Da ist wohl eine ausgebüxt“, sagt Florian Berendt. Tatsächlich: Hinter den Heizungsrohren zirpt es vernehmlich. Ob die Grille weiß, wo sie sich befindet? In diesem Raum der Firma Entosus in Hemelingen stehen sowohl der Gefrierschrank als auch der Röstautomat, in dem monatlich bis zu eine Tonne der gemeinen Hausgrille Acheta Domesticus in Snacks mit fünf verschiedenen Geschmacksrichtungen – Knoblauch, Chili, Kräutern, Salz oder auch pur – verarbeitet werden.
Das landläufig auch Heimchen oder Haussänger genannte Insekt ist als proteinreiche Nahrung auf dem Vormarsch in die Regale von Bioläden. Und es ist, das betont Geschäftsführer Berendt gern, eben auch ein nachhaltiges Lebensmittel. Der Firmenname Entosus, zusammengesetzt aus Entomophagie, dem Verzehr von Insekten, und sustainable, nachhaltig, weist darauf hin.
Das noch junge Unternehmen von Berendt und seiner Geschäftspartnerin, der Lebensmitteltechnologin Melanie Christians, zieht in insgesamt 200 Boxen je rund 75.000 Grillen auf und mästet sie. Bevor die geernteten (ja, das nennt man so) und gerösteten Insekten dann in kleinen Tüten an mehrere Ökosupermärkte in Bremen und umzu geliefert werden, verbringen sie einige Wochen in den mit Fernwärme aus dem Hemelinger Kraftwerk auf kuschelige 30 Grad geheizten Räumen, wo ihr Dasein unter insektengemäßen Bedingungen stattfindet.
Das Grillenleben beginnt, wenn die weiblichen Tiere ihre Eier in eine Art Schublade mit feucht-warmer Kokoserde legen. An jedem zweiten Tag werden die Ablagen dann in Inkubationsboxen, ausgelegt mit Eierpappen, umgepackt, in denen nach acht bis zehn Tagen die sogenannten Nymphen schlüpfen. Wirklich schwergewichtig sind die Minis nicht: Ungefähr 1500 Insekten wiegen zusammen etwa ein Gramm. Die Eierpappe hat viel Oberfläche, erklärt Berendt die höckerige Auslegeware, und weil „Grillen die Angewohnheit haben, immer nach oben zu klettern“, kann man die Winzlinge dann als krabbelnde Masse sehen.
Von den Gipfeln der Eierpappe, im Verhältnis zur Größe der Babygrillen für sie vermutlich so etwas wie das Matterhorn für Menschen, können sie dann gut abgeschüttelt werden. Erst geht es auf ein Sieb, dann in einen Messbecher, in dem das Gewicht ermittelt wird, und weiter für zwei Wochen in sogenannte Aufzuchtboxen.
Wie die Insekten in den Tüten landen
Danach werden die Winzlinge, ein winziges bisschen größer geworden, wieder umgesetzt. Sie sind nun in der sogenannten Mast. Das Futter, alles Bio, besteht aus Getreideresten von Biomühlen, aus Ackerbohnen, Rapskuchen und Leinsamen sowie aus Obst- und Gemüseresten von Biosupermärkten. Immerhin zwei Tonnen davon verfüttern sie pro Monat, und wenn die Babys noch mit einem Salatblatt pro Tag zufrieden sind, zeigen die ausgewachsenen Insekten, warum sie als biblische Plage bekannt sind: Die täglich drei bis vier Kilogramm Grünfutter pro Box sind innerhalb von Stunden nicht mehr da.
Das gute Leben ist allerdings zeitlich eingegrenzt und wird nach etwa vier bis sechs Wochen Grillendasein beendet: Die Ernte steht an. Die Insekten werden von einer Art Staubsauger aus ihren Boxen gesaugt, dann für eine halbe Stunde bei minus 20 Grad Celsius kaltgestellt, danach blanchiert. Dieser gemeinhin auch Abkochen genannte Vorgang ist kurz; nur wenige Bruchteile einer Sekunde dauert es, dann leben die Grillen nicht mehr.
Bei 90 bis 100 Grad Celsius kommt Acheta domesticus anschließend für eine Stunde in den Infrarottrockner. Flügel und Beine, Attribute ihres Daseins als Insekt, werden abgesiebt. Nach Grille sieht nun nicht mehr aus, was in verschiedenen Geschmacksrichtungen gewürzt, geröstet und zu guter Letzt in kleine Tüten verpackt ausgeliefert wird.
Das nachhaltige Nahrungsmittel hat seine Abnehmer – Tendenz steigend, wie sich die acht Entosus-Mitarbeiter freuen. Und natürlich wird schon Neues geplant: „Man kann die zum Beispiel auch zu Mehl vermahlen“, sagt Florian Berendt. Wurst oder Nudelsoßen sind auch schon angedacht.