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Eingestürzter Turm Verein will den Wiederaufbau der Ansgarii-Kirche

Der Einsturz des St. Ansgarii-Turms habe 1944 eine Lücke im Stadtbild hinterlassen, meint ein Historiker und fordert daher den Wiederaufbau. Das Problem: der historische Kirchenstandort ist heute weitgehend bebaut.
30.08.2016, 00:00 Uhr
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Von Frank Hethey

Der Einsturz des St. Ansgarii-Turms habe 1944 eine Lücke im Stadtbild hinterlassen, meint ein Historiker und fordert daher den Wiederaufbau. Das Problem: der historische Kirchenstandort ist heute weitgehend bebaut.

Für Nils Huschke klafft eine offene Wunde im Stadtbild. Bis heute sei sie nicht geschlossen – die Lücke, die der Einsturz des St. Ansgarii-Turms am 1. September 1944 riss. Dass es keinen Trümmerhaufen gibt, keine Ruine wie viele Jahrzehnte am Standort der Frauenkirche in Dresden, ändert nichts an seiner Einschätzung. Mit dem Verlust der Ansgarii-Kirche sei das bauliche Gleichgewicht der Altstadt aus dem Lot geraten.

In seinen Augen ist es ein städtebaulicher Sündenfall, was nach der sukzessiven Beseitigung der anfangs denkmalgeschützten Überreste dem alten Standort an der Obernstraße widerfuhr. Erst der Bau eines Kaufhauses, dann dessen Abriss nach gerade einmal 26 Jahren. Und heute der Ansgarikirchhof mit dem Bremer Carrée. Das kann in den Augen des Historikers nicht das letzte Wort sein. Sein Ziel lautet: den Boden zu bereiten für den Wiederaufbau, die Rekonstruktion der Ansgarii-Kirche.

Die historische Bedeutung von Turm und Kirche liegt für Huschke auf der Hand. Nicht nur, weil von der Ansgarii-Kirche 1522 die Reformation in Bremen ausging. Sondern noch viel mehr, weil der mit über 100 Metern einstmals höchste Kirchturm Bremens lange Zeit die Stadtsilhouette dominierte – seit dem Einsturz des südlichen Domturms im Januar 1638. „Der Ansgarii-Turm war das herausragende Identifikationsobjekt der Bremer“, sagt Huschke. „Viel mehr als die Stadtmusikanten, der Roland oder die Speckflagge.“

Kein Platz für einen Turm

Dumm nur, dass der historische Kirchenstandort mit dem Bremer Carrée weitgehend bebaut ist. Noch nicht einmal für den Turm wäre Platz auf der freien Fläche des Ansgarikirchhofs. Denn wie eine von Huschke angefertigte Visualisierung zeigt, müsste schon allein für den Turmbau der „schwarze, gläserne Sarg“ des Carrée-Gebäudes abgerissen werden. Jedenfalls dann, wenn der Turm exakt am ursprünglichen Standort wiederaufgebaut werden soll. Eine Frage, in der Huschke keinen Zentimeter preisgeben will.

Unmöglich also, mit dem Turm schon mal den Anfang zu machen oder es nur beim Turm zu belassen und auf das Kirchenschiff zu verzichten. In seiner Idealvorstellung ist der Turm ohnehin nur die „erste Baustufe“ einer vollständigen Rekonstruktion. Überaus ungern malt er sich aus, wie der Turm aussähe ohne Kirchenschiff. Sein einziger Trost: „Wenn in Gottes Namen ein Kirchenschiff nicht realisierbar wäre, dann würde der Turm als Scharnier zwischen Altstadt und Stephani-Viertel die Stadt wenigstens optisch wieder zusammenfügen.“

Heikle Frage der Finanzierung

Bliebe da noch die heikle Frage der Finanzierung. Dass der Wiederaufbau eine stattliche Millionensumme verschlingen würde, weiß auch Huschke. Doch wie soll ein notorisch klammes Land wie Bremen ein derartiges Mammutprojekt stemmen? Gar nicht, so Huschkes entwaffnende Antwort. „Wir legen es überhaupt nicht an auf eine staatliche Förderung. Der Wiederaufbau soll ein Werk der Bürger sein.“ Wobei die Hilfe eines großen Mäzens natürlich höchst willkommen wäre. Oder die eines Investors mit eventuell eigenen Plänen für den ­Kirchenbau. Als solchen hat er sogar den derzeitigen Eigentümer Real Estate im Blick. „Vielleicht lässt der ja mit sich reden.“

Was zwangsläufig die Frage der Nutzung aufwirft. Auch darüber hat Huschke schon nachgedacht. Falls die Gemeinde keine Ansprüche stellt, schwebt ihm vorzugsweise eine Verwendung als interkonfessionelle Begegnungsstätte vor. Ein rekonstruierter Kirchenbau sei geradezu prädestiniert als Schaufenster für die mittlerweile in Bremen stark vertretenen Kirchen des altorientalischen und byzantinischen Ritus. „Ihnen könnte man gemeinsam mit Protestanten und Katholiken gleichrangige Nutzungsrechte einräumen. Damit würde Bremen zum Standort der einzigen europäischen Simultankirche werden.“

"Chance auf Wiederaufbau wurde verpasst"

Auf Unterstützung kann er bislang nicht bauen. Wen man auch fragt, überall herrscht Desinteresse oder Verständnislosigkeit. Einige in der Bürgerschaft vertretene Parteien antworten gar nicht erst, die anderen lassen durchblicken, wie schwer es ihnen fällt, das Wiederaufbau-Ansinnen ernst zu nehmen.

„Eine auch nur ansatzweise realistische Chance, tatsächlich umgesetzt zu werden, sehe ich für die Wiederaufbau-Idee nicht“, sagt Jürgen Pohlmann, baupolitischer Sprecher der SPD. Bei der Innenstadt-Entwicklung müsse man „in erster Linie die Zukunft und weniger die Vergangenheit in den Blick nehmen“.

Kaum anders äußert sich die CDU. Von „starken Zweifeln“ und „großer Skepsis“ spricht deren Mann fürs Kulturelle, Claas Rohmeyer. Zwar bedauert er die Beseitigung der Ruine in den frühen Nachkriegsjahren. Doch die Chance auf Erhalt oder Wiederaufbau stadtbildprägender Gebäude sei damals verpasst worden, heute gebe es kein Zurück mehr.

Gemeinde hält sich bedeckt

Und die Ansgarii-Gemeinde? Die hält sich bedeckt, eine schriftliche Anfrage blieb unbeantwortet. Dafür äußerte sich die Evangelische Landeskirche in Gestalt von Schriftführer Renke Brahms, trotz seiner wenig klangvollen Amtsbezeichnung ihr maßgeblicher Repräsentant. Schon allein, weil die Gemeinde ein neues Gotteshaus in Schwachhausen gebaut habe, gebe es kein besonderes Interesse am Originalstandort. Ein „gewisses Verständnis“ für den Wiederaufbau vermag Brahms zwar aufzubringen. Dennoch: „So viel Energie in dieses Vorhaben zu setzen erscheint mir nicht angemessen.“

Viel Gegenwind für Historiker Huschke und seine Mitstreiter, bislang kaum mehr als eine Handvoll rühriger Erneuerer. Doch der 45-Jährige gibt sich unbeeindruckt. Er zuckt nur mit den Schultern, wenn man ihn als „Spinner und Utopist“ abtut. Dass man einen langen Atem haben müsse, gesteht er ohne Weiteres ein. „Es hat 270 Jahre gedauert, bis der Domturm wieder errichtet wurde. Dagegen sind 70 Jahre plus X ein Klacks.“

Für Huschke ist es wichtig, überhaupt erst mal einen Anfang zu machen. Bereitwillig gibt er zu, dass die Aktivitäten bislang ziemlich überschaubar waren, man allenfalls von einem Köcheln „auf ganz niedriger Flamme“ sprechen könne. Bei passender Gelegenheit immer mal wieder ein Lamento in Form von Leserbriefen, zuletzt vor einem knappen Dreivierteljahr ein kaum beachtetes YouTube-Filmchen mit Bildern zum Einst und Jetzt. Und vor zwei Jahren ein dubioser Artikel im „Hanse-Schnack“, der suggerierte, es gebe schon konkrete Wiederaufbau-Bestrebungen innerhalb der Bremer Kaufmannschaft.

Bisher nur Einzelkämpfer

Doch viel mehr war bis jetzt nicht. Keine Spur eines organisierten, zielstrebigen Auftretens. Nur ein paar Einzelkämpfer ohne wirklichen Zusammenhalt, ohne eigene Plattform. Das wollen Huschke & Co. nun endlich ändern. Und zwar mit einem Verein als Operationsbasis. Dabei spielt ihnen in die Karten, dass es den schon gibt: Nämlich die „Herolde für Bremen“ aus der Zeit, als Huschke und andere dafür kämpften, die beiden Reiterstandbilder aus dem Park der Egestorff-Stiftung wieder an den alten Standort vors Rathausportal zu bringen.

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Noch im Jahresverlauf soll dieser Verein umfirmiert werden in „Historisches Stadtbild Bremen“ (HSB). Dass im Vereinsnamen die Ansgarii-Kirche keine Berücksichtigung findet, behagt Huschke nicht wirklich – er erklärt es mit dem Wunsch seiner Mitstreiter, die öffentliche Aufmerksamkeit bei Bedarf auch auf andere gefährdete Gebäude lenken zu können.

„Für mich ist aber das primäre Ziel, den Ansgarii-Gedanken weiter zu popularisieren“, sagt er – mit Vorträgen, Führungen und einer eigenen Homepage. Als Vorbild dienen ihm die gelungenen Rekonstruktionen in Dresden und anderswo. „Bremen ist da ein unglaublicher Nachzügler.“ Und das, findet er, sei doch sehr schade.

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