Frau Otte-Kinast, verraten Sie uns, was an den Festtagen bei Ihnen und Ihrer Familie auf dem Speiseplan steht?
Barbara Otte-Kinast: Heiligabend ganz klassisch Kartoffelsalat mit Würstchen. Meine Mutter und mein Schwiegervater stammen aus Schlesien. Ich kenne das also zu Hause von klein auf an und setze diese schöne Tradition in der Familie, in die ich hineingeheiratet habe, fort. Am ersten Weihnachtstag gibt es Reh, am zweiten dann Gans.
Lecker. Woher stammen die Zutaten?
Die Kartoffeln kommen natürlich aus der Region. Das Wild wurde im Süntel geschossen. Allerdings nicht von mir; ich habe ja keinen Jagdschein. Die Gans stammt aus einer Weidehaltung im Harz.
Das klingt regional und nachhaltig – zwei Stichworte Ihrer neuen Ernährungsstrategie, die Sie kürzlich vorgestellt haben. Was verbirgt sich dahinter?
Wir alle in Niedersachsen sollten uns schon früh darüber Gedanken machen, was auf den Tisch kommt – vom Kindergarten über die Schule bis ins Berufs- und Familienleben. Das Interesse an Ernährung ist sehr groß, nicht nur für Koch-Shows im Fernsehen. Die jungen Leute wollen selber einkaufen, selber zubereiten, eigene Küchenevents veranstalten. Aber man muss sie auch dafür sensibilisieren, regional einzukaufen. Das merke ich sogar bei meinem eigenen Sohn, bei dem ich schon mal Äpfel aus Chile statt aus dem Alten Land entdeckt habe.
Wenn das schon in der eigenen Familie schwierig ist, wie soll das dann im Großen gelingen?
Alle Welt will nachhaltiger leben, sich nachhaltiger kleiden, sich nachhaltiger ernähren. Dazu braucht es frühzeitig die richtige Verbraucherbildung. Die junge Generation, auch die von Fridays for Future, muss sich Gedanken darüber machen, welchen Weg unsere Nahrungsmittel auf dem Buckel haben, bevor sie in den Geschäften landen. Natürlich kann nicht jeder einen Hofladen im ländlichen Raum besuchen. Aber auch in den städtischen Supermärkten kann man bewusst einkaufen, am besten aus Niedersachsen oder zumindest aus Deutschland. Das erspart lange Transportwege.
Bedeutet regional und saisonal, dass wir künftig auf Avocados aus Kenia und Ananas aus Costa Rica verzichten sollen?
Wenn man die Sache ernst nimmt, muss man durchaus verzichten. Dann isst man im Winter Äpfel. Natürlich gehören auch mal eine Apfelsine oder eine Ananas dazu. Ich würde aber im Winter nie Erdbeeren essen. Die haben wir zwischen Mai und August in Niedersachsen selbst, und diese sind viel leckerer. Wenn es in den Supermärkten jederzeit alles gibt, fehlt das Bewusstsein für Herkunft und Aufwand.
Kann dafür das von Ihnen vorgesehene Klima-Label sorgen?
Damit wollen wir den CO-2-Fußabdruck eines Lebensmittels deutlich machen. Viele kaufen einfach ein und wissen nicht, dass das Produkt schon um die halbe Welt geflogen ist. Zusammen mit der Uni Osnabrück wollen wir eine solche Kennzeichnung entwickeln.
Haben wir nicht schon genug solcher Labels? Man weiß nicht, wie verbindlich die sind, wer dort alles mitmacht.
Viele Menschen sagen mir, dass sie zwar gern die heimischen Landwirte unterstützen würden, aber oft nicht erkennen, woher ein Produkt stammt. Zum Teil wird schon der Einzelhandel aktiv und versieht seine Produkte mit Deutschland-Fahnen oder Niedersachsen-Pferdchen. Da tut sich bereits viel. Aber ein Klimaabdruck könnte bei der Orientierung weiterhelfen. Damit könnte man dann etwa bei Quinoa deutlich machen, wo das Trend-Food herkommt und unter welchen Umständen es produziert wird.
Viele Menschen greifen zu billigen Fertiggerichten. Ist gesundes Essen nicht zu teuer und aufwändig?
Eine gesunde Mahlzeit muss nicht teuer sein. Auch mit frischen Zutaten kann ich preiswert kochen. Mit Kartoffeln und Möhren lässt sich ein leckeres, gesundes und günstiges Essen zubereiten. Bei Fertiggerichten zahlt man viel Verpackung und viel Werbung mit. Es muss auch nicht jeden Tag Fleisch sein. Wenn dieses aus einer tierwohlgerechten Haltung stammt, ist es natürlich teurer. Wir sollten wieder zu unserem guten Sonntagsbraten zurückkehren, an einem Tag in der Woche mit der ganzen Familie bewusst und gerne ein Stück Fleisch essen.
Vor zwei Jahren haben Sie für eine Art Fleischsteuer plädiert, eine Abgabe, mit der bessere Haltungsbedingungen finanziert werden. Was ist daraus geworden?
Dahin wird man irgendwann kommen. Der Umbau der Tierhaltung wird Milliarden kosten. Das muss die neue Bundesregierung umgehend anpacken. Der einzelne Landwirt selbst wird das über den Preis nicht umsetzen können. Dafür muss Extra-Geld auf den Tisch gelegt werden. Ob das durch eine höhere Mehrwertsteuer oder eine Tierwohlabgabe reinkommt, sollte Berlin schnell entscheiden.
Warum schnell?
Ich sehe mit großer Sorge, dass viele Betriebsleiter und Familien auf den Höfen zwischen den Jahren überlegen, ob, wie und mit welchen Betriebszweigen sie weiter machen. Und dann wird der eine oder andere dabei sein, der aus der Tierhaltung aussteigen will. Wir müssen aufpassen, dass wir unser Motto „5 D“, also geboren, aufgewachsen, gemästet, geschlachtet und verarbeitet in Deutschland, weiter aufrecht halten können. Bei den Sauen wird das schon sehr schwierig; da haben wir bereits viele Halter verloren. Also folglich auch weniger heimische Ferkel.
Haben Sie schon Ihrem neuen Kollegen in Berlin, Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen, gratuliert?
Ja, am Dienstag. Da haben wir eine halbe Stunde telefoniert, um uns kennenzulernen. Ich war erfreut, dass Herr Özdemir schon gut in den Themen der Länder steckt. Die niedersächsische Ernährungsstrategie hat ihn besonders interessiert. Den Umbau der Tierhaltung wollen wir demnächst intensiver besprechen.
Mit seiner Amtsvorgängerin, Ihrer Parteifreundin Julia Klöckner, hatte Niedersachsen so manches Problem. Wird das Verhältnis mit der Ampel besser?
Ich hoffe es. Das schwierige Thema Düngeverordnung hatten weder Julia Klöckner noch ich uns gewünscht. Bei so einer so bunten Bundesregierung muss jetzt ab und zu etwas dabei sein, wovon Niedersachsen profitiert. Mit der Delmenhorsterin Susanne Mittag von der SPD und dem Achimer Gero Hocker von der FDP ist Niedersachsen im Agrarausschuss des Bundestages gut vertreten. Unserer Erwartungen sind jedenfalls hoch.
In welchem Punkt besonders?
Wir müssen beim Umbau der Ställe schnell vorankommen. Julia Klöckner und die bisherige Umweltministerin Svenja Schulze haben das miteinander leider nicht hinbekommen. Jetzt wünsche ich mir bei zwei grünen Ministerien, dass das Baurecht für tiergerechte Ställe erleichtert wird. Viele Landwirte wollen dringend investieren, kommen aber nicht weiter, weil vieles nicht vernünftig geregelt ist. Wer hier weiter Fleisch produzieren und verzehren will, tut gut daran, unsere Betriebe zu unterstützen. Keine Ampelpartei kann sich wünschen, dass wir immer mehr Fleisch aus allen Teilen der Welt importieren. Dort können wir weder die Standards im Ackerbau für die Futtermittel – Stichwort Pflanzenschutzmittel - noch die Standards in den Ställen und Schlachthöfen kontrollieren.
In Ihrem Ministerium hat sich jetzt das „Krisennetzwerk Ernährungswirtschaft“ getroffen. Das klingt dramatisch. Ist wegen Corona die Versorgung mit Lebensmitteln ernsthaft gefährdet?
Nein, die war zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Es stockt ab und zu mal. So standen im vergangenen Jahr Zehn-Kilo-Säcke für Mehl zur Verfügung. Doch die Restaurants waren wegen des Lockdowns geschlossen. Dagegen fehlten die Ein-Kilo-Verpackungen für die Supermärkte. So etwas will wie notwendige Ausnahmen von der Sonntagsruhe schnell und flexibel organisiert sein. Da ist eine Standleitung zu den Akteuren in der Land- und Ernährungswirtschaft immens wichtig.