Bleigrau ist die Weser vor Bremerhaven an diesem Morgen um kurz vor 7 Uhr, die tief hängenden Wolken haben fast dieselbe Farbe. Auf Höhe der Columbuskaje gleitet langsam die „E-Ship 1“ über den Fluss. Sie hat vier Tage zuvor im schwedischen Piteå abgelegt. Mit den vier Flettner-Rotoren ist der grün-weiße Koloss ein auffälliges Gefährt. Flettner-Rotoren, das sind riesige, sich bei günstigen Windverhältnissen drehende Zylinder, die wie ein Segel wirken und beim Spritsparen helfen. Darauf zu hält ein kleines Boot mit Holger Frühling an Bord. Frühling ist seit 2008 einer von 31 Lotsen in der Lotsenbrüderschaft Weser I und dafür zuständig, Schiffe ab einer Länge von 90 Metern sicher nach Bremen zu begleiten.
Das Lotsenboot legt sich an die Steuerbordseite des Frachters. Ohne zu zögern, erklimmt Frühling die etwa sechs Meter bis zur Einstiegsluke – über eine wackelige Leiter. „Das ist nicht ganz ungefährlich“, gibt er zu. Es komme zwar selten vor, dass Lotsen abstürzen, aber es komme vor. Ursache sei meist Materialermüdung, wenn Sprossen brächen. Der Kapitän der „E-Ship 1“, Mathias Menge, ergänzt: „Die Lotsen müssen sich darauf verlassen, dass das Material von der Besatzung einwandfrei gewartet ist.“
Auf der Brücke übernimmt der Lotse das Steuer. Man kennt sich, er war schon öfter an Bord des 130 Meter langen Frachters. Nur mit einem winzigen Joystick und Fingerspitzengefühl manövriert Frühling das Schiff durch die vielen, stellenweise engen Weserschleifen. Per Funk hält er Kontakt zu anderen Schiffen. Revierfahrt nennt man diesen Teil der Überfahrt: Der Lotse bringt das Schiff durch sein Revier in den Hafen. „Der Kapitän bleibt aber trotzdem verantwortlich“, erläutert Menge. „Am Ende halte ich den Kopf hin, wenn etwas passiert.“
Kurz vor Vegesack übernimmt David Niedermaier das Steuer. Der 27 Jahre alte Nautikstudent absolviert ein Praxissemester auf der „E-Ship 1“. Frühling gibt knappe Kommandos wie „160“ oder „175“. Damit sagt er dem Rudergänger, welchen Kurs das Schiff halten soll. Niedermaier quittiert mit: „Kurs liegt an.“
Endstation für die „E-Ship 1“ ist nach etwa dreieinhalb Stunden Fahrt ein Liegeplatz am Schuppen 22 im Neustädter Hafen. Nachdem die Festmacher den Frachter vertäut haben, ist der Job des Lotsen erledigt. Er geht von Bord. Ob Frühling Kapitän Menge und seine Besatzung zwei Tage später zurück nach Bremerhaven bringen wird, weiß er noch nicht.