihrer Urteilsbegründung. "Es passt alles zusammen." Nichts deute auf einen anderen Täter hin. "Für uns bleiben keine Fragezeichen mehr, die Indizien sind eindeutig."
Standortdaten und Bewegungsprofile
Anhand von Standortdaten und Chatverläufen konnten die Ermittlungsbehörden die Beziehung zwischen Opfer und Täter sehr genau nachvollziehen. Vom Kennenlernen in einer Kneipe im Viertel ein paar Wochen vor der Tat, über weitere Treffen, die zu einer sexuellen Beziehung führten, bis hin zu den unterschiedlichen Vorstellungen, die beide von ihrer Beziehung hatten. Er drängte sie zu einer festen Partnerschaft, sie wollte mehr Distanz. Auch seine daraus erwachsende Eifersucht und der letztlich tödliche Konflikt zeichneten sich in den Chatverläufen ab. Zwei Tage vor der Tat schrieb die 44-Jährige ihm: "Ich will so 'nen Kontrollstress nicht."
Das Tatwochenende verbrachten die beiden ab Freitagnachmittag zusammen in verschiedenen Kneipen im Viertel. Am Sonnabend, sein Geburtstag, erst im "Eisen", wo sie mit Bekannten das Werder-Spiel schauten, dann ging es weiter ins "Litfass", wo es zu ersten Streitereien kam, schließlich in die "Schänke", die er irgendwann nachts wütend verließ, während sie bis sechs Uhr morgens mit Freunden weiter feierte. All das berichteten Zeugen vor Gericht, belegten aber auch die Standortdaten der Handys von Täter und Opfer.
Die Daten sind so genau, dass die Polizei sicher ist, dass der Angeklagte nach seinem abrupten Verschwinden aus der "Schänke" in der Wohnung der 44-Jährigen auf sie gewartet hat. Zum einen hatte sich sein Smartphone automatisch in das WLAN ihrer Wohnung eingeloggt. Zum anderen verrieten die in der I-Cloud festgehaltenen Standortdaten seinen Aufenthaltsort. Sogar eine Höhendifferenz von sechs Metern wurde dabei festgehalten – was exakt der Geschosshöhe ihrer Wohnung entsprach.
Weitere Indizien für seine Schuld lieferte der Angeklagte durch sein Verhalten nach der Tat. Und wieder spielten Smartphones eine Rolle. So versuchte der Täter am Morgen des 6. Mai, das Smartphone des Opfers zu entsperren, allerdings vergeblich. Auf seinem eigenen Handy löschte der 44-Jährige kurz darauf Chatverläufe mit dem Opfer und stellte den Standortverlauf ab. Zudem öffnete er in den Tagen nach der Tat immer wieder Portale von Bremer Lokalnachrichten, was er zuvor nie getan hatte. Zu einem Zeitpunkt, als außer dem Täter noch niemand vom Tod der 44-Jährigen wusste.
Kontrollwahn und Eifersucht
Bleibt die Frage nach dem Motiv. Letztlich sei das nicht zu klären, räumte die Vorsitzende Richterin ein. Doch im Leben des Angeklagten zeichne sich immer wieder ein Muster in seinen Beziehungen ab, geprägt von besitzergreifendem Kontrollwahn, Eifersucht, herablassendem Verhalten und Aggressionen gegenüber den Frauen. Ein Charakterzug, der zu seiner Persönlichkeit gehöre, aber kein krankhaftes Niveau erreiche. "Es ist an der Zeit, dass Sie sich mit der Tat und der Gesamtproblematik auseinandersetzen", gab die Vorsitzende Richterin dem 44-Jährigen für seine Zeit im Gefängnis mit auf den Weg.
Und noch etwas war der Richterin, die von einem Femizid sprach, wichtig, zu betonen: Das Opfer, die 44-jährige Ärztin, habe nichts falsch gemacht. Sie habe sich zwar auf ihn eingelassen, ihm aber stets offen und deutlich gesagt, was sie wolle und was nicht. Sie sei eine charismatische, beliebte und selbstbestimmte Frau gewesen, hart arbeitend und hart feiernd. Ihr Verhalten gegenüber dem Angeklagten könne der Auslöser für die Tat gewesen sein. "Aber nur in seiner Gedankenwelt. Das Problem war ganz allein er."