Verehrtes Publikum, bitte setzen Sie sich. Dieser Teil unserer Serie „Zehn Quadratmeter“ spielt in einem kleinen Raum des Hafen-Revue-Theaters.
Diese zehn Quadratmeter sind Garderobe, Maske und Lagerraum in einem. Hauptdarsteller in unserem Stück ist Theaterleiter und Schauspieler Ulrich Möllmann. Und der Vorhang geht auf ...
Trubel auf zehn Quadratmetern
„Jetzt gibt’s erstmal Haut“, sagt Ulrich Möllmann und drückt auf die Tube. Eine beige Paste quetscht heraus, die er gleichmäßig auf seinem Gesicht verteilt. Schritt eins auf dem Weg der Verwandlung zum „Korn-Hannes“ – einem Charakter in der Revue „Liebe, Last und Fracht“, die in einer Stunde auf der Bühne gezeigt werden soll. Vor einem hell beleuchteten Schminkspiegel stehen mehrere Stühle, neben Ulrich Möllmann sitzen die anderen Ensemblemitglieder, sie pudern, schminken und frisieren, was das Zeug hält.
„Es wird schmutzig“, warnt Ulrich Möllmann. Nimmt eine schwarze Creme und wischt sie sich ins Gesicht, besudelt den „Korn-Hannes“ mit dem nötigen Dreck. Er greift zu einem kleinen runden Schminkspiegel, hält ihn schräg, streicht eine Locke aus der Stirn und begutachtet sein Werk. Kritisch rümpft er seine markante Nase. „Wenn das Licht von vorne kommt, sieht man, was man schminkt.“ Wenn nicht, kann das ganz schön in die Hose gehen.
„Pfffrrrrrt“, macht es plötzlich am Ende des langen Tisches. „Das war aber ein ganz unschönes Geräusch“, tadelt Tontechniker Nils Völcker. Alle lachen, Musikleiterin Ulrike Lippe mit der Schaumspraydose in der Hand versucht, ihre Kollegen zu beruhigen. „Das ist ein Schaum, Leute, ein Schaum.“ Hilft nichts, das Kichern geht weiter. Und Ulrich Möllmann zieht eine angewiderte Grimasse.
"Verschworene Gemeinschaft"
In diesen zehn Quadratmetern im Hafen-Revue-Theater knistert es in der Luft. „Wenn auf so engem Platz fünf Leute beim Schminken nebeneinander sitzen, entsteht da eine verschworene Gemeinschaft“, sagt Ulrich Möllmann. Sehr emotional kann es es da hergehen, und Obacht: „Es ist nicht immer eitel Sonnenschein.“ Schlechte Stimmung ist dem 52-Jährigen allerdings ein Graus. Gerade die Komik, das lustige Geplänkel vor der Show lasse die Schauspieler als Team zusammenwachsen. „Dann können wir da rausgehen und wirken.“
Stunden vorher, am Nachmittag, sitzt Ulrich Möllmann schon in diesem Raum, an dem Platz vor dem Schminktisch, eine Tasse Kaffee vor sich. Er erzählt, was ihn in diesen kleinen Raum und auf die Bühne brachte. Seit 1996 ist er in der Theaterszene, machte alles, vom Musical über Chansons bis hin zum Kabarett. „Dann hab ich über die Schulter gespuckt, ganz viel, manches Mal auch auf die Schulter, und 2001 mit Kollegen das Musikensemble Vocalartisten gegründet.“ Wirklich sesshaft wurden Möllmann und die Vocalartisten, als sie im Oktober 2013 mit dem Hafen-Revue-Theater in die Überseestadt zogen. „Mein Herz schlägt ganz doll hierfür, weil es alles vereint, was wir früher gemacht haben“, sagt der Theaterleiter.
Der kleine Raum, in dem er und die anderen Ensemblemitglieder sich schminken, nennt er den Vorhof zur Hölle. Oder das Paradies, je nachdem. „In diesem Raum bereitet man sich auf die Rolle vor.“ Es sei ein bisschen, wie eine Tür zu öffnen und eine andere Welt zu betreten. „Es sind immer neue Situationen und Gefühle, es verändert sich ständig.“
Freiräume auf der Bühne
Den Sprachduktus, die Körperhaltung, die Gesten, das alles bringt Möllmann in seine Rolle ein. „Jeder hat da seine eigene Art“, sagt er. Am Freitag zum Beispiel, da mime er in dem Stück „Paarungszeit“ den Hartwig: „einen Assi aus den Spätachtzigern. Da muss man blöd sein, respektlos und rotzig.“ Und ja, natürlich füllt man die Figur mit Elementen, mit Eigenschaften, die man in sich trägt, aus sich herausholt. „Das macht die Schauspielerei aus.“
Das ist seiner Meinung nach auch der Grund für die kurzlebigen Hollywood-Ehen: „Es gibt Momente in Liebesszenen, das sind wirklich Teile von einem selbst in die andere Person verliebt. Viele Künstlerbeziehungen zerbrechen nach der Produktion, weil es eben nur Teile von einem selbst waren, nichts Beständiges.“ Er sieht das ganz nüchtern. „Klar, ich verlieb’ mich auch immer wieder neu, aber ich weiß: Nach der Produktion ist das immer vorbei.“
Inzwischen ist Organisatorin Anja Reincke dazugekommen und sortiert in den deckenhohen Holzregalen Kisten, in denen sie Kostüme aufbewahren. T-Shirts und Schlafanzüge steht auf einer Kiste, Mieder/Spitze, Gürtel & Hosenträger auf einer anderen. Ulrich Möllmann sinniert über das Theater der 1920er-Jahre, über absurde Rollen und darüber, welche Freiräume ihm die Bühne verschafft.
"Totales Chaos"
„Totales Chaos“, stöhnt Anja Reincke da, die gerade die Kiste „Krawatten und Zimmermädchen“ über das Fach mit Metallschutzlack und Chlorreiniger räumt. „Hier gibt es alles.“ Ein Pocahontas-Lederkostüm hängt neben einem silbernen Glitzeranzug, am Kleiderständer daneben aufgebauschte Abendkleider. Ulrich Möllmann wühlt in einer der Kisten, zieht eine Plastikpistole heraus. Mit der hat das FBI Al Capone verhaftet, sagt er, Anja Reincke lacht, die Stimmung ist gut auf den zehn Quadratmetern.
Auch später, am Abend, kurz vor der Vorstellung, ist die Stimmung gut. Ulrich Möllmann sitzt vor dem Schminkspiegel, färbt mit Wimperntusche Wimpern und Augenbrauen. Er verschmiert beigefarbenes Make-up auf Hals und Brust. Zieht ein Fischerhemd drüber, dazu eine Hose mit Hosenträgern, derbe Schuhe an die Füße, eine Schiebermütze auf den Kopf. Fertig ist der Korn-Hannes. Und kurz darauf geht der Vorhang auf – dieses Mal der echte.
In unserer Serie „Zehn Quadratmeter Bremen“ besuchen wir Menschen, die auf engem Raum leben oder arbeiten. In der kommenden Woche lesen Sie die nächste Geschichte.