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Vorstand des 1983 gegründeten Arbeitervereins denkt über Auflösung zum Ende des kommenden Jahres nach „Use Akschen“ hat in 32 Jahren viel erreicht

Industriehäfen. Den Laden dicht machen und fertig, aus, finito: So hatten es sich die Verantwortlichen vom Aufsichtsrat der AG Weser wohl gedacht, als sie am 14. Oktober 1983 das Ende der Gröpelinger Traditionswerft – einst stolzes Flaggschiff bremischer Schiffbautradition – beschlossen.
04.01.2016, 00:00 Uhr
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Von Anne Gerling

Den Laden dicht machen und fertig, aus, finito: So hatten es sich die Verantwortlichen vom Aufsichtsrat der AG Weser wohl gedacht, als sie am 14. Oktober 1983 das Ende der Gröpelinger Traditionswerft – einst stolzes Flaggschiff bremischer Schiffbautradition – beschlossen.

Dabei hatten sie jedoch die Rechnung ohne die rund 2000 Beschäftigten der „Akschen“ gemacht, die mit der Werftschließung zum 31. Dezember 1983 in die Arbeitslosigkeit entlassen und damit von jetzt auf gleich aus ihrem sozialen Gefüge im Betrieb gerissen werden sollten.

Und die Arbeitnehmer reagierten prompt, denn ihnen war klar, dass es mit der Schließung auch keinen Betriebsrat mehr geben würde, der ihre Interessen vertrat. Um den sozialen Zusammenhalt unter den Werftarbeitern zu sichern, sich gegenseitig zu stärken und sich um die Belange der ehemaligen Belegschaft zu kümmern, riefen einige Engagierte den Arbeiterverein „Use Akschen“ ins Leben. Am 19. Dezember 1983 war Gründungsversammlung, am 9. März 1984 erkannte das Amtsgericht Bremen den neuen Verein als gemeinnützig an. Der Bremer Senat hatte Räume des ehemaligen Casinos in der Hauptkantine zur Verfügung gestellt; nun konnte die Arbeit losgehen.

Fortan wachte der Verein „Use Akschen“ darüber, ob die Forderungen aus Interessenausgleich, Sozialplan und Unterstützungskasse auch tatsächlich erfüllt wurden. Für viele ehemalige Beschäftigte wurde der Verein zu einer wichtigen Anlaufstelle, hier gab es Hilfe beim Umgang mit Arbeitsamt, Sozialgericht, Krankenkassen, Rentenversicherung, Unterstützungskasse und der Berufsgenossenschaft.

Im Mai 1985 brachte der Verein eine Fragebogenaktion ins Rollen, um herauszufinden, wie viele der einst 1570 Arbeiter und 524 Angestellten inzwischen neue Jobs gefunden hatten – und wo. Unter der Regie des Arbeitervereins räumten außerdem einige der älteren Werftarbeiter im Rahmen einer ABM-Maßnahme das AG-Weser-Areal in Gröpelingen auf und richteten es für die Übernahme durch neue Nutzer her.

Der Verein setzte durch, dass den Arbeitern für die letzten Monate der Differenzbetrag zwischen Kurzarbeitergeld und regulärem Lohn ausgezahlt wurde – insgesamt stolze 148 000 D-Mark. Und immerhin 264 der ehemaligen Kollegen konnten an Firmen in ganz Deutschland weitervermittelt werden.

Vielen seiner Mitglieder half der Verein außerdem dabei, ihre Asbestose-Erkrankung durch die Berufsgenossenschaft anerkennen zu lassen. Zur Erinnerung: Bis 1975 war auf der Werft Asbest und asbesthaltiges Material eingesetzt worden. Auf 168 Seiten hatte ein Vereinsmitglied dokumentiert, wann und wobei der Stoff zum Einsatz kam – die Recherchen dafür dauerten Jahre; das Ergebnis wurde dann allen Vereinsmitgliedern und auch dem Sozialgericht zur Verfügung gestellt.

In Vorträgen, Diskussionen und einer viel beachteten Talkshow im Focke-Museum haben Mitglieder des Arbeitervereins außerdem dafür gesorgt, dass die Erinnerungen an die Großwerft im Stadtteil und darüber hinaus lebendig geblieben sind. Immer wieder kamen Schüler und Studenten ins Vereinsheim, um etwas über die alte Werft zu erfahren. Aus den Reihen der Use-Akschen-Mitglieder war seinerzeit außerdem der Vorschlag gekommen, mit den Namen „Gustav-Böhrnsen-Straße“ und „AG-Weser-Straße“ an die Werft und ihren langjährigen Betriebsratsvorsitzenden zu erinnern.

Über einen Zeitraum von nunmehr 32 Jahren hat das große Zusammengehörigkeitsgefühl den Arbeiterverein getragen. Nachdem sich 1988 der Martinshof in die alten Vereinsräume erweitert hatte, war er in den Keller des ehemaligen Arbeiteramtes umgezogen, wo sich seitdem immer mittwochs eine feste Runde trifft. Die für die Küche benötigte Elektrik, Wasseranschluss und Heizung hatten die Vereinsmitglieder damals selbst installiert.

Im Jahr 2009 war Vereinsmitbegründer Herbert Kienke für sein ehrenamtliches Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Die Jahreshauptversammlungen des Arbeitervereins sind legendär; aus einem Umkreis von 120 Kilometern reisen dann die Ehemaligen an, um sich bei Kaffee und Kuchen schwungvoll, sprachgewaltig und klassenkämpferisch an die guten und nicht so guten alten Zeiten zu erinnern. „Bei uns gibt es keinen Vorstand und keinen Ingenieur – da sind alle Kollegen und werden geduzt“, unterstreicht der Vereinsvorsitzende Herbert Kienke.

Wenn am 23. Januar der Arbeiterverein wieder im Lichthaus zusammenkommt, steht nun allerdings ein ernstes Thema auf der Tagesordnung, wie kürzlich in einem Rundschreiben angekündigt wurde. Die Mitgliederzahl nehme ab, und die finanziellen Mittel seien weitestgehend aufgebraucht, heißt es darin. Rund 1600 Euro pro Jahr fehlen demnach zukünftig. „Daher wird es wohl erforderlich sein, in der Jahreshauptversammlung im Januar 2017 die Auflösung des Vereins zum 31. Dezember 2017 zu beschließen“, kündigen Herbert Kienke und Heinz Rolappe vom Vereinsvorstand schon jetzt an, damit die 186 Kolleginnen und Kollegen sich in Ruhe auf ein mögliches Aus einstellen können.

Aus den Reihen der Mitglieder gab es bereits eine erste Reaktion: „Mein Vater hat auf der Akschen gelernt, und mein Großvater hat sein gesamtes Berufsleben auf der Werft verbracht. Beide waren vom Lärm der sogenannten ‚Nieten-Pupser’ hörgeschädigt. Sollte der Arbeiterverein sich jetzt auflösen, ginge ein weiteres Stück Stadtteilgeschichte zu Ende“, kommentierte der ehemalige Ortsamtsleiter Hans-Peter Mester die Ankündigung des Use-Akschen-Vorstands.

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