Man kann wohl sagen, dass der berufliche Lebensweg von Maria Kroustis verschlungen ist. Oder war: Seit einem Jahr arbeitet die Bremerin mit griechischen Wurzeln für den Öffentlichen Dienst, im Herbst 2016 begann sie zuvor mit einer mehrmonatigen Schulung. Ihr Arbeitsplatz ist der Bürgerinformationsservice (BIS) in der Stadtbibliothek West in der Lindenhofstraße, eine Außenstelle des Bürgerservicecenters.
Die Bilanz nach einem Jahr BIS in Gröpelingen: Es gebe viel zu tun, sagt Maria Kroustis. "Es sind immer mehr Kunden geworden." Die Art der Anliegen, mit denen sie zum BIS kommen, wird erfasst. Viele drehten sich um das Jobcenter, beträfen "verwaltungsexterne Angelegenheiten" wie Fragen zur Renten- oder Krankenversicherung. Das Thema Schulden spiele eine Rolle, aber auch Eltern- oder Kindergeld. Maria Kroustis ist im BIS nicht allein. Zum Team zählen drei "alte Hasen vom BTB", dem Bürgertelefon Bremen: Ljiljana Vidovic, Isabella Kummer und Holger Conradis.
Apropos Bürgertelefon: Ist das nicht dazu da, Anfragen aller Art zu klären? Für viele sei das BTB die beste Adresse, nicht jedoch für alle, antwortet Maria Kroustis. "Wenn die Kunden uns gegenübersitzen, sehen wir die Fragezeichen in ihrem Gesicht." Die Unterlagen würden über den Tisch geschoben. Sie habe Kunden, die kämen mit Schreiben, von denen sie zunächst nur erfasst hätten, dass sie "von Bremen" kämen. Sie und ihre Kollegen klamüserten den Kunden auseinander, wer der Absender sei, was sie von ihnen wollten und was zu tun sei.
Maria Kroustis ist im Öffentlichen Dienst eine Quereinsteigerin, aber eine Expertin in Sachen Bürgerservice. Nur wenige Schritte von der Stadtbibliothek West entfernt befindet sich ein kleiner Laden. "Copy Plus" steht über der Tür, das Geschäft ist verwaist. Bis vor wenigen Jahren war Maria Kroustis Geschäftsinhaberin. Ihre Brötchen verdiente sie mit Kopien, die Kunden wurden allerdings vor allem mit Informationen versorgt. Maria Kroustis war gewissermaßen eine inoffizielle Bürgerbeauftragte.
Schon als Taxifahrerin habe sie die Erfahrung gemacht, dass Wildfremde schnell Zutrauen zu ihr finden und von ihrem Kummer erzählen. "Ich wirke offenbar wenig bedrohlich." Im Copyshop nahm die Vertrauensstellung neue Dimensionen an. Wenn behördliche Unterlagen zu kopieren waren, später auch ohne nötige Kopien, baten die Kunden Maria Kroustis um Hilfe. Sie half beim Übersetzen in gebräuchliches Deutsch, erläuterte den Inhalt, den Aufbau der Verwaltung, unterstützte ihre Kunden beim Ausfüllen von Formularen. Schnell sprach sich in Gröpelingen herum: Maria hilft. Sie half Menschen mit geringen Deutschkenntnissen, mit geringer Schulbildung, in Notlagen. Nicht selten seien bei ihr im Laden Tränen vergossen worden. Viele Ratsuchenden hätten etwas gemein gehabt: Sie fühlten sich unsicher, ausgeliefert, nicht auf Augenhöhe mit ihren Ansprechpartnern in den Behörden. "Das war kaum auszuhalten."
Gleich links hinter dem Bibliothekseingang befindet sich der Arbeitsplatz von Maria Kroustis und ihren Kollegen. Zwei Stühle stehen vor dem Tisch, mehrere Bildschirme, einer ist den Kunden zugewandt. Dort sollen sie nachvollziehen können, wie Maria Kroustis das Online-Bürgerserviceangebot Bremens nutzt, damit sie sich später auch alleine zurechtfinden. "Wir leisten hier Hilfe zur Selbsthilfe". Zwei Männer kommen, sichtlich beunruhigt. Man kennt sich, man duzt sich, "Mariechen" soll helfen. "Habt ihr Stress?", fragt sie. "Aber so richtig", sagt einer der Männer. Er übersetzt für den anderen, der Unterlagen auf den Tisch legt. Er hat sich Geld geliehen, um heiraten zu können. Seine Frau erwartet ein Kind, das Jobcenter will angesichts seiner Kontobewegungen nicht helfen. "Die im Jobcenter lassen ihn hängen." Maria Kroustis schaut sich die Schreiben an, weist auf Fristen hin, verweist an Stellen, die konkret helfen können, sucht Öffnungszeiten und Namen der Ansprechpartner heraus.
Kürzlich sei eine Kundin bei ihr gewesen, die eine Fortbildung vom Jobcenter genehmigt bekommen hatte, erzählt Maria Kroustis. Dazu zähle eine Vereinbarung, die Teilnehmer unterschreiben müssen. "Die knallte sie mir auf den Tisch und sagte: Das unterschreibe ich nicht." Sie habe ihr gesagt, dass das Sanktionen zur Folge haben könnte. Dennoch habe sich die Kundin verweigert, "weil sie es nicht verstanden hatte. Ich war richtig stolz auf sie." Unverstanden würden schließlich nicht nur Vereinbarungen mit dem Jobcenter unterschrieben, wo man vielleicht noch etwas geradebiegen könne, sondern auch Handy- oder Kreditverträge.
Im Alter von acht Monaten kam die gebürtige Athenerin nach Deutschland. In Bremen studierte sie Wirtschaftswissenschaften. Zwei Jahre arbeitete sie als Ökonomin. Die Firma war nichts für sie. Eine neue Stelle fand sich nicht im Handumdrehen. Kroustis fuhr Taxi, womit sie sich schon ihr Studium finanziert hatte. Zum Copyshop sei sie "wie die Jungfrau zum Kind gekommen". Es gab Nachfrage, aber kein Angebot – bis Maria Kroustis 1994 ihren Shop eröffnete.
"Im Copyshop liefen die Informationen zusammen", sagt Maria Kroustis. Sie habe sich mehr und mehr Wissen über die Verwaltung angeeignet, Kunden gaben ihr Rückmeldungen. Ihrem eigentlichen Geschäft tat das nicht gut. "Beides ging einfach nicht." Die unbezahlte Hilfe einzustellen, sei für sie nie infrage gekommen. "Ich hatte das Glück, tolle Eltern und Lehrer zu haben." Sie fühle sich verpflichtet, es mit denen zu teilen, denen es anders gehe, sie zu gesellschaftlicher Teilhabe zu motivieren. Viele bräuchten dazu einen Schubser. "Aus eigenem Antrieb wird daraus nichts, wenn man Familien über Generationen hinweg vermittelt hat: Du kannst nichts, du bist nichts wert, sei still." So entfremdeten sich Bürger vom Staat oder wendeten sich ganz ab. "Das darf nicht sein."
Bei einem Stadtteilbesuch trafen sich Karoline Linnert und Maria Kroustis. "Das war ein Glücksfall. Kommt eine Senatorin in den Copyshop – so fangen sonst Witze an." In diesem Fall nahm so ein Modellprojekt seinen Anfang. Die Finanzsenatorin war schwer beeindruckt. Deshalb erlaubt das BIS Maria Kroustis, offiziell fortzusetzen, was sie inoffiziell 22 Jahre lang getan hat: den Gröpelingern zur Seite zu stehen. In dieser Arbeit gehe sie auf. "Meine Drohung ist: Ich gehe nicht eher in Rente, bevor wir vier weitere solcher Stellen in Bremen haben." Es ist noch Zeit, den Wunsch wahr werden zu lassen. Maria Kroustis ist Mitte 50.