Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Klima-Kohltour Wenn die Altstadt abtaucht

In Oberneuland gibt es ein Weingut, der Schnoor ist überschwemmt: Auf einer etwas anderen Kophltour wurden den Teilnehmern düstere Zukunftsaussichten präsentiert.
10.02.2019, 06:08 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Jörn Hildebrandt

Wie sieht Bremen in 100 Jahren aus? Das Klima ist inzwischen tropisch, und deshalb sind die Stadtmusikanten durch Dromedar, Hyäne, Delphin und Papagei ersetzt. „Bremen hat sich zwar extrem gewandelt, doch den Klimawandel hervorragend gemeistert“, sagt Nele Wiesenkamp. Sie führt auf einer ungewöhnlichen Kohltour durch die Altstadt, organisiert vom Bremer Jugendring und dem Jungen entwicklungspolitischen Forum (Jep). Unter den Teilnehmern sind auch Umweltsenator Joachim Lohse und die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Maike Schaefer.

Ein Bollerwagen ist bei einer Kohltour Pflicht, doch seine Ladung ist heute zu 100 Prozent alkoholfrei: Limonade in verschiedenen Geschmäckern, von Bier und Korn fehlt jede Spur. Die Kohltour soll die Einstimmung sein zu einer anschließenden Veranstaltung im Willehad-Saal der St. Johann-Schule: Unter dem Motto „Klimawandel global – eine Party für alle?“ diskutieren junge Menschen unter sich und mit Politikern darüber, wie der Beitrag Bremens zu einer gerechten Klima- und Umweltpolitik in naher Zukunft aussehen kann.

Ein Weingut in Oberneuland

Die Kohltour stimmt auf ein Szenario im Jahre 2119 ein, in dem es in Bremen auch mitten im Winter warm ist, längst gibt es in Oberneuland ein Weingut, und erstmals wird eine Bremer Weinkönigin gekürt. Der Pkw-Verkehr beherrscht die City: Von einer vierspurigen Straße an der Domsheide können die Autos direkt zum Gottesdienst in den Bremer Dom hineinfahren, und das inzwischen überschwemmte Schnoorviertel hat Ähnlichkeit mit Venedig, das durch den dramatisch angestiegenen Meeresspiegel längst vom Mittelmeer verschluckt ist.

Doch als sich die Teilnehmer der Kohlfahrt im Willehad-Saal der St.-Johann-Schule versammeln, wird das Rad der Zeit um 100 Jahre zurückgedreht. Bleibt noch genügend Zeit, damit dieses Schreckensszenario nicht Wirklichkeit wird? Was kann man heute tun, um den Klimawandel zu bremsen? Noch gibt es Handlungsspielräume, und diese sollen in der nachfolgenden Diskussion ausgelotet werden.

Im „Sandwich-Verfahren“ wechseln kurze Inputs aus Information und Provokation mit zehnminütigen Diskussionsrunden an vier Tischen. Zu Beginn wird eine schroffe These in den Raum gestellt: Jeder habe das Recht auf ein Auto, aber auch auf Handy, Skiausrüstung und einen jährlichen Urlaub in der Karibik.

In vier Kleingruppen ist Gelegenheit, dazu Stellung zu beziehen. Jedem am Tisch ist einsichtig, dass mit dieser These der Klimaschutz vor unüberwindliche Hürden gestellt wird. Freiwillige Selbstbeschränkung aller Konsumenten ist nötig, aber um das Klima zu retten, müssen auch politische Vorgaben gemacht werden.

Riesenthema Klimaschutz

Um das Riesenthema Klimaschutz zu fokussieren, dreht sich in der folgenden Diskussion alles um das Thema Verkehr, speziell in Bremen: Lässt sich das Ziel einer autofreien oder zumindest autoarmen Bremer Innenstadt realisieren? Was müsste dazu getan werden? Ausbau des ÖPNV, klar, aber vielleicht könnte man auch weitere Carsharing-Varianten schaffen? Beim Ride-Sharing in China zum Beispiel nutzen mehrere Leute einen Pkw, wenn sie in einer Richtung zur Arbeit fahren. Lasten-Fahrräder könnten zum Wochen­end-Einkauf leihweise zur Verfügung gestellt werden. An einem der Tische driftet die Diskussion ab in Grundsätzliches: Ist das Leben in Luxus und Komfort mit hohem Konsum nicht für das Wirtschaftswachstum notwendig?

Ein zweiter Input folgt, der das Thema Verkehr weiter antreibt: In Bremen ist der Anteil von Kraftfahrzeugen am Verkehr mit 45 Prozent immer noch sehr hoch, nur 25 Prozent machen Fahrräder aus und 15 Prozent der ÖPNV – in Richtung Autofreiheit ist also noch einiges zu tun: Mehr Radwege schaffen, verbilligte oder kostenlose ÖPNV-Tickets, oder die Parkraumsituation für Autos verschlechtern?

Maike Schaefer von den Grünen meint, dass günstigere Tickets nicht viel bringen würden, da viele Menschen aus Gründen der Bequemlichkeit weiterhin das Auto nutzen würden. Sie verweist auf das Beispiel Kopenhagen, wo die autoarme City bereits Wirklichkeit ist. Dort habe ein mutiger Bürgermeister entschieden gehandelt, dort ist man mit dem Rad schneller am Arbeitsplatz als mit dem Auto, und wer mit dem Rad zur Arbeit fährt, zahlt weniger Krankenkassenbeitrag – das kam bei den Bewohnern Kopenhagens gut an, während der Klimaschutz im Bewusstsein der Leute eher hinten anstand, so Maike Schaefer.

Inlandsflüge auf dem Prüfstand

Ist es jugendlicher Übermut, wenn gefordert wird, den Bremer Flughafen zu schließen? Die zahlreichen Kurzstreckenflüge belasten das Klima stark und sind eigentlich unnötig. „Zudem ist der Flughafen ein Symbol der Ungerechtigkeit“, sagt eine Teilnehmerin, „denn nur etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung sind überhaupt bisher in ihrem Leben geflogen.“

Durch bessere Zugverbindungen ließen sich viele Flüge überflüssig machen – sollten nicht Inlandsflüge verboten werden? Umweltsenator Joachim Lohse wirft ein, dass nicht die Landesgrenze entscheidend sei, sondern die Entfernung und die Zeit, die man zum Erreichen eines Ziels benötige: „Wenn ich vier Stunden brauche, um zu einem Termin zu kommen, würde ich nicht fliegen, bei zehn Stunden schon.“

Die Provokationen bei manchen Forderungen waren gewollt und regten zum Nachdenken an. Denn um das Klima zu retten, ist frischer Wind nötig, der einem bisher noch nicht mit tropischen Temperaturen um die Nase weht.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)